Weil am Rhein Von Marx zitiert, vom Papst geheiligt

Weiler Zeitung
Martin Jösel liest kommenden Montag aus Thomas Morus „Utopia“. Foto: Jasmin Soltani Foto: Weiler Zeitung

Lesung: Martin Jösel über Thomas Morus und seinen vor 500 Jahren gedruckten Roman „Utopia“

Genau 500 Jahre alt und doch hoch aktuell: Mit dem englischen Politiker, Humanist und Autor Thomas Morus und seinem im Jahr 1516 erschienenen Zukunftsroman „Utopia“ befasst sich der Literaturwissenschaftler und Lehrer am Kant-Gymnasium, Martin Jösel, am Montag, 12. Dezember, 19 Uhr in der Buchhandlung Müller.

Weil am Rhein. In seiner „Utopia" – eigentlich ein fiktiver Reisebericht – nimmt Morus den Leser mit in ein erfundenes Inselreich, in dem eine ganz andere Gesellschaftsstruktur herrscht, als der Diplomat und Jurist Morus zu Lebzeiten vorfand und die er als schreiend ungerecht empfand. Anders als im feudalen England unter der Herrschaft Heinrich VIII. lebten die Utopier ein friedliches Leben, ohne Geld und Privateigentum, ohne Klassenunterschiede, aber mit klar definierten Aufgaben und in religiöser Toleranz.

„Deswegen wurde Morus gerne von Karl Marx zitiert“, erläutert Jösel, der sich intensiv mit dem Erfinder des Wortes „Utopie“ und seinem Werk befasst hat, das für ihn auch heute noch „hoch modern“ ist.

Das gilt nicht nur für die Erzählform, bei der sich der Autor hinter einem fiktiven Erzähler zurückzieht und das Ende des Romans offen lässt. Auch inhaltlich sei das Werk faszinierend und aktuell, spiegele es doch im Ringen um eine menschlichere Zukunftsgestaltung ein mögliches Denkmodell wider, bei dem es auch um die Balance zwischen Solidarität der Gemeinschaft und Individualismus geht.

„Wir brauchen Denkmodelle, wie unser Zusammenleben in Zukunft aussehen soll“, ist Jösel überzeugt. Das Wort „alternativlos“ sei eine „schlimme Vokabel“. Deshalb hat er seine Schüler am Kant-Gymnasium mit dem Leben von Thomas Morus, seiner Denkweise, seiner Kritik an der schreienden Ungerechtigkeit des feudalen Systems und mit seinen bekanntesten Werk vertraut gemacht und ihnen Textauszüge daraus zusammengestellt. Und er hat die Schüler selbst Utopien niederschreiben lassen. „Elementare, teils sehr bewegende Texte sind dabei herausgekommen“, sagt der Lehrer. Einige will er am Montagabend rezitieren.

Jösel sieht den Abend auch als Annäherung an die historische Person Thomas Morus, der ein Freund des Erasmus von Rotterdam war, der ihn zur „Utopia“ animierte, und ein Zeitgenosse Martin Luthers. Morus’ Roman wurde im Oktober 1516 in der belgischen Stadt Leuven gedruckt, nur wenige Monate bevor Luther 1517 seine 95 Thesen in Wittenberg veröffentlichte.

Mit dem großen Reformator hatte Morus aber nichts am Hut. Er blieb zeitlebens ein überzeugter Katholik und treuer Anhänger des Papstes, was ihm noch zum Verhängnis werden sollte. Weil er sich weigerte, seinen Landesherren, Heinrich VIII., in dessen Diensten er als hochgeschätzter Diplomat einst stand, als Oberhaupt der anglikanischen Kirche anzuerkennen, wurde er enthauptet. Papst Pius IX. sprach Morus im Jahr 1935 heilig, wohl auch als Reaktion auf das Nazi-Regime.

Im aktuellen Erasmusjahr in Basel und im kommenden Lutherjahr aber „geht Morus verloren“, hat Jösel festgestellt. Kaum jemand gedenke in Deutschland des Jubiläums der „Utopia“, die 1524 erstmals in Deutsch übersetzt wurde. Nur in Leuven, wo das Buch erstmals gedruckt wurde – das Gebäude steht noch –, wird dieses Kapitel europäischer Literaturgeschichte kräftig gefeiert.

Mit dem Ort verbindet Jösel durchaus auch Persönliches: ganz in der Nähe hat er einige Jahre an der Deutschen Schule unterrichtet.

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