Bad Bellingen Viele kämpfen mit Kriegstraumata

Jutta Schütz
Sozialarbeiterin Daria Shemetova betreut rund 80 Flüchtlinge aus der Ukraine. Foto: Jutta Schütz

Ukraine-Krieg: Die Soziologin und diplomierte Sozialarbeiterin Daria Shemetova betreut und berät in Bad Bellingen derzeit rund 80 Flüchtlinge aus der Ukraine. Seit kurzem hat sie ein eigenes Büro in der ehemaligen Zunftstube der Bogdemolli, das die Gemeinde zur Verfügung gestellt hat.

Shemetova freut sich sehr über das eigene Büro vor Ort, dass die Gemeinde Bad Bellingen zur Verfügung gestellt hat. Angestellt ist sie in der Flüchtlingssozialberatung bei Diakonischen Werk des Landkreises Lörrach.

Die 43-Jährige stammt aus Charkiw und damit aus der zweitgrößten Stadt der Ukraine und ist bereits seit drei Jahren in Deutschland. Studiert hat sie Soziologie an der Karasin-Universität in Charkiw. „Charkiw ist oder war bis zum Beginn des Kriegs in der Ukraine mit mehr als 40 Hochschulen der größte Bildungsstandort des Landes“, informiert sie. In Deutschland angekommen, lernte sie zunächst Deutsch und spricht es mittlerweile fast fließend.

Shemetovas Familie stammt zur Hälfte aus der Ukraine und zur Hälfte aus Russland – deshalb trifft sie der Krieg besonders und „macht mich sehr traurig, denn Krieg betrifft am meisten die ganz normalen Menschen, die einfach nur ein gutes, friedliches Leben haben möchten und sich gar nicht so sehr für Politik interessieren“, findet sie. Seit März 2022 arbeitet sie für die Diakonie. „Nach Ausbruch des Krieges habe ich gehört, dass Flüchtlinge aus meiner Heimat nach Bad Bellingen kommen, da habe ich selbstverständlich spontan helfen wollen – es wurden ja auch quasi sofort Räume und andere Unterbringungsmöglichkeiten gesucht“, erinnert sie sich.

Sie lernte, als die ersten Flüchtlinge eintrafen, Christina Hopfner, Fachbereichsleiterin Migration bei der Diakonie und Nazmije Mahmutaj, im Fachbereich mitverantwortlich für die sprachliche und integrative Förderung von Frauen mit Migrationshintergrund bei der Diakonie, kennen. „Wir haben uns sofort gut verstanden und es war klar, dass ich mit meinem Beruf und darüber hinaus mit der Möglichkeit aus dem Russischen und Ukrainischen ins Deutsche und umgekehrt zu übersetzen, wirklich etwas Nützliches machen konnte“, erklärt die Soziologin im Gespräch mit unserer Zeitung.

„Die Integration der Menschen, die aus dem Kriegsgebiet hierhin gekommen sind, liegt mir wirklich am Herzen“, sagt Shemetova. Viele der ukrainischen Flüchtlinge, die nun in Bad Bellingen leben, sind Frauen, Kinder und ältere Menschen. Sie kommen aus dem umkämpften Osten des Landes, zudem aus den Städten wie Charkiw, Kiew und Odessa. „Viele kämpfen mit Traumata des Krieges und damit, dass Brüder, Väter, Männer kämpfen müssen – nur Männer mit vier Kindern, Jungen, die noch unter 18 Jahre alt sind und alte Männer dürfen die Ukraine verlassen“, informiert sie.

Viele kommen aus dem umkämpften Osten

Einige der Flüchtlinge sind sehr gebildet, sprechen Englisch, haben studiert oder einen Beruf erlernt. „Von diesen sind einige schon eifrig dabei, Deutsch zu lernen, manche können Englisch, das hilft – „sie wollen dem Staat und der Gemeinde nicht auf der Tasche liegen, sie wollen arbeiten – meine Landsleute sind allgemein sehr fleißig“, berichtet Shemetova.

Für Frauen, die allein mit Kindern hier sind, sei das Lernen aber nicht einfach – „die Kinder tauen durch Kontakte um Kindergarten und in der Schule oft schneller auf, sie lernen auch die Sprache schneller“, berichtet sie.

Viel Hilfsbereitschaft in der Gemeinde

Die Gemeinde und Bürgermeister Carsten Vogelpohl sowie die vielen hilfsbereiten Bürger und die Mitarbeiter bei der Diakonie schätzt Shemetova ungemein. „Alle sind enorm hilfsbereit, es haben sich Gruppen gebildet, die die Flüchtlinge unterstützen – vor allem für die behinderten Menschen, die aus der Ukraine kamen und nun im Marienheim untergebracht sind, und um die sich unter anderem Marion Koch als Ansprechpartnerin kümmert, ist Sicherheit sehr wichtig“, schildert sie die Erfahrungen. Schwer ist es für die älteren Flüchtlinge, die deutsche Sprache zu lernen. „Aber über ein Projekt des Landratsamts können wir jetzt in einer Gruppe für ältere Menschen Deutsch anbieten, das Projekt soll erst einmal ein Jahr dauern und wird rege genutzt“, weiß sie. Auch Deutschkurse für Kinder und Jugendliche laufen in Bad Bellingen. „Was mich sehr freut ist, dass mehrere Flüchtlinge bereits eine Arbeit gefunden haben“, sagt die Soziologin.

Erzieherinnen und Lehrerinnen

Bei den Frauen etwa gibt es mehrere mit einer guten Ausbildung, zum Beispiel eine Erzieherin und eine Englisch-Lehrerin – bei den Männern hat einer Maler gelernt. „All diese Erwachsenen haben hier gute Chancen mit ihrer Erfahrung, wenn sie erst einmal einigermaßen gut Deutsch beherrschen“, glaubt Daria Shemetova. Sie hilft auch bei Kontakten zum Jobcenter und beim Ausfüllen von Formularen. Wichtig sei zudem, herauszufinden, wie sich Berufsausbildungen und Diplome anerkennen lassen.

Eine strukturierter Alltag und eine sinnvolle Beschäftigung sind wichtig für Flüchtlinge, die man integrieren will. Das Wichtigste sind Kontakte zur Bevölkerung, zu Nachbarn und Vereinen, ist sie sicher. „Zudem brauchen wir unbedingt noch Menschen, die aus dem Russischen oder Ukrainischen ins Deutsche und umgekehrt übersetzen können, und zum Beispiel als Begleiterinnen oder Begleiter bei Arztbesuchen zur Verfügung stehen“, wünscht sie sich.

Die Flüchtlinge seien den Helfern und der Gemeinde mit Bürgermeister und Verwaltung sehr dankbar für Spenden, für die Unterkunft und alle Angebote, bei denen man mitmachen kann. „Sie haben sich sehr gefreut, dass sie etwas zurückgeben sich bei Herbstmarkt und Weihnachtsmarkt einbringen konnten“, ist der Soziologin wichtig zu erwähnen.

Seit Mitte Januar kann die Diakonie die Betreuung der ukrainischen Geflüchteten in ihrem neuen Büro in der Rheinstraße 27 wahrnehmen. Daria Shemetova von der Diakonie betreut die Geflüchteten in der Unterkunft im Hebelweg und die dezentral in Wohnungen untergebrachten Menschen. Von Montag bis Donnerstag ist sie vor Ort erreichbar.

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