Schopfheim „Das sind dramatische Zustände“

Markgräfler Tagblatt

Wolfgang Gorenflo vom Diakonischen Werk prangert die prekären gesellschaftlichen Verhältnisse an

Schopfheim (ma). Er ist so etwas wie das soziale Gewissen in der Stadt, jemand, der sich aus Überzeugung für die Menschen einsetzt, die keine Lobby haben: Arme, Verschuldete, Kranke und Gestrandete - jetzt geht Wolfgang Gorenflo in den Ruhestand.

Hautnah erlebte der gelernte Sozialarbeiter, der im April 63 Jahre alt wird, gesellschaftliche Veränderungen, erfuhr als Sprachrohr der Mittellosen, wo Hilfe ansetzen muss, wenn alles verloren scheint, spürte nach, unter welchen Folgen psychisch Kranke leiden - und wusste aus eigener Lebenserfahrung, wie es ist, wenn nicht immer alles bergauf geht im Leben.

Gorenflo kam 1992 zum Diakonischen Werk des damaligen evangelischen Kirchenbezirks Schopfheim und wurde 1999 dessen Leiter. Dass er einmal diese Karriere hinlegen würde, hätte er sich nie träumen lassen, gibt er freimütig zu. „Ich bin in der Schule zweimal sitzen geblieben, war auch arbeitslos.“

Die wichtigste Erkenntnis für ihn: „Man muss da nicht bleiben.“ Dies vermittelt Gorenflo immer wieder im Gespräch, auch, als er über die Inklusion, die Treffen zwischen psychisch erkrankten und „gesunden“ Menschen spricht - nicht allen geht es chronisch schlecht. „Man ist nicht immer nur krank, und man ist nicht immer nur gesund.“ Wie schnell ein Mensch freilich in den Abwärtsstrudel geraten kann, zeige sich heute, da es immer mehr psychisch Kranke gibt, Burnout, den Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung, Schulden, indes immer häufiger.

Wolfgang Gorenflo wollte schon immer „etwas Soziales“ machen. Das ist ihm geglückt: Er stellt in der Diakonie in der Markgrafenstadt - wie Barbara Ittermann, die nach 30 Jahren die Sozialstation verlässt - eine soziale Persönlichkeit dar, das Bindeglied zwischen Menschen in sozialer Not und den vielfältigen Hilfsangeboten.

„Ohne die Mitarbeiter wäre das nicht möglich gewesen“, betont Gorenflo. Als er zum Diakonischen Werk in Schopfheim stieß und „allgemeine kirchliche Sozialarbeit“ verrichtete, damals noch in der Stettiner Straße, waren drei Beschäftigte mit von der Partie - heute sind es 18.

Gorenflo hatte mit Menschen zu tun, die finanziell oder persönlich in Not sind, die in Scheidung oder Tren-

„Die Kluft zwischen Arm und Reich wird größer“

nung leben. Nach dem Neubau von „Schärers Au“, dem heutigen Sitz der Diakonie, kam die Trägerschaft fürs „Betreute Wohnen“ dazu.

2005 kam es zur Fusion mit dem Diakonischen Werk in Lörrach zum Diakonieverband im Landkreis. Vor Ort in Schopfheim gibt es die Nachbarschaftshilfe, die Schwangerenberatung und die Tagesstätte für psychisch Erkrankte, den offenen Treff, und seit vier Jahren auch die Schulsozialarbeit an der Friedrich-Ebert-Schule, am Theodor-Heuss-Gymnasium und an der Gewerbeschule.

Auch hier war gesellschaftlicher Wandel feststellbar: „Während früher Schulsozialarbeit als Makel von Brennpunktschulen galt, ist sie heute ein Qualitätsmerkmal zur Schärfung des Profils.“

Die Änderung des Familienbilds, Eltern, die bei der Erziehung überfordert sind, und dass nicht immer das Eltern- vor dem Kindeswohl zu stehen haben sollte (siehe Todesfall Alessio) - Gorenflo erlebte bei seiner Arbeit den Wandel in der Gesellschaft und den bei den Denkweisen zum Umgang mit sozialen Problemen und Schicksalen.

