Badische Revolution von 1848 „Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle“

Hubert Bernnat
Ausrufung der Republik am 21. September 1848 durch Gustav Struve, Illustrierte Zeitung, Leipzig Foto: Dreiländermuseum

Obgleich die Revolutionäre um Gustav Struve im September 1848 noch zum Scheitern verurteilt waren, sind ihre Kernforderungen als Verfassungsprinzipien bis in die Gegenwart von zentraler Bedeutung.

Schon in den berühmten „Forderungen des Volkes“ vom September 1847 in Offenburg, deren soziale Punkte von Gustav Struve formuliert waren, heißt es in den Artikeln 8 bis 10: „Wir verlangen eine gerechte Besteuerung. Jeder trage zu den Lasten des Staates nach Kräften bei. An die Stelle der bisherigen Besteuerung trete eine progressive Einkommensteuer. Wir verlangen, dass die Bildung durch Unterricht allen gleich zugänglich werde. Die Mittel dazu hat die Gesamtheit in gerechter Verteilung aufzubringen. Wir verlangen Ausgleichung des Missverhältnisses zwischen Arbeit und Kapital. Die Gesellschaft ist schuldig, die Arbeit zu heben und zu schützen.“ Heute gelten solche Forderungen als selbstverständlich.

Verlorenes Gefecht

Anfang März 1848 hatte die Revolution von Baden ausgehend und aus Frankreich inspiriert in Deutschland begonnen und scheinbar große Erfolge erzielt, aber die Monarchien blieben überall noch bestehen. Am 19. März kam es in Offenburg noch einmal zu einer großen Kundgebung mit rund 25 000 Teilnehmern, die mit Sonderzügen gekommen waren, an die die badische Regierung als Schikane keine Speisewagen hatte anhängen lassen. Die Eisenbahnstrecke war bis Schliengen fertiggestellt, sodass auch viele Menschen aus dem Dreiland versammelt waren. Die Revolution schien Rückhalt zu haben.

Vorbereitungen für nationale Wahlen wurden getroffen, ein Vorparlament mit Hecker und Struve hatte sich in Frankfurt versammelt. Doch Struve scheiterte dort mit seinem 15-Punkte-Programm, das er wieder mit sozialen Forderungen vorgelegt hatte: „Sicherheit des Eigentums und der Person, Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle ohne Unterschied der Geburt, des Standes und des Glaubens ist das Ziel, nach welchem das deutsche Volk strebt.“ Als Struve und Hecker aber nicht in den wichtigen „Fünfziger-Ausschuss“ des Vorparlaments gewählt wurden, kam für Hecker, weniger für Struve, die Zeit zum Handeln.

Hecker wollte von Konstanz aus quer durchs Land nach Karlsruhe ziehen, eine Volksbewegung auslösen, um so durch diese friedliche Massenbewegung die Monarchie zu stürzen. Doch es war spätwinterlich, nass und kalt. Hecker war zwar ein begeisternder Redner, doch die erhoffte Massenbeteiligung war ausgeblieben.

Ein Zug der Freischärler führte auch durch Lörrach, was im berühmten Bild von Friedrich Kaiser festgehalten ist. Im Gefecht auf der Scheideck bei Kandern am 20. April 1848 traf der Heckerzug auf reguläre Truppen, die die schlecht bewaffneten Freischärler in die Flucht schlugen. Darauf flohen Hecker und Struve in die Schweiz. Während der enttäuschte Hecker in die USA auswanderte, gab Struve den Kampf nicht auf. Auch die inzwischen gewählte Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche wurde von ihm unversöhnlich kritisiert.

Aufruf an das Volk

Am 23. Juli 1848 veröffentlichte er aus dem Exil in Birsfelden einen „Aufruf an das deutsche Volk“: „Das Maß des an Euch verübten Unrechts ist zum Überlaufen voll. Die Monarchie mit ihren Anhängseln von Geburts-Adel und Geld-Adel ist durch und durch faul. Eure letzte Hoffnung, die konstituierende Versammlung in Frankfurt a.M., hat Euch getäuscht. Statt eines freien und einigen Deutschlands hat diese Dienstmagd der Reaktion Euch zu den fünfunddreißig Fürsten, die Ihr schon hattet, den sechsunddreißigsten noch gegeben... Wir fordern Euch daher auf zum Kampfe gegen Eure Tyrannen. Beginnet denselben damit, dass Ihr alle Abgaben an Grundherren, Staat und Kirche verweigert, und dass Ihr aller Orten Euch zusammenscharet, Eure Polizeidiener, Gendarmen, Amtleute, Grundherren und Fürsten gefangen nehmet.“ Ein Aufstand sollte nach der Ernte im Herbst 1848 im Markgräflerland beginnen.

