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Schopfheim „Normalität ist unser Leitbild“

Markgräfler Tagblatt

Jubiläum: Balance zwischen Wohnen und Pflege: Das Georg-Reinhardt-Haus feiert 50-jähriges Bestehen

Von Petra Martin

„Das Georg-Reinhardt-Haus ist eine Traditionseinrichtung. Es gehört zu Schopfheim dazu“, betont Geschäftsführer Martin Mybes. „Das Haus wird von der Bürgerschaft mitgetragen.“ Einst als klassisches Altersheim gegründet, feiert die Einrichtung, die heute eine moderne Haus- und Lebensgemeinschaft ist, nun ihr 50-jähriges Bestehen.

Schopfheim. Martin Mybes skizzierte bei einem Pressegespräch zum Jubiläum die Entwicklung der Einrichtung und zeichnete dabei ein Bild von den vier Generationen des Pflegeheims - eine Trendhistorie, die das Reinhardt-Haus wie viele andere Seniorenheime durchlief - die heutige Form der Einrichtung nimmt freilich eine herausragende Stellung im Landkreis ein.

Schon vor seiner offiziellen Einweihung im Dezember 1965 sei das Haus „ratzfatz“ belegt gewesen, sagte Mybes. Es sei ein klassisches Altersheim mit hoher Belegungsdichte gewesen, auch in der zweiten Generation. Bewohner hätten Autos gehabt, seien also beweglich gewesen. Pflege habe „stattgefunden“ - zum Sterben ging es ins Krankenhaus. Weil es immer mehr Pflegebedürftige gab, seien schließlich in der dritten Generation Pflegeabteilungen entstanden, es entstand der Anspruch, in jedem Zimmer behindertengerechte Bäder einzubauen. Der Sozialstaat habe die Kostenträger unterstützt - damals eine Neuheit. Differenzierungen bei den Pflegestufen seien indes nicht vorgenommen worden, es habe nur ein „pflegebedürftig“ oder „nicht pflegebedürftig“ gegeben.

Zu den Anfangszeiten seien lediglich 20 Mitarbeiter beschäftigt gewesen, obwohl es viel mehr Bewohner als heute gab. Heute versorgen rund 100 Beschäftigte - in Teil- und in Vollzeit - 100 Bewohner - zusätzlich sind mehr als 60 Freiwillige im Einsatz.

Mitte der 90er Jahre wurde das Pflegeversicherungsgesetz eingeführt, das ambulante und stationäre Bereiche unterschied - eine Zäsur für das Haus, das rein stationär wurde. Kerngedanke sei gewesen, Menschen selbstständig leben zu lassen, solange es geht, und einen Absturz in die Sozialhilfe zu vermeiden. Für die Häuser bedeutete dies notwendige Umbauten, der Betrieb gestaltete sich komplizierter.

Die vierte Generation von Pflegeheimen hatte zum Ziel, Wohnen und Pflege in Balance zu bringen. Es galt und gilt, Menschen nicht allein auf ihre Defizite zu begrenzen, sondern Wohnen und Kultur zu verbinden, ein offenes Haus zu führen, in dem Angehörige willkommen sind. „Es gibt kaum jemand in Schopfheim, der das Haus nicht kennt“, unterstreicht Geschäftsführer Martin Mybes.

Wirtschaftliche Zwänge, aber auch die neuen, veränderten Konzepte in der Pflege, führten im Reinhardt-Haus schließlich zur Entscheidung, statt einer teureren Sanierung einen Neubau in Angriff zu nehmen. Es ging dabei auch um die Frage, wie eine Pflegeeinrichtung erträglicher und ansprechender gestaltet werden kann.

Das Georg-Reinhardt-Haus hat dies mit seiner Haus- und Lebensgemeinschaft gelöst, die nur noch aus kleinen Wohngruppen besteht, acht an der Zahl mit je zwölf, 13 Bewohnern, alle in Einzelzimmern untergebracht.

Familiärer Charakter in Wohngruppen

Alle Wohngruppen sind autark, jede hat ihre eigene Küche und in jeder wird die eigene Wäsche gewaschen - eine Besonderheit des Hauses. Es ist eindeutig: Bei der Weiterentwicklung der vierten Generation von Pflegeheimen steht der familiäre Charakter im Vordergrund: Wer das Georg-Reinhardt-Haus betritt, glaubt nicht, dass es ein stationäres Heim ist. „Wir bemühen uns um Normalität“, betont Mybes.

„Wir wollen kein Pflegeheim, das als solches äußerlich sichtbar ist, sondern ein gastfreundliches Haus“ - ein Spagat zwischen Normalität und Sachzwang und nur eine der zahlreichen Gratwanderungen, die die Mitarbeiter - per flacher Hierarchie - tagtäglich zu bewältigen haben. „Das Normalitätsprinzip ist unser Leitbild“, sagt Martin Mybes.

