Schopfheim Bedrückende Szenen im Versteck

Markgräfler Tagblatt
Schicksalsgemeinschaft: Anne Frank (Barbara Weiß, Mitte), Herr van Daan (Fred Strittmatter) und Annes Schwester Margot (Josephine Bönsch) in ihrem Versteck. Foto: Jürgen Scharf Foto: Markgräfler Tagblatt

„Tagebuch der Anne Frank“: Schweigeminute nach der ergreifenden Inszenierung in der Stadthalle

Von Jürgen Scharf

Schopfheim. Am 12. Juni 2014 wäre Anne Frank 85 Jahre alt geworden. Doch sie wurde nur 15, starb im KZ Bergen-Belsen. Im Versteck in der Amsterdamer Prinsengracht 263 schrieb sie ihr posthum berühmt gewordenes Tagebuch.

Das Theaterstück über Anne Frank hat ihre Tagebücher erst so richtig weltbekannt gemacht. Seit Mitte der 50er Jahre erinnert das Schauspiel an den Holocaust, das jüdische Mädchen und die Nazi-Gräuel. Jetzt wurde es als „Doku-Drama“ vom Landestheater Schwaben in der Schopfheimer Theaterreihe gezeigt. In einer durchwegs ergreifenden Inszenierung, die die Ängste und das Leben zwischen Hoffen und Bangen widerspiegelt.

Das Bühnenbild ist schlicht gehalten, besteht aus einem Dachboden mit Mobiliar. Einblendungen von Stimmen wie O-Ton des „Führers“, Geräusche, Glockenschläge, Schreie, Schüsse, Stimmen aus dem Radio und Passagen aus dem Tagebuch, die die Darstellerin der Anne Frank monologisch erzählt, machen die Inszenierung noch authentischer. In diesem Verlies spielen sich die großen Sorgen und kleinen Freuden ab.

In dem Theaterstück von Frances Goodrich und Albert Hackett (in einer Neufassung von Wendy Kesselmann) geht es um ein in der Pubertät steckendes Mädchen in einer schrecklichen Zeit. Mit bedrückenden Szenen aus Anne Franks kurzem Leben. Das Drama entwickelt sich, weil zur Familie Frank noch weitere Mitbewohner in das Versteck kommen. Zwischenmenschliche und seelische Konflikte der Untergetauchten sind vorprogrammiert.

Für einmal sieht man hautnah auf der Bühne, was das Kind Anne Frank so klug und schon sehr reif beschreibt, nämlich die Enge, die quälende Stille am Tag, das Stillsitzenmüssen (für ein so quecksilbriges Temperament wie Anne, die am liebsten unaufhörlich redet, eine Qual!), die Angst vor dem Entdecktwerden. All das nimmt den Zuschauer heute noch mit, obwohl man diese traurige Geschichte bestens kennt, gesehen, gehört und gelesen hat - schließlich ist das Tagebuch Schullektüre und wurde verfilmt.

Und trotzdem: Man ist immer wieder betroffen von diesen menschlichen Schicksalen. Zumal die Inszenierung die Handlung auf sehr integre Art erzählt. So erlebt man, wie die 13-jährige Anne durch einen jungen Mitbewohner ganz langsam ihre Sexualität entdeckt (in der Regie von Rainer Lewandowski wird dies recht keusch behandelt). Wir sehen auch, was aus Anne Frank hätte werden können, diesem aufgeweckten, intelligenten Mädchen, das davon träumt, eine berühmte Schriftstellerin in Paris zu werden und die es schrecklich vermisst, auf die Straße zu gehen, zu tanzen, Fahrrad zu fahren.

Barbara Weiß in der Titelrolle bringt die ganze Gefühlsskala, die Sehnsüchte des jungen Mädchens, das Erwachen der Liebe, den ersten Kuss sehr bewegend, mit gut dosierter emotionaler Theatralik rüber, mal noch kindlich, mal schon als fast erwachsene Kind-Frau. Auch der Vater (Fridjof Stolzenwald), die still vor sich hinleidende Schwester Margot (Josephine Bönsch), die vornehme neureiche Frau van Daan (Michaela Fent im Pelzmantel) und die weiteren Darsteller des Allgäuer Theaters fügen sich - sogar einmal ein jüdischen Lied singend - in das seriöse Regiekonzept zwischen Dokumentation, Schauspiel und Lehrstück.

Während der Moment mit dem Einbrecher einer der spannendsten ist, wird in der Schlussszene das plötzliche Ende nur durch einen lauten Schlag simuliert und nicht dramatisch auf Effekt hin inszeniert, sondern die Ereignisse von der Anne-Frank-Darstellerin an der Rampe sachlich referiert.

Das Publikum bleibt erst mal betroffen zurück, der Applaus kommt nach einer Schweigeminute und die Beklemmung bleibt noch eine Weile vor, wenn man die Stadthalle schon längst verlassen hat.          

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