Weil am Rhein Pointenfeuerwerk eines echten Meisters

Weiler Zeitung
Arnulf Rating schlüpfte bei seinem mehr als zweistündigen Auftritt in zahlreiche Rollen, von Schwester Hedwig bis zum Enthüllungsjournalisten Karl-Heinz Stangl. Foto: Adrian Steineck Foto: Weiler Zeitung

Kabarett: Auftritt von Arnulf Rating in der Buchhandlung Müller / Häme über deutsche Politik

Von Adrian Steineck

Arnulf Ratings Auftritt in der Buchhandlung Müller begann am Sonntag gleich mit einer doppelten Überraschung: Zum einen kam nicht der Kabarettist selbst die Treppe hinunter, sondern Schwester Hedwig. Zum anderen verkündete diese den gut 20 Besuchern rundheraus, dass dies der letzte kulturell geprägte Abend in der Buchhandlung von Irimbert Kastl sei – „ab morgen sind hier Flüchtlinge.“

Weil am Rhein. Gleich in der ersten Minute hatte Arnulf Rating also zwei stilistische Wegmarken abgesteckt, die seinen Auftritt prägen sollten: das Rollenspiel und das Aufgreifen aktueller Geschehnisse. Nicht umsonst trägt das Programm des vielfach ausgezeichneten Kabarettisten den Titel „Rating akut“.

„Zeitung ist ein abhörsicheres Medium“

Immer wieder wird Arnulf Rating im Verlauf des Abends aus seinem Aktenkoffer einen Stapel Zeitungen ziehen, von der örtlichen Lokalpresse über die Berliner Zeitung bis zu „jener mit den vier großen Buchstaben“, wie er es nennt. Junge Menschen, konstatiert er, würden ja heutzutage kaum noch Zeitung lesen. „Dabei ist sie ein abhörsicheres Medium.“ Aber schon die Kulturtechnik des Lesens bereite Schwierigkeiten. In Zeiten, in denen Jugendliche das Taschentuch als App auf dem Handy hätten – „Wie kommen sie eigentlich auf dem Klo zurecht?“ – löse der zufällige Fund einer Zeitung in der Straßenbahn vielmehr den Reflex aus, über das Papier zu wischen und dann zu schimpfen, dass wohl der Akku alle sei.

Dabei lasse sich beim Zeitung lesen so viel entdecken. So etwa die Schlagzeile der Berliner Zeitung „Jeder dritte Berliner ist psychisch krank – viele arbeiten trotzdem“. „Eine bessere Charakterisierung unserer Bundesregierung habe ich noch nie gesehen,“ sagte Rating.

In rasantem Tempo ließ Arnulf Rating seine Pointen vom Stapel. Wer über einen Gag zu lange nachdachte, lief Gefahr, zwei andere zu verpassen. Dabei verschonte Rating sein Publikum auch nicht vor unangenehmen Wahrheiten: So zeigte er auf, dass die „Bild“ am Tag nach der Germanwings-Katastrophe in den französischen Alpen mit Trauerflor erschienen war und um die getöteten Menschen, unter ihnen auch 72 Deutsche, geklagt habe. Dass zur gleichen Zeit mehr als 400 Flüchtlinge im Mittelmeer ertranken, das sei, so Rating, hingegen buchstäblich auch im deutschen Blätterwald untergegangen.

Apropos Flüchtlinge: Als es während des Auftritts von Rating auf einmal im Obergeschoss der Buchhandlung zu rumpeln begann, mutmaßte der Kabarettist, dass wohl bereits die Feldbetten aufgestellt würden. Er ging hinauf und kam prompt als Kalkowsky wieder herunter. Der proletenhafte Arbeiter („Ich darf Neger sagen, bei mir stand das noch so im Kinderbuch“) bekannte, dass seine Tochter vier Kinder von fünf Männern aus sechs Nationen habe. Sein Sohn hingegen habe unter der von Finanzminister Wolfgang Schäuble verursachten „kalten Prozession“ zu leiden, so dass ihm kaum Geld zum Leben bliebe.

Und dann Angela Merkel, diese „Lady Gaga aus der Uckermark“, die sich zudem in ihren „Wendejahren“ befinde: „Immer wenn in Budapest Zäune gestürmt werden, dreht sie durch.“ Ja, Deutschland sei doch mittlerweile zum Gottesstaat mit Predigern aus dem „nahen Osten“ – Bundespräsident und Pfarrer Joachim Gauck sowie Bundeskanzlerin und „gelernte Pfarrerstochter“ Angela Merkel – geworden. Da sei es nur folgerichtig, dass auch die RAF wieder ihr Haupt erhebe und damit die Seniorenkriminalität in die Höhe treibe. Schließlich stammt die Rote Armee Fraktion aus einer Zeit, als der Terror noch eine deutsche Domäne war und nicht das Privileg arabischer Wickeltuchträger. Aber wen wundert es, wenn schon die deutschen Tugenden Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Sauberkeit von nationalen Konzernen vorgelebt würden: „Pünktlich wie die Deutsche Bahn, ehrlich wie die Deutsche Bank und sauber wie VW.“

Enthüllungsjournalist Karl-Heinz Stangl in Fahrt

Auch der Enthüllungsjournalist Karl-Heinz Stangl hatte so seine Ansichten zur politischen Lage. So fragte er, wie es sein könne, dass mit dem Foto des ertrunkenen Flüchtlingsjungen Aylan zwar das Bild einer missglückten Flucht veröffentlicht werden könne, aber niemals ein Kriegsbild: „Sie werden nie das Bild eines Drohnenopfers in einer Zeitung sehen.“ So sei auch der immer wieder zitierte Vergleich mit dem ikonisch gewordenen Foto eines nackten, verbrannten Mädchens aus der Zeit des Vietnamkriegs nicht zutreffend.

Nach gut zwei Stunden schwindelerregendem Pointenfeuerwerk, bei dem den Zuschauern das Lachen immer wieder im Halse stecken geblieben war, wussten alle, dass sie hier einen echten Meister des politischen Kabaretts gesehen hatten. Ratings Fazit: „Wir brauchen mehr Verrückte – wir sehen ja, wohin uns die Normalen gebracht haben.“

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