Schopfheim (ma). In nur vier Tagen zog der Betrieb des Georg-Reinhardt-Hauses 2014 um in den heutigen Neubau - 100 zusätzliche Helfer stemmten die Aktion mit. Dass die Investitionskosten damals in die Höhe schnellten, erboste Bewohner und Angehörige; auch die Mitarbeiter hatten Umstellungen in Kauf zu nehmen. Letztlich sei aber die Inbetriebnahme gelungen, so Geschäftsführer Martin Mybes.

Vorbei seien auch die Zeiten der starken Unzufriedenheit des Personals und Bewohner und die der vielen Leiterwechsel - turbulente Zeiten, die bei den Mitarbeitern als „Schnee von gestern“ angesehen würden, aber als lehrreich gelten: „Wir haben aus den Fehlern gelernt“, sagt Mybes. Es gebe quartalsmäßig Gespräche und ein Beschwerdemanagement; trotz der ein oder anderen Kritik jedoch keine offizielle Beschwerde. Sozialdienstleiter Stefan Schmidt fungiere als „Scharnier“ zwischen allen Beteiligten und leiste hier eine sehr wichtige Arbeit.

Überlegten in früheren Zeiten manche besorgte Angehörige sogar, ihre Eltern aus dem Haus zu nehmen, so gibt es heute eine Warteliste. „Die Nachfrage ist so groß, dass wir gleich ein neues Haus daneben stellen könnten.“ Erwogen wird indes der Neubau einer Tagespflegeinrichtung. „Daran arbeiten wir mit Hochdruck.“

Noch ist der Träger des Georg-Reinhardt-Hauses der Verein des evangelischen Sozialwerks. Dieser hatte mal 300 Mitglieder, quer durch alle Schichten, die das Haus lebendig gestalteten, heute sind es nur noch um die 20. „Damals war es auch noch nicht so schwierig, das Haus wirtschaftlich zu führen“, erläutert Mybes. Der alte Trägerverein werde sich indes auflösen und aus fiskalischen Gründen in eine Stiftung übergehen.

Ein neuer Förderverein, der sich am Dienstag gründete, soll sich durch seine finanzielle und ideelle Unterstützung um weitere Qualität bemühen, etwa die Anschaffung eines Komfortbusses ermöglichen. Auch über Wohngruppen für Demenzkranke mit Standort beim evangelischen Gemeindehaus werde nachgedacht.

Mit der Mitbestimmung sei es nicht immer einfach, führt Martin Mybes aus. „Aber darin liegt unsere besondere Stärke und Qualität.“

Im Dezember 1965 wurde das Georg-Reinhardt-Haus offiziell eingeweiht. Bereits 1962 hatte der 1904 geborene Georg Reinhardt, Geschäftsführer der „Heimbau GmbH“, auf Wunsch des evangelischen Kirchengemeinderats die Vorarbeiten zur Gründung übernommen. 1962 wurde auch das evangelische Sozialwerk Schopfheim als Verein gegründet, der der Inneren Mission angeschlossen wurde - deren Leitbild war zielführend für Reinhardt. 1971 wurde der zweite Bau eingeweiht. Georg Reinhardt starb 1972.

2007 wurde das Haus vom eingetragenen Verein in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt. 2014 wurde der heutige Neubau in Betrieb genommen. Das Reinhardt-Haus ist mit seinem kirchlichen Träger Mitglied des Diakonischen Werks, aber selbstständig - und es ist aktiv im Gemeinwesen. Es gibt Andachten, Gottesdienste, Ausflüge, Hundebesuche und Vorträge und vor allem zahlreiche Kooperationen. Zum Netzwerk gehören die sehr geschätzte Hospizgruppe Schopfheim, integrierter Bestandteil des Hauses, das Krankenhaus, die Stadt, Schulen und Kindergärten sowie die Kirchen. Ein Projekt, das auch außerhalb des Hauses vermittelt wurde, ist die „Palliative Kultur als Lebenshilfe“.

Unterstützung gab es vom bisherigen Trägerverein, etwa mit Hans-Jörg Klein, Magdalena Blessing und Gerd Brutschin im Vorstand, sowie durch den Verwaltungsrat.

Weitere Informationen: Das Jubiläum wird am Freitag, 15. Januar, mit geladenen Gästen im evangelischen Gemeindehaus gefeiert. Es werden zwei Töchter von Georg Reinhardt zu Gast sein; die eine, Christiane Reinhardt, Künstlerin aus Überlingen, wird ihre Erinnerungen an den Vater schildern.

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