Todtnau Literarische Bandbreite internationaler denn je

Markgräfler Tagblatt
Ulla Steffan, Bachtyar Ali und Helmut Vogel                                                                                                                        Fotos: Ulrike Jäger Foto: Markgräfler Tagblatt

Literatur: Lesen auf dem Berg an verschiedenen Orten / Autoren lesen von Krisen, Krieg und Unterdrückung

Todtnau-Todtnauberg. Ob Lesen am Winterfeuer oder Eröffnung und Schlussveranstaltung im Hotel Engel: Drei Tage lang hieß es am vergangenen Wochenende wieder „Lesen auf dem Berg“. Die 12. Auflage der Literaturtage Todtnauberg bot an verschiedenen Orten Lesungen von ganz unterschiedlichen Schriftstellern und war internationaler denn je.

Traditionell wurde die Veranstaltung von Hansjörg Schneider im „Engel“ eröffnet. Der Mitinitiator der Literaturtage, Schweizer Dramatiker, Schriftsteller und Autor der „Hunkeler-Krimis“ las aus seiner gerade begonnenen Autobiografie mit dem Arbeitstitel „Aargauer Biografie“ und hatte noch zwei kurze Geschichten mit im Gepäck. Die eine fast poetisch, eine „Ode an den Rhein“, die andere ganz praktisch über die Klopapierrolle.

Die Lesetage haben ihre Anhänger, und die waren wieder zuhauf angereist – viele Eidgenossen darunter. Drei Autoren lasen aus ihren Werken, die sich mit Krisengebieten, Krieg und Unterdrückung befassen. Mit kurdischen Wurzeln waren dies Sherko Fatah und Bachtyar Ali, vor den Massakern auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking war Liao Yiwu aus China geflohen.

Die einzige Lesung unter freiem Himmel findet traditionell Samstagnachmittag statt, hier las Pedro Lenz aus Olten am offenen Feuer auf dem Radschert.

Mucksmäuschenstill wurde es im großen Kurhaussaal, als die Freiburger Autorin Annette Pehnt für Kinder las und zwar aus ihrem neuesten Kinderbuch „Alle für Anuka“, das von Philip handelt, der so gern mit seinen Eltern in den „Palmenclub“ verreist. Hier lernt er die kleine Anuka kennen, die jedoch nicht zum Urlaubmachen dort ist, sondern im Clubhotel arbeiten muss. Ein Buch über Armut und Ungerechtigkeit, Freundschaft und Solidarität, das die Kinder in den Bann zog.

„Hass entsteht durch Unwissenheit“

Zum guten Schluss las, wieder im Hotel Engel, Marie Malcovati aus Freiburg aus ihrem ersten Roman „Nach allem, was ich beinahe für dich getan hätte“.

Als Moderatoren fungierten Gerwig Epkes und Klaus Gülker vom SWR sowie die schweizerische Schriftstellerin und Buchhändlerin Ulla Steffan. Sie stellte am Samstagvormittag den Kurden Bachtyar Ali und sein Buch „Der letzte Granatapfel“ vor. Der professionelle Vorleser Helmut Vogel, Schauspieler und Synchronsprecher, zog die Zuhörer im voll besetzten Pfarrsaal sofort in den Bann, seine Stimme trug die Besucher ins Reich dieser Geschichte mit zwei Erzählsträngen: dem politisch geschichtlichen und dem orientalisch märchenhaften. Der Roman des 56-jährigen Bachtyar Ali, der unter Saddam Hussein sein Studium der Geologie abgebrochen hatte und nach einem Gefängnisaufenthalt aus dem Nordirak Mitte der 90er Jahre nach Deutschland kam, erzählt von einer alptraumhaften Suche eines Vaters nach seinem Sohn. Der einstige Peshmerga-Kämpfer Muzafari Subdham wird nach 21 Jahren im Wüstengefängnis entlassen und hat nur ein Ziel, seinen Sohn, den er als Säugling zurückgelassen hatte, wiederzufinden. Eine Odyssee durch das Nachkriegskurdistan nimmt ihren Lauf. Dem Säugling wurde zur Geburt ein gläserner Granatapfel in die Wiege gelegt, und Bachtyar Ali erzählt, dass der Granatapfel ein Symbol für friedliches Zusammenleben sei. Viele Kerne steckten zusammen in einer Hülle. Alles Gläserne, wie die gläsernen Schlüssel von Mohammadi Glasherz in seinem Roman, öffne die Türen in eine andere Wirklichkeit und stelle die Fragilität dar. Liebe und Hass stünden nah beieinander. Ali erklärt, dass er ein pessimistischer Mensch sei, der Mensch jedoch nicht von Natur aus böse sei. „Hass entsteht durch Unwissenheit“, sagt er.

Es habe ihn sehr gewundert, dass dieses Buch, das er bereits 2002 geschrieben hat, in der westlichen Welt so erfolgreich ist. Die Geschichte sei so unrealistisch, und die Leser hier seien doch eigentlich so rational.

Ali schrieb das Buch in seinem kurdischen Dialekt Sorani, und als er dann selbst Auszüge in seiner Muttersprache vortrug, war der Zuhörer ein weiteres Mal in den Bann gezogen, so melodiös und weich klang dies, dass das Leid, das hinter den Zeilen steckt, fast vergessen war. Aber nur fast.

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