Badenweiler Lesung mit leichter Gänsehaut

Weiler Zeitung
Auftakt der Badenweiler Literaturtage: Monika Maron im Gespräch mit Rüdiger Safranski Foto: Dorothee Philipp Foto: Weiler Zeitung

Monika Maron eröffnet Literaturtage in Badenweiler

Von Dorothee Philipp

Badenweiler. Die dritten Badenweiler Literaturtage stehen unter dem Motto „Spiel mit der Zeit“. Zur Eröffnung las am Donnerstag die Schriftstellerin Monika Maron aus ihrem jüngsten Roman „Zwischenspiel“. Es ist das Charisma des Kurortes und des Kuppelsaals im Hotel Römerbad, das den Literaturtagen ihr einzigartiges Gewand gibt. Dazu kommt als Glücksfall das dicht geknüpfte Netzwerk zu prominenten Schriftstellern der ersten Garde, über das der Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und fernsehbekannte Vorzeigephilosoph Rüdiger Safranski als Einwohner von Badenweiler und als Organisator der Reihe verfügt. 2013 kam sogar die scheue Nobelpreisträgerin Herta Müller auf seine Einladung hin nach Badenweiler.

Jetzt also Monika Maron. Atemlos folgte ihr das Publikum in die Welt der nicht mehr ganz jungen Ruth, die den Tag der Beerdigung ihrer besten Freundin und Schwiegermutter Olga schildert. Mit großer erzählerischer Meisterschaft navigiert Maron ihre Ich-Erzählerin in einen Schwebezustand der Wahrnehmung, ausgelöst durch eine plötzlich auftretende Sehstörung und eine kleine Wolke am Himmel, die plötzlich ihre Zugrichtung ändert. Das alles wird so nüchtern und sachlich reflektiert wie in Kafkas „Verwandlung“, fast mit naturwissenschaftlicher Präzision, was die Ereignisse für den Leser umso verwirrender macht.

Die beklemmende Stimmung, die sich mit jeder weiteren Seite auf den Leser legt, wird nicht von plastischen Adjektiven und ausschmückenden Umschreibungen generiert, sondern allein von dem mit der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks voranschreitenden nüchternen Protokoll der Geschehnisse. Irgendetwas rollt da auf einen zu, will sich Bahn brechen.

Den nüchternen, kühlen Ton hält Maron von Anfang an durch. Ruth erlaubt sich nur selten einen kleinen Anflug von Humor. Hin und wieder blitzt in dieser wie auf einem Seziertisch analysierten Familiensaga das Gesellschaftskolorit der DDR auf: Hendrik, Ruths zweiter Mann hat Ärger mit der Zensurbehörde, weil in seinem Buch die Wörter „Stasi“ und Mauer“ stehen und er es deswegen in einem Westverlag publiziert. Genau wie Maron ihren Erstling „Flugasche“.

Die Dialoge mit der Verstorbenen und später mit dem ebenfalls längst verstorbenen genialischen Saufkumpan ihres zweiten Mannes, der zu einer himmelhoch greifenden Deutung des Bildes „Der Schrei“ von Munch ausholt, wirken so realistisch, dass einem eine leichte Gänsehaut überläuft. Auch wenn Autoren selbst nicht immer die begnadetsten Vorleser sind, wirkte in diesem Fall die monotone, bisweilen angestrengt wirkende Rezitation als zusätzliches Stilmittel.

Die Fragerunde mit Safranski gestaltete sich nach der langen Lesung recht kurz. Mit prägnanten Wortfindungen und Formulierungen wie „Spurenelemente der Schuld“ fasste er die Eindrücke noch einmal zusammen. Der Autorin entlockte er, dass sie die wichtigen Figuren in ihrer Erzählung vor der Niederschrift schon charakterisiert hat, sie sich aber während des Schreibens in Nuancen doch verändern. Insgesamt eröffne das Buch eine düstere Aussicht auf die Zukunft, waren sich die beiden Gesprächspartner einig. u  Literaturtage Badenweiler noch bis Sonntag. Programm unter www.literaturtage-badenweiler.de

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