Von Dorothee Philipp Badenweiler. Die Familiensaga hätte vielleicht auch Stoff für einen Film abgegeben: Die Geschichte der sieben Generationen der Familie Levi-Mager aus Müllheim und Badenweiler, die Rolf Schuhbauer in einem Vortrag im Badenweiler Ratssaal aufrollte, war voll von menschlichen Episoden, traurigen und lustigen, spannenden und rührenden. Doch Verfolgung, Vertreibung, Deportation und Mord setzten in der Zeit der Nazi-Diktatur dieser mehr als 200 Jahre alten ländlich-beschaulichen Familiensaga ein brutales Ende. Davon berichten vier nebeneinander liegende Stolpersteine vor dem Eingang jenes Hauses, das einst das Hotel Bellevue war, mit einem prächtigen Terrassensaal und internationaler jüdischer Kundschaft. Die Saga begann schon lange bevor der Müllheimer Seifensieder David Levi Mager nach der neuen bürgerrechtlichen Gleichstellung, die ab 1864 den Juden Freizügigkeit gestattete, in Badenweiler ein Hotel mit 25 Zimmern und Restaurant errichtete. Grabstein von 1774 ältestes Zeugnis der Familie Ausgangspunkt der Forschungen Schuhbauers ist ein Grabstein auf dem Sulzburger Friedhof als ältestes Zeugnis dieser Familie. Er erinnert an den 1774 verstorbenen Arje bar Avigdor ha-Levi, einen wohlhabenden Schutzjuden aus Müllheim, der in der dortigen kleinen jüdischen Gemeinde das Kantorenamt versah. Da Arje übersetzt „Löwe“ heißt, wurde er auch „Löwel“ genannt. Löwel Levi war zwischen 1719 und 1730 nach Müllheim gekommen. Bestattet wurden die Müllheimer Juden zunächst auf dem Sulzburger Friedhof, dorthin war es ein langer und beschwerlicher Weg von 20 Kilometern. Erst als die jüdische Gemeinde in Müllheim wuchs, wurde dort 1851 ein Friedhof für die Juden eingerichtet. Dass 1809 die Familie den Namen „Mager“ annahm, ist eine Folge des Judenedikts, das Landesherr Karl-Friedrich am 13. Januar verkünden ließ und das von den Familien einen „erblichen Zunamen“ forderte. Warum man sich für „Mager“ entschied, ist unklar, Schuhbauer vermutet, dass ein Schuss Ironie bei dieser Wahl mitschwang, da der Viehhandel, den die Nachkommen von Arje „Löwel“ Levi betrieben, nicht sehr erfolgreich war. Eine starke Persönlichkeit dieser weit verzweigten Familie, die sich bald in einen Badenweiler und einen Müllheimer Zweig aufteilte, war Fanny, geboren 1855, die Frau des einzigen Sohnes von Hotelgründer David Levi Mager, Liebmann. Das Paar hatte vier Kinder, Julius, Emma, Flora und Ida. Schon im Alter von 37 Jahren starb Liebmann 1886 nach schwerer Krankheit, und Fanny musste das große, inzwischen bestens eingeführte Hotel alleine weiter führen. Zudem starb kurz nach Liebmanns Tod auch die kleine Ida im Alter von elf Monaten. Als der Kurort für jüdische Gäste gesperrt wurde Das Hotel blühte unter ihrer Leitung auf, es kamen Gäste aus der Schweiz, Frankreich, Österreich-Ungarn und Russland. Fanny erweiterte und baute um, unter anderem ließ sie den Terrassensaal mit seinen großen Glasfassaden anbauen. Erst zum 1. April 1927 übergab sie die Leitung des Hauses an ihren Sohn Julius. Nach Schuhbauers Recherchen war sie nicht nur als Unternehmerin tatkräftig, sondern brachte ihren Enkelkindern Julie, Marguerite, Gertrude und Louis Liebmann im Thermalbad das Schwimmen bei. Am 9. März emigrierte sie im Alter von 83 Jahren nach Straßburg zu ihrer Tochter, wo sie den dritten Kriegsausbruch erleben musste. Die Familie zog über Mulhouse dann nach Enghien-les-Bains bei Paris, wo Fanny 1940 starb. Julius hatte 1912 Céline Levy aus Sarrebourg geheiratet, mit der er das Hotel Bellevue bis 1938 betrieb. Dann wurde Badenweiler für jüdische Gäste gesperrt und Julius musste das Haus verkaufen, seine Existenzgrundlage war zerstört. Über Mulhouse kam die Familie dann nach Enghien-les-Bains. Am 11. Oktober 1943 kamen die beiden Töchter Julie und Marguerite verspätet nach Hause und sahen, wie ihnen die Mutter vom Fenster aus Zeichen gab, wegzugehen. Aus der Entfernung mussten sie mit ansehen, wie die französische Gendarmerie die Eltern und ihre Geschwister Gertrude und Louis Liebmann wegführten. Ihnen gelten die vier Stolpersteine in der Badenweiler Luisenstraße: Julius, Céline, Gertrude und Louis Liebmann Levi Mager wurden 1943 in Auschwitz ermordet. Persönlichen Kontakt konnten Rolf und Inge Schuhbauer zu einem Enkel Marguerites, Nathan, aufbauen, der anlässlich des Vortrags einen anrührenden Brief geschrieben hatte, in dem er versicherte, im Geist dabei zu sein. „Es ist ein Stück Heimat mit diesen Menschen verloren gegangen“, stellte Schuhbauer nach seinem Vortrag fest.