Weil am Rhein (mme). „Ich wohne in Haltingen und stamme aus Haltingen“ – mit diesen Worten begann Susi Engler am Sonntag ihre Stadtführung zum Thema „Kindheit in der Constantin-Hierl-Siedlung“. Das war auch in jeder Minute ihres Vortrags zu spüren. Nicht nur, dass ihre Familie zu den Bewohnern gehörte, durch ihren hohen Bekanntheitsgrad konnte sie auch viele Zeitzeugen dazu interviewen und hat dabei alles akribisch aufgeschrieben. Antrieb war für Susi Engler, die seit einem Jahr zur VHS-Gruppe der Stadtführer/innen gehört, die Geschehnisse vor rund 70 Jahren, die es in keinem Buch, sondern nur in den Köpfen gibt, zusammenzutragen. Zum größten Teil, waren das Erzählungen von Zeitzeugen, die damals noch Kinder waren. Dazu verbrachte sie mehrere Stunden im städtischen Archiv und konnte mit Unterstützung der Stadtarchivarin Annika Debatin sogar noch einen eindrucksvollen Bauplan finden. Susi Engler nahm mit ihrem Auftritt in zeitgenössischer Kleidung und Frisur sowie einem Fahrrad, das wohl vom damaligen Fahrradgeschäft Stöcklin stammte, die rund 30 Teilnehmer, die auch das kalte und stürmische Regenwetter nicht abgehalten hat, mit auf eine Zeitreise. An der Wand des letzten Gebäudes der ehemaligen Firma Schumacher stehend, kamen Emotionen hoch, als sie über die Evakuierung und den Beschuss Haltingens erzählte und eine Karte vorlas, die eine Tante nach Basel geschrieben hatte: alles war zerstört, nur noch die Habseligkeiten, die in ein „Spankörbli“ passten, waren übrig. Wie gebannt zog der Spankorb, den Susi Engler auf dem Fahrrad mitführte, die Blicke dabei auf sich. Am Anfang erklärte sie die Entstehung und die Namensgebung der Siedlung, die nach dem Beschuss 1940, bei dem fast das ganze Dorf zerstört wurde, für 86 Familien eingerichtet wurde. Dazu machte sie Angaben zur Person des nationalsozialistischen Leiters des Reichsarbeitsdienstes (RAD) Konstantin Hierl. 500 obdachlose Rückkehrer mussten untergebracht und schnellstens Wohnraum geschaffen werden. Sie erklärte, wie die Siedlung mit den Holzbaracken westlich der Bahnlinie am Märktweg entlang entstanden ist. Es gab Gemeinschaftsräume für das Backen, Waschen oder Schlachten, eine zentrale Wasserentnahmestelle, keine Kanalisation, und die Toilettenhäuschen waren aneinandergereiht außerhalb der Wohnungen. Die Fenster ließen sich nur nach außen öffnen, um nach innen mehr Platz zu haben. Da man aufeinander angewiesen war, herrschte großes Vertrauen. Hilfsbereitschaft und Erfindergeist waren gefragt. Von 1941 bis 1947 haben aus dem kleinen Haltingen 108 Männer ihr Leben verloren, 57 galten als vermisst, und viele Frauen mussten sich allein durchkämpfen, oft mit Unterstützung von fremdländischen Arbeitskräften und Kriegsgefangenen, wobei es dafür ganz besonders strenge Vorschriften gab. Zu einem Bild mit 47 Kindergartenkindern in der Siedlung kamen spontan Ausrufe wie „da ist Schwester Elsa drauf, das war eine liebe Frau“. Wunsch nach Wiederholung Im Vorfeld der Führung hatte Susi Engler bereits mit Erich Rieger besprochen, dass er, falls die schlechte Wettervorhersage eintreffen sollte, seinen Fahrzeugunterstellplatz freiräume, damit sie mit ihrer Gruppe sich dort unterstellen könne. Das wurde sehr gern in Anspruch genommen. Wind- und regengeschützt in den letzten Überbleibseln der Barackensiedlung, wie sie nur im Volksmund hieß, lauschten die Teilnehmer den weiteren Ausführungen. Anhand einer mitgebrachten Holzlatte mit aufgemaltem Blumenmuster, die ein Überbleibsel einer Barackenwand war, ließ sich erahnen, welche Temperaturen in den strengen Nachkriegswintern darin herrschten. Dagegen wurde es in den Sommermonaten sehr heiß. Unzählige Details wie im Nationalsozialismus umgewandelte Abendgebete und Zählreime, Listen der Zuwendungen, wie die Familien anfangs mit dem Nötigsten versorgten wurden, Anekdoten über die Milchsammelstelle und das Alltagsleben, bis nach und nach die Rückkehr ins Oberdorf in neugebaute Höfe wieder möglich war, hatte die Stadtführerin zusammengetragen. Nach und nach verschwanden nach dem Krieg die Baracken wieder, und das Gelände wurde mit Häusern bebaut. Letzter Rest ist die ehemalige TV-Turnhalle, deren Gerüst nach dem Beschuss vom Oberdorf in die Siedlung umgesetzt wurde, als Heulager diente und heute noch im Anwesen der ehemaligen Schlosserei Rieger steht. Genauso wie ein Bollerofen mit der Aufschrift „Germane“. Eine letzte Baracke steht noch im Original in der Nähe der Grenzacher Kirche. Es war wohl eine der emotionalsten Stadtführungen. Lange standen noch einige Teilnehmer bei Susi Engler im Gespräch, und der Wunsch nach einer Wiederholung und weiterer Aufarbeitung, vielleicht in einer Ausstellung, wurde laut.