Gelegentlich soll das opulente Werk „Stabat Mater“ schon in Sälen aufgeführt worden sein, dabei eignet sich einzig ein Kirchenschiff für die mächtige Komposition. Von Ines Bode S chopfheim. Wegen des Inhalts und der nötigen Resonanz wegen und mit angemessener, majestätischer Wucht entfaltete sich in der evangelischen Stadtkirche die voluminöse Spannweite des Werkes. „Stabat Mater dolorosa“, der lateinische Schriftzug, der den Schmerzprozess Marias als Folge der Kreuzigung des Sohnes einleitet, ist ein Gedicht des Mittelalters. Große Meister nahmen sich der Vertonung an, darunter Haydn, Liszt und Verdi. Kirchenmusikdirektor Christoph Bogon indes entschied sich für die Version Antonin Dvoraks, ein Stück voller Sensibilität, das dem Publikum eine bildmächtige Vorstellung bescherte. Geradezu atmosphärisch schien die Klage Marias, mitunter als „Marienlied“ bezeichnet, zum Schluss in Hoffnung mündend. 800 Vokalisten plus Riesenorchester soll der Tonsetzer 1884 in London aufgefahren haben anlässlich des Konzerts in der „Royal Albert Hall“. Aber auch Bogons Aufgebot konnte sich sehen lassen. Es spielte ein brillantes Markgräfler Kammerorchester, es sangen die aktuell 130 höchst ambitionierten Vokalisten der Kantorei. Hinzu gesellten sich Partien des auserlesenen Solisten-Quartetts, einige international gefragt: Sopranistin Katharina Persicke, Altistin Daniela Bianca Gierok, Clemens Morgenthaler mit Bassstimme sowie der Tenor Michael Feyfar. Eröffnet wurde die Darbietung mit wahrlich ungeheuerlicher, kraftvoller Phonstärke, tief erfüllt von sthenischer Herbheit und schillerndem Glanz. Titanischer Hörgenuss war angesagt in der Musikszene des späten 19. Jahrhunderts. Deutlich spürbar die Leidenschaft, die in der Komposition steckt, immer entlang am Pfad zur Schwermütigkeit. Eine Vielzahl der Sequenzen galt es hymnisch auszudrücken. Das Orchester musizierte in übereinstimmender Innigkeit, nahm sich auf intensive Art des berühmten wie schweren Vortrags an, da „Stabat Mater“ geradezu strotzt von Melodienreichtum und teils bedrohlicher Ausdrucksvielfalt. Die Darbietung bot dramatische Verdichtung, wunderbare Phrasen und ebensolche Melodiebögen. Kurz: meisterliche, profunde Musikalität. Immens fein gezeichnet war die Dynamik des Chorklangs, so dass die künstlerische Seele der Formation aus dem Hintergrund leuchtete. Die Botschaft kam derart an, dass sich mancher im Publikum erhob, um stehend zuzuhören. Die Solopartien zeigten subtile Wortfarbe, sensibel geformte Vokabeln und emphatische Interpretation. Gestochen scharf etwa die Tenorhöhen im sechsten Satz, bei zugleich kräftiger Koloration. Was den Inszenator des Ganzen betrifft, so offenbarte er eine große Gabe für gestalterische Kompetenz. Kein Flüstern ließ sich seitens der Zuhörerschaft in den immerhin neun kurzen Pausen ausmachen, kein übliches Husten, lediglich gefesselte Konzentration. Unübersehbar war er da, der nonverbale Zuspruch im Publikum angesichts des immensen Leistungsvermögens der Sänger und Musiker. Als der letzte Ton verhallte, Christoph Bogon mit einem Nicken in Richtung des Ensembles Aufatmen signalisierte, konnte sie endlich ins Freie drängen: die pure Begeisterung. Dem anhaltenden, tosenden Applaus nach war die hohe künstlerische Botschaft beim faszinierten Publikum angekommen.