Schopfheim „Jeder wollte eine weiße Weste“

Markgräfler Tagblatt

Heute vor genau 70 Jahren endete in Schopfheim der zweite Weltkrieg / Keine Kampfhandlungen mehr

Von Werner Müller

Schopfheim. Kampflos und (fast) ohne Blutvergießen: So endete vor genau 70 Jahren in der Markgrafenstadt, was Historiker im Rückblick als „Jahrhundertkatastrophe“ bezeichnen – der Zweite Weltkrieg. Am 24. April 1945 rollten französische Panzer durch die Straßen und machten dem Nazi-Spuk ein Ende.

Dass der mörderische Krieg, den Deutschland vom Zaun gebrochen hatte und der weltweit 60 bis 70 Millionen Menschen das Leben kostete, in Schopfheim relativ unblutig zu Ende ging, war in den letzten Tagen und Wochen der NS-Diktatur nicht unbedingt zu erwarten gewesen.

Denn wenige Woche zuvor hatte der Krieg auch im Städtli erstmals seine schreckliche Fratze gezeigt. Am Nachmittag des 16. Februar 1945 warfen englisches Jagdbomber 16 Sprengbomben ab, die von Gündenhausen her eine Schneise der Verwüstung hinterließen. Dabei kamen zwei Schopfheimer ums Leben, sechs Soldaten, vier Frauen und sechs Zwangsarbeiter aus dem Osten erlitten Verletzungen. Das Amtsgerichtsgebäude wurde stark beschädigt, ein Blindgänger zertrümmerte das Haus der Familie Gräßlin in der Karlstraße.

Obwohl sich abzeichnete, dass der Krieg verloren war und das Ende immer näher rückte, wollten die braunen Machthaber die Stadt nicht kampflos aufgeben.

Heiner Schneegaß, der 1998 verstorbene ehemalige SPD-Stadtrat, schreibt in seinen Erinnerungen eines „Stedtli-Bubs“, dass Wehrmachtssoldaten und „Volkssturm“ an mehreren Stellen in der Stadt aus dicken Baumstämmen Panzersperren errichtet hätten, unter anderem in der Pflugkurve und beim evangelischen Pfarrhaus in der Wehrer Straße. An der Wiese bei Langenau war ein Flakgeschütz postiert, an der Wiesebrücke und am Fahrnauer Tunnel hatten die Befehlshaber große Dynamitladungen anbringen lassen, um sie beim Einmarsch des Feindes in die Luft zu sprengen.

Und dann kam alles doch ganz anders. Im Kino liefen zwar die allerletzten Durchhaltefilme, doch „die Schopfheimer Bevölkerung hatte den Glauben an den Endsieg verloren“, so Schneegaß. „Trotz angedrohter Todesstrafe hörten viele die Feindsender ab, um zu erfahren, wie es wirklich stand“.

Als die Alliierten in Südbaden immer weiter vorrückten, machte sich auch in Schopfheim „hektische Unruhe“ breit. Am 24. April bereiteten sich die Schopfheimer auf den Einmarsch des Feindes vor. Die letzten Vorräte wurden hektisch verteilt – „heftige Kämpfe um Fleisch , Fett und Wurst spielten sich im Schlachthof ab“, erinnerte sich Heiner Schneegaß, der das Kriegsende aus der Sicht eines 13-Jährigen hautnah miterlebte. So beobachtete er auch, dass „in manchen Gärten Feuerchen flackerten, um Sachen zu verbrennen, die vielleicht gefährlich werden könnten“. Schneegaß: „Jeder wollte eine reine Weste haben“.

Alle rechneten damit, dass die Franzosen aus Richtung Maulburg die Stadt erobern könnten. Tatsächlich jedoch näherten sie sich über den Maiberg und Hausen der Stadt. „Gegen 18 Uhr war ein

„In manchen Gärten brannte ein Feuerchen“.

unheilvolles Kettenrasseln zu hören“, so Schneegaß – die Panzer rollten die Hauptstraße herab und bogen beim „Adler“ in die Himmelreichstraße.

Auf ernsthaften Widerstand stießen die Franzosen nicht. Nur ein Feldwebel hob als „letzter Vaterlandsverteidiger“ (Schneegaß) den Karabiner, schoss auf einen feindlichen Soldaten und verwundete ihn.

„Dannn trat eine unheimlich Ruhe für den Rest der Nacht ein“, erinnerte sich Heiner Schneegaß. Überall, wo vorher Hitlerfahnen hingen, wehten nun weiße Fahnen. Wiesebrücke und Fahrnauer Tunnel blieben heil, weil beherzte Männer die Zündschnüre herausgerissen hatten. „Der Ortsgruppenleiter und der damalige Bürgermeister waren besonnene Männer, die keinen Befehl zu Verteidigung der Stadt erteilt hatten“, so Schneegaß weiter.

Der katholische Pfarrer Gnädinger bestätigt diese Eindrücke: „Kampfhandlungen habe keine stattgefunden“, hielt er fest. „Wohl gab es auch in dieser Stadt einige Heißsporne. Doch waren sich maßgebliche Stellen wie Bürgermeisteramt, Gendarmerie und selbst die Ortsgruppenleitung einig, dass eine Verteidigung zwecklos sei und deshalb nicht in Frage komme“.

Die eigentliche Nachkriegs- und Besatzungszeit begann in Schopfheim am Tag danach. Am 25. April zog eine „endlose Militärkolonne“ mit Panzern, Jeeps und Infanterie durch die Stadt. Die formelle Besatzung erfolgte am 26. April, im ehemaligen Bezirksamt richtete sich die französische Kommandantur ein. Als die neuen Machthaber begannen, ehemalige NSDAP-Funktionäre zu verhaften, nahmen sich mehrere Schopfheimer das Leben. Noch eine Woche nach dem Einmarsch warnte der amtierende Bürgermeister Eckert vor „unüberlegten Handlungen“ und appellierte an die Stadtbewohner, „der Zukunft mutig ins Gesicht zu schauen“.

Mit dem Einmarsch der Sieger begannen zwar schwere Jahre des Hungers und der Besatzung. „Aber die Menschen waren froh, dass der mörderische Krieg überstanden war“, notierte Heiner Schneegaß in seinen Erinnerungen und fügte sogleich auch den Grund hinzu: „Nichts ist mit dem Glück des Friedens zu vergleichen“.

Weitere Informationen: Heiner Schneegaß: „Nichts ist zu vergleichen mit dem Glück des Friedens“, Markgräfler Tagblatt, 22. April 1995 Heiner Schneegaß: „E Stedtli un sini Mensche“, Erinnerungen Christine Scheidemann: „Weimarer Republik und Drittes Reich“, Stadtchronik Walter Glatt: „Von der Besatzung bis zum Ende der Ära Vetter“, ebenda

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