Steinen Steinen ist ein Kind der Gemeindereform

Markgräfler Tagblatt

Per Landesgesetz entstand vor 40 Jahren die Gesamtgemeinde Steinen / Rechtsweg bestritten

Die Gebietsreform in Baden-Württemberg wurde in den Jahren 1968 bis 1975 durchgeführt und hatte das Ziel, leistungsfähigere Gemeinden zu schaffen. Das sollte durch größere Verwaltungseinheiten erreicht werden, die nach Ansicht der damaligen Landesregierung effizienter arbeiten würden. Daneben wurde 1973 die baden-württembergische Kreisreform durchgeführt. Aus 3379 Gemeinden in Baden-Württemberg sollten durch Zusammenschlüsse und Eingemeindungen 1111 Gemeinden werden: die Reform war in vielen Städten und Gemeinden umstritten. Steinen bildete da keine Ausnahme.

Von Harald Pflüger

Steinen. Die Wiesentalgemeinde, wie man sie heute kennt, ist, wie viele andere Gemeinden in Baden-Württemberg auch, ein Kind der Gemeindereform von 1975. Per Landesgesetz wurde aus den einst selbstständigen Gemeinden Endenburg, Hägelberg, Höllstein, Hüsingen, Schlächtenhaus, Steinen und Weitenau die Gesamtgemeinde Steinen.

Ziel der von der Landesregierung angestrebten Gemeindereform war, die Verwaltungskraft der Gemeinden zu stärken, indem die Zahl der Gemeinden verringert wird. Per Gesetz hatte der Landtag von Baden-Württemberg am 9. Juli 1974 bestimmt, dass aus den Gemeinden Hägelberg, Höllstein, Hüsingen, Schlächtenhaus und Steinen die neue Gemeinde Steinen wird. Damit wurde eine längere Phase von Verhandlungen und freiwilligen Vereinbarungen zur Neubildung der Gemeinde Steinen beendet. Im Rahmen der Freiwilligenphase waren Weitenau (zum 1. Januar 1974) und Endenburg (zum 1. Oktober 1974) bereits in die Gemeinde Steinen eingegliedert worden.

Vorausgegangen war die Anhörung der Gemeinden im Rahmen einer Bürgeranhörung, die in allen noch selbstständigen Gemeinden am 27. Januar 1974 stattfand. „Sind Sie für die Vereinigung mit der Gemeinde Steinen mit den Gemeinden Endenburg, Hägelberg, Höllstein, Hüsingen, Schlächtenhaus zu einer neuen Gemeinde?“, wurden die Bürger gefragt. Dass Weitenau dabei nicht aufgeführt war, liegt daran, dass dieser Ort, wie bereits erwähnt, sich schon zum 1. Januar 1974 Steinen anschloss.

Von den insgesamt 2684 Anhörungsberechtigten der Gemeinde Steinen stimmten 489 ab, was einer Wahlbeteiligung von 18,2 Prozent entspricht. Von diesen 489 votierten 335 (68,5 Prozent) mit Ja und 152 (31,1 Prozent) mit Nein. In allen anderen Gemeinden sprach man sich hingegen mit überwiegender Mehrheit gegen die Vereinigung aus, wie in den Ortschroniken von Steinen und Höllstein nachzulesen ist. In Höllstein lag die Ablehnung bei 87,6 Prozent.

Um den Gemeinden den Eingliederungsprozess zu erleichtern, wurden von der Landesregierung verschiedene Verwaltungsmodelle und auch finanzielle Zusagen angeboten.

Nachdem der entscheidende Tag des Zusammenschlusses, der 1. Januar 1975, näher- rückte und die Verhandlungen zwischen den betroffenen Gemeinden zu keinem Ergebnis führten, ordnete das Regierungspräsidium Freiburg an, dass bis zum Zusammentreffen des am 20. April 1975 zu wählenden Gemeinderats ein vorläufiger Gemeinderat die Aufgaben in der neuen Gemeinde Steinen wahrnimmt; die Mitgliederzahl wurde auf 23 festgelegt.

Für die neue Gemeinde Steinen mit den Ortsteilen Höllstein, Hägelberg, Hüsingen, Endenburg, Schlächtenhaus und Weitenau trat am 1. Januar 1975 ein sogenannter Übergangsgemeinderat in Kraft. Am 20. April 1975 wählten die Bürger der neuen Gemeinde ihren ersten Gemeinderat. Die unechte Teilortswahl garantierte jedem Ortsteil einen Sitz im Gemeinderat. Der Bestand der neuen Gemeinde war aber immer noch in Frage gestellt durch die Klagen der Gemeinden Hägelberg, Höllstein und Hüsingen. Erst am 22. Januar 1976 fiel vor dem Staatsgerichtshof die Entscheidung,  wonach das Gesetz zum Abschluss der Neuordnung der Gemeinden mit der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vereinbar ist. Steinen, Höllstein, Hüsingen, Hägelberg, Endenburg, Schlächenhaus und Weitenau bildeten fortan eine Gemeinde.

Steinen (hp). Die Gemeinde Steinen in ihrer heutigen Form entsprang 1974 / 75 der Gemeindereform:  durch den Zusammenschluss der selbstständigen Gemeinden Endenburg, Hägelberg, Höllstein, Hüsingen Schlächtenhaus, Steinen und Weitenau. Steinen wurde damit zur sechstgrößten Flächengemeinde im Landkreis Lörrach. Mit Bürgermeister Rainer König sprach unser Redakteur Harald Pflüger.