Die intensive Betreuung psychisch Erkrankter lag Wolfgang Gorenflo ganz besonders am Herzen. Bis an die 60 Menschen erfahren durch die diakonische Betreuung Unterstützung im Alltag, werden nicht allein gelassen, wenn es um einen geregelten Tagesablauf geht, die Begleitung zum Arzt, den Aufbau guter Beziehungen zum Beispiel zu den eigenen Kindern oder Nachbarn; auch bei der Betreuung psychisch Kranker hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden, Stichwort: selbstbestimmtes Leben.

„Ambulant statt stationär“ heißt es heute, Inklusion und Eingliederungshilfen sind gefragt. Bemerkbar mache sich dies etwa bei der Umwandlung des Markus-Pflüger-Heims. Praktiziert werde dies auch mit den Begegnungscafés auf kirchlicher Ebene. Auch mit der Betreuung älterer Menschen beschäftigte sich Gorenflo, der die Demenzbetreuung für eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben hält.

Die sozialen Folgen arbeitsmarktpolitischer Umstrukturierungen nehmen dramatische Ausmaße an, was Wolfgang Gorenflo auf die sprichwörtliche Palme bringt. Hartz IV sei zu wenig. „Das Klima wird immer härter, die Kluft zwischen Arm und Reich größer.“ Standardisierte Schreiben vom Jobcenter, im barschen, drohenden Ton und ohne persönlichen Absender verfasst, an Mittellose oder psychisch Erkrankte hätten verheerende Auswirkungen auf die Betroffenen. „Das beschleunigt den Krankheitsverlauf.“ Mit dem Jobcenter sollen hier Gespräche zum Umgangston stattfinden.

Bemerkbar gemacht habe sich in seiner Arbeit auch, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden sei, so Gorenflo, der auch beim AK Integration engagiert ist. „Die Schopfheimer Tafel ist auf meine Initiative hin entstanden.“ Das größte Problem freilich sei im Hinblick auf die zunehmende Zahl an psychisch Kranken die Wohnungsnot. Der soziale Wohnungsbau sei eingestellt, bezahlbare Wohnungen gebe es nicht mehr.

„Das ist in Schopfheim das dringendste Problem“, so Gorenflo, der hier die Stadt gerne tiefer in der Pflicht sehen würde. Ein Sozialberatungsausschuss-Treffen finde wie kürzlich ohne die Stadt statt, die zu wenig Personal habe; eigentlich sollte diese sogar dazu einladen; Rheinfelden etwa habe einen Sozialausschuss. Dadurch bekämen soziale Belange ein Forum, verdeutlicht Gorenflo. Das wäre nötiger denn je: „Wir haben prekäre gesellschaftliche Verhältnisse, die ausgeblendet werden.“

Wolfgang Gorenflo, studierter Sozialarbeiter auf dem zweiten Bildungsweg, arbeitete beim Kloster Weitenau, bis zur dessen Schließung im Kinderheim Beuggen und bei Jugendhilfeeinrichtungen in der Schweiz, ehe er 1992 zum Diakonischen Werk in Schopfheim stieß und 1999 dessen Leiter wurde. Wenn er zum Monatsende in Altersteilzeit geht, will er sich weiterhin fürs Spielhaus Nollingen engagieren und sich eventuell für ein soziales Ehrenamt in Schopfheim zur Verfügung stellen. Radfahren, Kultur und Sprachen lernen will er aber nun verstärkt genießen. Nachfolgerin im Amt bei der Diakonie in Schopfheim ist vom 1. April an Karin Racke aus Maulburg, die bereits Mitarbeiterin des Diakonischen Werks ist. Die offizielle Verabschiedung Gorenflos findet am Freitag, 27. März, um 17 Uhr in der evangelischen Kirche in Fahrnau statt.

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