Basel Da fegt ein Sturm durch die Kirche

Die Oberbadische
Akkordeonist Srdjan Vukasinovi            Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

Konzert: Furioser Auftakt des Festivals „Stars at the Rhine“ mit Piano und Akkordeon

Von Jürgen Scharf

Basel. Wer ist Mieczyslaw Weinberg? Der 1996 in Moskau verstorbene polnisch-jüdische Komponist, der bis vor kurzem im Westen relativ unbekannt und dessen Werke verschollen waren, erntet zunehmend Aufmerksamkeit in der Musikwelt. Die Musiker stürzen sich geradezu auf seine Kompositionen. Wie jetzt beim Festival „Stars at the Rhine“, das zum dritten Mal im sommerlichen Basel am Rhein aufgelegt wird.

Festival-Initiatorin Anastasia Voltchok saß selber am Klavier bei Weinbergs Klavierquintett op. 18, einem frühen Werk aus den Kriegsjahren 1944. Es wird mittlerweile öfter gespielt, auch auf CD aufgenommen, und Voltchok stellte sich mit einem ad hoc zusammengesetzten Ensemble dieser Herausforderung. Erfreulich ist ihre Wertschätzung dieser Musik und dass sie dieses groß angelegte Quintett mit seinem ausschweifenden Erzählgestus öffentlich präsentiert.

Die Wiedergabe ging unter die Haut. 40 Minuten lang beeindruckte diese stimmungsvolle Musik, die sicher auch von Schostakowitsch, dem einige Jahre älteren Freund und Mentor Weinbergs, inspiriert ist. Und doch klingt Weinberg ganz anders als der Russe, der den Exil-Künstler, der nach dem Einmarsch der Nazis in die Sowjetunion floh, protegierte. Die Realisierung des fünfsätzigen Quintetts war höchst dramatisch, der Eindruck der eines monumentalen Werks mit elegischen, burlesken und expressiven Passagen. Und man merkte bald: Weinberg ist kein Imitator von Schostakowitsch!

Es sind spannende Klänge, emotional.Von Voltchok bald rhythmisch vehement mit perkussiven Einwürfen in die Tasten gehämmert, bald lyrisch mit intensiven Klaviermeditationen und quasi improvisierenden Solokadenzen gespielt. Lisa Schatzman und Rennosuke Fukuda (Violinen), Brigitte Lang (Bratsche) und Beni Santora (Cello) zeigten sich im Verbund mit der Pianistin als ausgewiesene Kammersinfoniker, die über motorische Kraft beim Spiel verfügen. Da wurde das Werk eines Unterschätzten und Vergessenen leidenschaftlich und erfolgreich wiederbelebt.

Der zweite Teil dieses Eröffnungsabends in der gut gefüllten Martinskirche hätte eigentlich der ungarische Jazzpianist Robert Lakatos in einem Bach-Klavierkonzert mit Improvisationen bestreiten sollen, er sagte aber kurzfristig ab. Für ihn sprang mit einer einzigen Probe – als gleichwertiger Ersatz – der als schon mal als „bester Akkordeonist der Welt“ titulierte serbische Balkanmusiker Srdjan Vukasinović ein. Er kommt von der Volksmusik her, spielt aber auch Klassisches und Zeitgenössisches und bringt mit seinem innovativen Zugang frischen Wind in Vivaldis Musik.

Seine Version der „Vier Jahreszeiten“ ist zwar klassisch, aber nicht so ernst, hat Verve und Witz, geht ab wie die Post, und basiert auf Improvisation und Kombination von verschiedenen Musikgenres wie Jazz, Weltmusik und Klassik. Kaum nimmt der Einspringer vor dem Publikum Platz, hat er mit seiner explosiven Energie schon alle Sympathien gewonnen. Seine Zugangsart: Er sitzt nicht starr, bewegt sich vielmehr, steht auf, motiviert die Mitspieler und befreit so die Musik aus ihrem barocken Korsett. Da fegte ein Sturm durch die Kirche.

Das hört sich wie neu komponiert an und ist es auch, mit ungeraden Rhythmen, wie es sich für einen serbischen Vivaldi gehört, und poppigen Harmonien. Kein Takt auch nur ein gefühlter Stilbruch. Dieser Ausnahme-Akkordeonist kommt aus dem Balkan und sein Tanz klingt eben anders als der des Venezianers!  Familienkonzert: Sa, 30. Juni, 16 Uhr, Concerto-Wettbewerb: So, 1. Juli, 18 Uhr, Martinskirche Basel

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