Diesem Aufruf folgte der Entwurf einer demokratisch-republikanischen Verfassung, in der Prinzipien der Gewaltenteilung, der direkten Demokratie und eines föderalistischen Aufbaus nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten verankert sind. Er enthält aber auch einen Abschnitt über „Die Grundrechte des deutschen Volkes“. Würde man unsere heutigen Grundrechte danebenlegen, so würde man viele Parallelen finden. Mit den sozialen Forderungen sind alle Punkte erfüllt, die heute in Artikel 20,1 des Grundgesetzes stehen: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

Septemberaufstand 1848

Allerdings – und das ist der Punkt, der für viele Struve-Kritiker bis heute im Vordergrund steht – wollte Struve nicht so naiv wie Hecker an die freiwillige Begeisterung der Menschen glauben. So hatte er mit Karl Heinzen im Sommer einen „Plan zur Revolutionierung und Republikanisierung Deutschlands“ vorgelegt. Darin heißt es: „... dass eine solche Vorarbeit nur auf dem gewaltsamen Wege eines unbeschränkten Verfügens vollbracht werden kann.“ Zu den Mitteln sollten Zwangsrekrutierungen, Beschlagnahmungen und Enteignungen zur Durchsetzung der revolutionären Ziele gehören. Im Zweifel sollte sogar mit standrechtlichen Erschießungen gedroht werden.

Noch vor Abschluss der Ernte zog Struve am 21. September von Riehen aus in Lörrach ein. Es war der Jahrestag der Ausrufung der Republik von 1792 in Frankreich. In Lörrach war Jahrmarkt. Die Nationalversammlung hatte durch die Zustimmung zum demütigenden Waffenstillstand von Malmö in der Schleswig-Holstein-Frage, die wichtig für die nationale Einigung war, seine Machtlosigkeit erkennen lassen. Die Enttäuschung darüber entlud sich in einer Reihe von Tumulten, die Struve als den Beginn von Aufständen deutete.

Ausrufung der Republik

Struve schildert seinen Einzug nach dem Grenzübertritt so: „Von Stetten aus zogen die Republikaner in der Stadt Lörrach ein, wo sie von einer wogenden Menschenmenge unter Trommelschlag mit freudigen Hochrufen auf Struve und die Republik empfangen wurden. Sie setzten sich darauf im Rathause fest; Struve redete nochmals das Volk an, stellte der Nationalgarde den Bürger Löwenfels als Kommandanten des Hauptquartiers vor und berief den Bürgermeister und Gemeinderat vor sich. Es kamen nun Abordnungen auf Abordnungen, welche die Nachricht von der herrlichen demokratischen Stimmung in der ganzen Umgebung überbrachten.“

Tatsächlich gab es Unterstützung durch die Bürgermeister Ofenheusle von Stetten, Karl Wenner von Lörrach und der örtlichen Bürgerwehren. Die Lörracher standen unter dem Kommando des später renommierten Hirschenwirts Markus Pflüger. Struve hatte vom Fenster des Ratssaals im ersten Stock des alten Rathauses die Republik ausgerufen. Den Balkon gibt es erst seit dem Neubau im Jahre 1869. Auf dem Marktbrunnen hatte Struve die rote Fahne der Revolution hissen und Schilder „Deutsche Republik“ anbringen lassen. Die großherzoglichen Insignien wurden entfernt.

Zentrale Botschaft war auch hier: „Wohlstand, Bildung, Freiheit für alle!“ In dem im Verlauf des September-Putsches, der gerade mal drei Tage und zwölf Stunden dauerte, wie Eduard Kaiser buchhalterisch vermerkte, erschienenen republikanischen Regierungsblatt, von dem es nur eine Nummer gibt, taucht dieses Motto dreimal an hervorgehobener Stelle auf. Sämtliche Verfügungen dieser von Struve als Präsident geführten provisorischen Regierung, deren Wirkungskreis kaum über die Lörracher Stadtgrenzen hinausging, sind damit überschrieben. Die Stadtkasse wurde beschlagnahmt, Anweisungen an sämtliche Bürgermeister gegeben und Zwangsrekrutierungen in den umliegenden Dörfern rücksichtslos durchgeführt. Der Revolutionsgegner wie Eduard Kaiser wurden verhaftet. Anstatt des Rathauses hätte Struve besser das Amtshaus, das die großherzoglich Macht verkörperte, besetzen müssen.

Die Niederschlagung

Schon am 23. September 1848 zog Struve Richtung Müllheim los. Er erhielt unterwegs Zuzug von weiteren Freischärlern, vor allem von deutschen Emigranten aus der Schweiz. Rund 8000 Mann dürfte der Zug stark gewesen sein. Schon einen Tag später, am 24. September 1848, unterlagen die Freischärler den Regierungstruppen unter General Hoffmann in Staufen. Der von Struve erwartete und erhoffte allgemeine Aufstand hatte nicht stattgefunden. Struve versuchte, in die Schweiz zu entkommen, wurde aber am 25. September 1848 in der „Krone“ in Wehr festgenommen.

Der Verdienst

Doch Struves Verdienst ist nicht nur, dass er in Lörrach zum ersten Mal in Deutschland die Republik ausgerufen hat, sondern dass er Verfassungsprinzipien entwickelt hat, die heute noch unser Verständnis einer sozialen Demokratie bestimmen.

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