Schopfheim Von Nähe und Distanz

Markgräfler Tagblatt
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Konzert : Martin Tingvall begeisterte das Publikum bei „Akustik in Agathen“

Von Veronika Zettler

Schopfheim. In ihrer Konzertreihe „Akustik in Agathen“ können Bernhard Wehrle und Anja Lohse eine weitere Sternstunde verbuchen. Am Sonntag gab der schwedische Pianist Martin Tingvall ein großartiges Konzert in der voll besetzten Kirche St. Agathe in Fahrnau.

Meistens tritt Martin Tingvall mit seinem mehrfach preisgekrönten Trio auf, so zum Beispiel vor einem halben Jahr im Lörracher Burghof. In Fahrnau bewies er, dass er auch als Solo-Pianist geradezu orchestrale Fülle bei gleichzeitig staunenswerter musikalischer Spannbreite erzeugen kann.

In etlichen Stücken präsentierte Tingvall eine überbordende Ideenvielfalt, die sich in atemberaubender Virtuosität steigerte. In anderen zeigte er sich als lyrischer Romantiker, spielte reduziert und klangversessen oder feierte mit prägnantem Anschlag einzelne kontrapunktisch eingestreute Töne. Vielfach spielte die linke Hand scheinbar autonom perlende Begleitfiguren, während die Rechte melodische Ideen geradezu hintereinander her jagte. Das erinnerte manchmal an den raumfüllenden Edeljazz eines Chick Corea, manchmal an die „Komprovisationen“ Keith Jarretts (zumal auch Tingvall gelegentlich mitsingt und -summt).

Tingvall hatte vor allem Stücke seiner beiden Solo-Alben „Distance“ (2015) und „En Ny Dag“ (2012) im Gepäck. Der aktuell in Hamburg lebende Musiker ließ dabei klassische Anleihen ebenso hören wie Bezüge zu fast allen Stilformen des Jazz – wenngleich diese zuweilen nur in bruchstückhaften Miniaturen aufblitzten und sich in den schnellen Stil-, Tempo- und Zitatwechseln ebenso schnell wieder verflüchtigten. Mitten in einem dynamisch-fugenartigen Höhepunkt einen abrupten, aber messerscharfen Schluss finden, auch das gehört zu den Künsten des 1974 geborenen Martin Tingvall.

Zugleich ist der schwedische Jazzer, der auch Songs für Udo Lindenberg und die Musik für einige Fernsehfilme und „Tatort“-Folgen schrieb, ein musikalischer Geschichtenerzähler. Nach fast jedem Stück stand er auf, bedankte sich für den Applaus, zog dann seinen Notizzettel aus der Hosentasche und überlegte, was als Nächstes passen würde. „Jetzt probiere ich was ganz anderes“, erklärte er einmal, „mal sehen, was kommt“.

Meistens aber erfuhren die Zuhörer etwas über die Ideen hinter den Stücken. So handelt etwa „Debbie & The Dogs“ von einer geplatzten Hochzeitsreise und „Utan Ström I Harare“ von einem Auftritt in Simbabwe, wo die Musiker – darunter ein E-Bassist – bei intervallartigen Stromausfällen improvisieren mussten. Dagegen beklagt „An Idea Of Distance“ schwindende persönliche Kontakte im Social-Media-Zeitalter. Ohnehin gleicht das jüngere Solo-Album „Distance“, für das sich Tingvall auf einer Island-Reise inspirieren ließ, einer ausgedehnten Meditation über Nähe und Entfernung.

Tingvall spielte gut zwei Stunden lang in Fahrnau und bekam am Schluss tosenden Applaus. Wer das Konzert verpasst hat, kann den Pianisten am heutigen Dienstag um 19.30 Uhr beim Basler Jazzfestival im Volkshaus nochmals hören.

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