Herr   König, beim Bürgertreff sind Sie auch auf die Gemeindereform eingegangen, aus der vor 40 Jahren die Gemeinde Steinen in ihrer heutigen Form hervorgegangen ist. Hat die Gemeindereform ihr Ziel erreicht, oder schimmert das Ortsteildenken manchmal noch durch?

Man kann ganz klar sagen, dass die Gemeindereform ihr Ziel erreicht hat und dabei die Gemeinde zusammengewachsen ist. Als wichtige Infrastrukturmaßnahme kann man beispielhaft die Wasserversorgung nennen, für die ein ganzheitliches Konzept entwickelt wurde. Ich habe in den vergangenen 15 Jahren erlebt, dass auch in den Ortsteilen die Gesamtbelange der Gemeinde im Vordergrund stehen und dass bei wichtigen Maßnahmen in einem Ortsteil ein Solidaritätsgedanke herrscht. Dass ein Ortschaftsrat oder ein Ortsvorsteher die Belange seines Ortsteils besonders vertritt, liegt in der Natur der Sache.

Sie haben die Gemeindereform als Jugendlicher im Ortsteil Weitenau erlebt. Weitenau kam als erster der sechs Ortsteile freiwillig zur Wiesentalgmeinde. Können Sie sich noch an die Diskussionen für und wider erinnern?

Ich war damals zwölf Jahre alt, mein Vater war Ortschafts- und Gemeinderat, da habe ich mitbekommen, dass die unmittelbaren Vorteile, die mit einem freiwilligen Zusammenschluss verbunden sind, bei der Entscheidung eine wesentliche Rolle gespielt haben. Die Zusagen sind von der Gemeinde Steinen auch eingehalten worden.

Nicht überall lief es so glatt wie in Weitenau. In einigen Teilorten, allen voran Höllstein, regte sich Widerstand gegen die neue Gemeinde, für die erst ein Urteil des Staatsgerichtshofs den Weg frei machen musste. Haben die Höllsteiner mittlerweile ihren Frieden gemacht?

Ich denke, dass 40 Jahre nach der Gemeindereform und 39 Jahre nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs Gras über die Sache gewachsen ist und die Höllsteiner insofern ihren Frieden gemacht haben.

Ein paar Bonbons sollten die Eingemeindung versüßen. Kann man sagen, dass die Weitenauer ihr letztes Bonbon im vergangenen Jahr in Form der Aussegnungshalle bekommen haben?

In der Tat war die Aussegnungshalle ein noch offener Punkt, der aber auch dank großer Unterstützung des Fördervereins Friedhofshalle letztlich dann abgearbeitet werden konnte.

Sehen sie in den damaligen Vorbehalten gegen den Zusammenschluss ein Generationenproblem?

Ich denke schon, wobei es bei jeder Reform  natürlich um die Möglichkeiten der direkten Einflussnahme geht. Damals war natürlich mit dieser Gemeindereform die kommunale Selbstbestimmung schon beschnitten worden. Die heutige Generation hat aufgrund folgender Reformen wie etwa die Schulreform in meinen Augen keine Probleme mit dem Zusammenschluss.

Damals war nicht abzusehen, dass Sie eines Tages Bürgermeister der „neuen“ Gemeinde sein werden. Sieht man als Bürgermeister manches mit anderen Augen?

Als Bürgermeister sieht man manches mit anderen Augen und hat natürlich das Wohl der Gesamtgemeinde und das aller Einwohner zu berücksichtigen. Wie im normalen Leben gilt auch für eine Gemeinde, sich auf das Notwendige und Machbare zu konzentrieren.

War die Abschaffung der unechten Teilortswahl - die Gemeinderäte sollen das Ganze im Blick haben - ein folgerichtiger Schritt zur „Einheitsgemeinde“ ?

Die Abschaffung der unechten Teilortswahl war eine politische Entscheidung. Ein Thema war, dass man damit die Gesamtzahl der Gemeinderäte auf 22 begrenzen wollte, um die durch den Verhältnisausgleich entstandenen Ausgleichssitze überflüssig zu machen. Für das Zusammenwachsen und das Miteinander ist die Ortschaftsverfassung mit Ortschaftsräten und Ortsvorstehern von entscheidender Bedeutung.

Die Folge der Gemeindereform ist aber auch, dass eine der größten Flächengemeinden des Landkreises Lörrach entstanden ist. Worin sehen Sie das größte Problem einer Flächengemeinde dieser Größenordnung?

Das größte Problem ist, die ganze Infrastruktur wie Wasser, Abwasser, Straßen, Kindergärten, Schulen, etc. mit den begrenzten Einnahmen zu erhalten und weiter zu entwickeln. Dabei dürfen wir das Ziel, die Gemeinde liebens- und lebenswert zu halten, nicht aus dem Auge verlieren.

Es dreht sich wohl vieles ums liebe Geld. Der Kuchen, der zu verteilen ist, wird nicht unbedingt größer.

Dem ist so. Dennoch ist es mir als Bürgermeister und dem Gemeinderat wichtig, eine für das Zusammenleben notwendige Infrastruktur bereitzustellen.

Was ist die Gemeindereform für Sie als Bürgermeister: Fluch oder Segen?

Aus meiner Sicht kann die Gemeinde Steinen mit Stolz auf erfolgreiche 40 Jahre gemeinsamen politischen Handelns zurückblicken.

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