Schopfheim Gefahrenlage im Gewerbegebiet

Markgräfler Tagblatt

Chemieunfall: Großeinsatz bei Oerlikon / Leck bei Wartungsarbeiten / Keine Gefahr für die Bevölkerung

Der Austritt eines Gefahrgutstoffes bei der Firma Oerlikon Balzers hat gestern die ganze Stadt in Atem gehalten. Bei Wartungsarbeiten war Titan-Tetrachlorid entwichen, ein flüssiger Stoff, der in Verbindung mit Luftfeuchtigkeit zu Salzsäuredämpfen führt. Menschen wurden nach letzten Meldungen nicht verletzt.

Schopfheim. „Um 10.31 Uhr ging der Alarm los“, berichtete Lutz Hofer, Schopfheimer Feuerwehrgesamtkommandant. „Als wir eintrafen, sahen wir in der Werkhalle eine starke Verrauchung.“ Zum Zeitpunkt des Unfalls hatten sich 30 Mitarbeiter darin aufgehalten, die jedoch beim Eintreffen der Feuerwehr alle die Halle bereits verlassen und sich zum Sammelplatz begeben hatten. Auch durchgezählt war schon. Ein Mensch, der sich in unmittelbarer Nähe der Leckage aufgehalten hatte, sei sofort in die Obhut des Rettungsdiensts gegeben worden.

Erste Lage

Feuerwehr und Polizei sperrten den Einsatzort in der Hohe-Flum-Straße großräumig ab, der erste Feuerwehrtrupp mit Atemschutz marschierte in die Halle. „Es war eine dynamische Lage“, erläuterte Feuerwehrkommandant Hofer später. „Wir wussten nicht, was uns erwartet, wie viel von dem gefährlichen Stoff ausgetreten war und welche Bereiche noch alle betroffen sind.“

Nach den bisherigen Erkenntnissen der Einsatzkräfte war eine kleine Menge von Titan-Tetrachlorid (100 Milliliter) bei Wartungsarbeiten freigesetzt worden. Der Feuerwehr gelang es mit Hilfe von Löschsand, den weiteren Austritt zu verhindern und die Gefahr einzudämmen.

Die Firma habe rasch gehandelt und die ersten erforderlichen Maßnahmen getroffen, so die Polizei.

Anwohner und Bevölkerung wurden mittels Lautsprecherdurchsagen und über Verkehrswarnfunk aufgefordert, Türen und Fenster geschlossen zu halten. Auch per Warn-App „Nina“ des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe erhielten die Bürger über ihr Smartphone die Aufforderung, Fenster geschlossen zu halten.

Die Absperrungen und der festgelegte Sicherheitsbereich werden aufrechterhalten, bis die Feuerwehr die Fabrikationshalle gereinigt und das verunreinigte Material beseitigt beziehungsweise abgepumpt hat. Eine in der Nähe befindliche Baustelle wurde vorsorglich evakuiert.

Die betroffene Anlage wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Waldshut-Tiengen beschlagnahmt und wird zu einem späteren Zeitpunkt durch Experten begutachtet.

Messungen

Messtrupps der Feuerwehr nahmen an verschiedenen Stellen im Stadtgebiet Messungen vor, die negativ waren. „Alle Werte lagen im Normbereich“, so Kreisbrandmeister Christoph Glaisner. Gemessen wurde im ganzen Stadtgebiet, auch an Schulen, Kindergärten und beim Kreiskrankenhaus. Die Aufforderung, Fenster und Türen geschlossen zu halten, sei eine reine Vorsichtsmaßnahme gewesen, betonte Glaisner.

Von den 150 Mitarbeitern der Firma hätten 71 von den Folgen der Leckage betroffen sein können, sie hätten die Dämpfe also einatmen können, hieß es gestern. Die Betroffenen seien allesamt zur Sichtungsstelle für Patienten in die Stadthalle gebracht worden, wo das DRK eine Verletztensammelstelle eingerichtet hatte. Zunächst hieß es, 13 Personen würden über Atemwegsreizungen klagen, doch am Nachmittag stellte sich nach Polizeiangaben heraus, dass von den 71 untersuchten Personen niemand verletzt wurde.

Reizgas

Bei dem Gefahrgutstoff handele sich um einen flüssigen Stoff, der mit Feuchtigkeit reagiert. Es entstünden Salzsäuredämpfe, erläuterte Manfred Dörner, Fachberater Chemie von der Feuerwehr Kandern, der auch für den Landkreis zuständig ist. Da es sich dabei um ein Reizgas handele, könne dies zu Verätzungen der Schleimhäute in den Atemwegsorganen und auf der Haut führen.

Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst waren gestern mit einem Großaufgebot im Einsatz. Über Stunden war in der Stadt Sirenenalarm der Einsatzfahrzeuge zu hören. Die Hauptstraße war wegen des DRK-Einsatzorts in Höhe der Stadthalle gesperrt. Die Haltestelle 6 der Regio-S-Bahn wurde während des Einsatzes geschlossen.

Der Bezirksbrandmeister des Regierungspräsidiums Freiburg, Adrian Wibel - zweithöchste Ebene der Feuerwehren in Baden-Württemberg - machte sich vor Ort ein Bild von der Lage ebenso wie Beigeordneter Ruthard Hirschner, der das „besonnene Verhalten“ der Einsatzkräfte lobte.

Wichtig sei gewesen, so Hirschner, ein Auge darauf zu haben, dass der Gefahrgutstoff nicht in die Kanalisation gelange. Deshalb seien „Absperrblasen“ eingerichtet worden. Alle Einsatzkräfte der verschiedenen Organisationen hätten Hand in Hand gearbeitet, war auch Gesamtfeuerwehrkommandant Lutz Hofer zufrieden. Erst kürzlich hatten die Jugendfeuerwehren eine Großübung bei Oerlikon absolviert - jetzt folgte der Ernstfall.

Die Feuerwehr war mit 69 Einsatzkräften und 17 Fahrzeugen in der Hohe-Flum-Straße vor Ort.

Das DRK stand mit 60 Kräften unter Leitung von Einsatzführer Simon Redling am Unfallort bereit und bei der Stadthalle mit Ärzten (sowie mit Rettungsmitteln im Katastrophenschutzeinsatz). Die Polizei war mit 15 Einsatzkräften vor Ort. Die Führungsgruppe Oberes Wiesental der Feuerwehr richtete ein Lagezentrum in der Hohe-Flum-Straße ein.

Messgruppen aus Lörrach und Rheinfelden wurden alarmiert und nahmen ständig Messungen vor. Gerätewagen des Landkreises Lörrach für Atemschutz und Gefahrgut waren im Einsatz. Die Werksfeuerwehr Evonik unterstützte die Feuerwehr mit Lüftung und Löschsand.

Titan-Tetrachlorid ist eine chemische Verbindung aus Chlor und Titan.

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