175 Jahre Badische Revolution Bürgermeister mit Strick um den Hals

Bernhard Winterhalter
Auf der Scheideck wurde im Jahr 1889 ein Gedenkstein an der Stelle aufgestellt, an der das Gefecht zwischen den Truppen des Generals Friedrich Freiherr von Gagern und den Freischärlern unter dem Anührer Friedrich Hecker stattgefunden hat. Die unmittelbar davor befindliche Gedenktafel mit den Namen einiger gefallener Freischärler wurde in den 1960er Jahren angebracht. Foto: Bernhard Winterhalter

Der 20. April 1848 wird im Zusammenhang mit der Badischen Revolution (1848/49) immer als wichtiges Datum genannt. An diesem Gründonnerstag fand auf dem Bergsattel der Scheideck bei Kandern ein bedeutendes Gefecht statt, das sich zum 175. Mal jährt.

Es war ein kurzes Gefecht zwischen den regierungstreuen Soldaten des Generals Friedrich Freiherr von Gagern (1794 bis 1848) und den Freischärlern mit dem Anführer Friedrich Hecker (1811 bis 1881). Gleich zu Beginn der Auseinandersetzungen wurde der Befehlshaber der Regierungstruppen tödlich verwundet. Mit ihm sollen weitere zehn Aufständische und ein Grenadier aus dem Karlsruher Leibregiment gefallen sein.

Andere Quellen berichten von vier Opfern aus Gagerns Gefolgschaft und 29 Toten auf Seiten der Republikaner. Dieses historische Ereignis wird in allen Darstellungen der Badischen Revolution ausführlich erwähnt und umfassend beschrieben.

Vom Bürgermeister Johann Georg Schanzlin und seinen Verdiensten um die Stadt Kandern

Darüber hinaus gibt es aber auch eine Vielzahl an Nebenschauplätzen dieser revolutionären Bewegung, die nicht weniger interessant sind und zusätzliche Informationen zu den Geschehnissen geben. Dazu gehört bei der Aufzählung verschiedener Persönlichkeiten dieser Zeit auch ein Name, der meistens zu kurz kommt: Johann Georg Schanzlin (1810 bis 1881).

Er wurde insgesamt dreimal zum Bürgermeister von Kandern gewählt, zunächst für die Zeit von 1840 bis 1844 und ein weiteres Mal von 1848 bis 1859. Eine nochmalige Wiederwahl im gleichen Jahr nahm er jedoch nicht mehr an. Schanzlin genoss nicht nur höchste Anerkennung in der Kanderner Bevölkerung, sondern ihm wurde auch weit über die Gemarkungsgrenzen hinaus größte Wertschätzung zuteil. Diese außergewöhnliche Akzeptanz kommt unter anderem im Jahr 1842 zum Ausdruck, als er zum Deputierten des Landtags gewählt wurde. Bei ihm holten sich die Vertreter der großherzoglichen Regierung jederzeit Rat und er wirkte sogar regelmäßig bei der Besetzung der Bürgermeisterposten in der Region mit. Er galt zweifellos als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten auch in der gegenrevolutionären Bewegung.

Vor allem wurde ihm zugutegehalten, dass er nichts unversucht ließ, jene revolutionären Zeitgenossen der Jahre 1848/49 niederzuhalten, die allein mit Willkür und Gewalt versuchten ihre Interessen durchzusetzen. Damit wollte er größeren Schaden und noch mehr Unglück von seiner Stadt abwenden. Jedoch kostete ihm gerade dieses Engagement fast das Leben. Das beachtenswerte Buch „Die Revolutionäre und der Aufstand des Jahres 1849“ von Theodor Scholz, herausgegeben 1926, enthält beeindruckende Schilderungen von Zeitzeugen, welche die Praktiken der Freischaren an ihrem eigenen Leib qualvoll erleben mussten.

Die unmenschliche Vorgehensweise der Revolutionäre findet wenig Zustimmung in Kandern

Auf erschütternde Weise wird bei diesen detaillierten und von Schanzlin teils selbst verfassten Beschreibungen der brutale Umgang der Rädelsführer mit jenen Mitmenschen offenbar, die nicht zu den alles bejahenden Mitläufern und unterwürfigen Befürwortern der Revolution zählten. Die „Republikaner“, wie sich die Freischärler gerne nannten, hatten jedoch nur wenige Anhänger in Kandern.

