Ich habe noch nie in einer deutschen Verwaltung gearbeitet und muss daher noch viel lernen, gerade was die Zuständigkeiten angeht, aber auch mit Blick darauf, was die Flüchtlinge selbst erledigen müssen. Bislang habe ich noch nicht viele getroffen, aber von denen, denen ich begegnet bin, kann ich sagen, dass sie sehr offen sind. Das sind Menschen wie du und ich, die in einer schwierigen Situation sind und ihren Platz in Deutschland suchen.
Persönliche Begegnungen vermitteln ein differenzierteres Bild als die Wahrnehmungen der Flüchtlingsthematik durch Medien?
Wenn in den Nachrichten darüber berichtet wird, sieht man nur die Masse, die zu uns kommt. Aber dahinter stecken persönliche Schicksale von Menschen, die einfach Pech hatten. Menschen, die Träume und Pläne gehabt haben, so wie wir sie auch haben. Nun müssen sie ihr Leben neu organisieren.
Sie haben sich in Ihrer Dissertation mit Migration, Mehrsprachigkeit und Identität befasst – ein Thema, das aktueller denn je ist. Welche Auswirkungen hat Migration auf die Identität eines Menschen?
Wir dürfen nicht glauben, dass wir mit Sprachkursen und Integrationsmaßnahmen das Denken und Fühlen der Menschen komplett verändern können. Man kann die vorangegangenen Jahre nicht löschen, die Vergangenheit wirkt immer in die Gegenwart hinein. Diese Menschen bringen sehr viel mit, sprachlich und auch kulturell. Die Flucht aus der Heimat und das Ankommen in einem fremden Land sind eine große Veränderung: Es funktioniert nichts mehr so wie man es gewohnt ist, man hat nicht mehr denselben Status und muss seinen Platz in der Gesellschaft erst finden. Aber wir können diese Menschen integrieren, und diejenigen, die in ihre Heimat zurückkehren, werden wiederum etwas mitnehmen und nicht mehr dieselben sein.
Wie wirkt sich Migration auf die Gesellschaft aus? Diesbezüglich sind die Ängste in der Bevölkerung groß.
Die Ängste sind in den Köpfen der Menschen, dabei haben die meisten, die sich Sorgen machen, noch gar keinen direkten Kontakt mit Flüchtlingen gehabt. In der Realität muss man nicht viel mit Flüchtlingen zu tun haben, wenn man das denn nicht möchte. Aber natürlich wird die Stadt bunter, wenn diese Menschen dauerhaft bleiben. Ob sich aber die Gesellschaft verändert und sich Wertekonstrukte verschieben, hängt entscheidend davon ab, wie gut wir die Menschen integrieren und sie ein Teil unserer Gesellschaft werden lassen. Ich lebe seit zwölf Jahren in Deutschland. Ich werde immer eine Finnin bleiben, trotzdem kann ich in diesem Land leben, arbeiten und ein Familienleben pflegen. Ich kann mich in der Gesellschaft einbringen und dazu beitragen, dass das Miteinander funktioniert.
Wo Zuwanderung ist, ist auch Skepsis und sogar Abneigung. Das spüren wir in Deutschland zunehmend, rechtspopulistische Strömungen werden stärker. Umfragen zufolge liegt die AfD bei zwölf Prozent. In Ihrer Heimat ist das kein neues Phänomen: In Finnland ist die rechtspopulistische Partei „ Perussuomalaiset“ Teil der Mitte-Rechts-Regierungskoalition. Bei den Parlamentswahlen 2011 erhielt sie 19 Prozent der Stimmen und ist somit drittstärkste Partei. Sehen Sie Parallelen?
Deutschland ist seit den 60er Jahren mit Migration vertraut. In Finnland haben sich die Menschen noch nicht daran gewöhnt, dass es dort inzwischen viele Menschen gibt, die eine andere Sprache sprechen und anders aussehen. Den Finnen geht es schon seit einigen Jahren wirtschaftlich schlecht, die Arbeitslosenquote steigt und die Zukunftsperspektiven sind nicht rosig.
Dazu kommt die hohe Zahl an Flüchtlingen, die aufgenommen werden müssen. Das führt zu einer Spaltung der Gesellschaft. Die Linken beschimpfen die Rechten als fremdenfeindlich, die Rechten wiederum sagen, sie seien blauäugig, würden die ganze Welt umarmen und Integrationsprobleme verharmlosen. Zu kurz kommt die vernünftige Gruppe, die anerkennt, dass der Zustrom an Menschen natürlich Konfliktpotenzial birgt, aber auch aufsteht, um es anzupacken, damit die Probleme gelöst werden. Diese Diskussion fehlt in Finnland derzeit.
... und Unterschiede?
Der größte Unterschied ist meiner Meinung nach, dass es in Deutschland eine klare Haltung gegen Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gibt und auch politisch Stellung bezogen wird. In Finnland wird das nicht so deutlich geäußert. Dort hat man Angst davor, „Rechtsextremismus“ zu benennen. Auch insgesamt ist die Stimmung hier freundlicher und die Hilfsbereitschaft sehr groß. Klar gibt es in Finnland auch Kleiderspenden, aber kein so professionelles Netzwerk an Ehrenamtlichen, die sich vielfach einbringen und die Verwaltung der Kommunen in diesem Maße unterstützen wie in Deutschland.
Die Fragen stellte Carina Stefak