Schanzlin und einige Kanderner wollten am 24. Juni 1849 an einer Versammlung mit regierungstreuen Gefährten in Binzen teilnehmen. Doch schon bei der Ankunft nahm ein sogenanntes Exekutionskorps der Republikaner alle gefangen und brachte sie zunächst ins Gefängnis nach Lörrach. Dort wurden ihnen alle Habseligkeiten, die sie mit sich führten, abgenommen.

Tags darauf holten militante Aufrührer abends um 18 Uhr Schanzlin und seine Begleiter ab, um sie nach Kandern zu schaffen. Dem Bürgermeister legten diese sogenannten Freiheitskämpfer einen Strick um den Hals, den anderen wurde ein Seil am Arm befestigt. Aber damit nicht genug: Die Revoluzzer banden die Gefangenen mit den Seilen an mehreren Wagen fest und zwangen sie, den stundenlangen Marsch nach Kandern gefesselt und zu Fuß durchzustehen. Eine quälende, weite Strecke lag vor ihnen. Dagegen machten es sich der kommandierende Oberst der radikaldemokratischen Revolutionäre Felix Raquilliet (1778 bis 1863) und seine Kumpane in Kutschen bequem und fuhren auf überaus behagliche Art und Weise Richtung Kandern.

Der Bürgermeister wird auf demütigende Weise unter Gejohle durch die Stadt gezogen

So begab sich der Tross auf den Weg, wo er um 23 Uhr abends in Kandern ankam. Am Ortseingang mussten sich alle zu einem „feierlichen Einzug“ aufstellen. Voran marschierte die Musik, dann folgten bewaffnete Aufständische, hierauf die an die großen Leiterwagen angebundenen Gefangenen. Bürgermeister Schanzlin, immer noch mit dem Strick um den Hals, zogen die Peiniger in demütigender Art mit lautem Gejohle durch seine Stadt. Dieses schändliche Treiben endete erst beim Rathaus in der Stadtmitte. Die Kornhalle (heute Durchgang beim alten Rathaus) im Erdgeschoss des Gebäudes diente nun als Gefängnis, in welchem die misshandelten Kanderner eingekerkert wurden.

Am anderen Tag brachten die Rebellen mit Unterstützung der herbeigerufenen Freiburger Bürgerwehr einen Teil der Inhaftierten, darunter auch Schanzlin, nach Freiburg in die Haftanstalt. Der Revolutionär Lorenz Brentano (1813 bis 1891), der für eine kurze Zeit an der Spitze der provisorischen Regierung stand, hatte beschlossen, die Gefangenen tags darauf erschießen zu lassen. Mit sehr viel Glück entgingen sie nur knapp dem Tod durch das Standgericht der Republikaner. Ein Staatsanwalt namens Reich und dessen Stellvertreter Gustav Struve (1805 bis 1870) erklärten, aufgrund der gegen die Gefangenen vorliegenden Erkenntnisse keine Anklage erheben und begründen zu können. Dieser Auffassung schloss sich der Richter des Standgerichts glücklicherweise an.

Am 1. Juli 1849 kamen sie daraufhin frei, weil ihnen tatsächlich nichts vorgeworfen werden konnte. Der Empfang in Kandern war überwältigend. Die Bürger des Städtchens schätzten sich glücklich, dass alle verhafteten Kanderner trotz der schweren Misshandlungen einigermaßen wohlbehalten wieder heimkehren konnten.

Der damalige Bürgermeister Schanzlin und seine gleichgesinnten Weggefährten mussten brutale Gefangennahme, schlimmste Demütigungen und übelste Behandlungsmethoden erleiden. Zahlreiche Aufständische von anno dazumal, die heute gerne noch als die Vorbilder für Freiheit und Demokratie bezeichnet werden, gehörten wahrlich nicht zu den besten Vertretern dieser historischen Bewegung.

Mit einem menschenwürdigen Benehmen hatten ihre Aktionen überhaupt nichts zu tun. Im Gegenteil: Viele der Aufständischen der Jahre 1848 und 1849 waren weit davon entfernt, auch nur ansatzweise besser zu sein als jene, die sie bekämpft hatten.

Allein der furchtbare Umgang mit Johann Georg Schanzlin, dem seinerzeit amtierenden Stadtoberhaupt von Kandern, ist der überzeugende Beweis.

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