Basel Ein moderner Kaspar Hauser

Die Oberbadische

Lesung: Saisoneröffnung in der Arena Literaturinitiative in Riehen mit Hans Platzgumers

Von Jürgen Scharf

Riehen. Für seinen Autorenkollegen und Moderator Wolfgang Bortlik war es einer der überraschendsten literarischen Romananfänge dieses Jahres: der Beginn von Hans Platzgumers neuem Roman „Drei Sekunden Jetzt“: „Einer wie ich erhält ständig eine neue Chance. Freispiel. Andere gehen verloren, Menschen wie ich tauchen unermüdlich auf aus dem Nichts...“

Über dieses Grundthema des Romans, das man auf die Formel bringen könnte: „Woher kommen wir, wer sind wir, wohin gehen wir?“ wurde bei der Lesung und im Gespräch zur Saisoneröffnung in der Arena Literaturinitiative in Riehen am Dienstag viel diskutiert. Geht es doch um die alte Frage: Kann man leben, ohne zu wissen, wer man wirklich ist?

Fragwürdige Romanheld auf abenteuerlicher Reise

Platzgumer, der bereits zum dritten Mal mit seinen Romanen in Riehen zu Gast war, schickt seinen fragwürdigen Romanhelden Francois, ein Findelkind, das von einer Frau (seiner Mutter?) in einem Einkaufswagen in einem Supermarkt abgestellt wird, auf eine abenteuerliche Reise. Der Waise entflieht seinen Adoptiveltern nach Marseille in ein zwielichtiges Hotel am Meer (was da alles passiert, hörte man leider nicht), weiter von den Straßen New Yorks in die Kälte Montreals. Francois ist ein Unbehauster, ein moderner Kaspar Hauser, ein Taugenichts, Filou und Hallodri, der anscheinend Wahnsinnsaktionen unternimmt. Der Roman läuft wohl darauf hinaus, dass es ein ständiges Kämpfen ist, das man Leben nennt.

Der Österreicher Platzgumer, Jahrgang 1969, der auch Komponist ist, Theatermusik schreibt und in Rockbands spielt, verglich seinen Francois mit einem Ballon, der aufsteigt. Er sei ein „weißes Blatt Papier“, steht im Buch. Wer war seine Mutter? Sie wird im Anfangskapitel nur beschrieben als eine Frau mit kariertem Kopftuch und Sonnenbrille.

Die Metapher des Findelkinds schwebt über dem Roman in einigen Schlüsselszenen; es ist ein Spiel mit dem Fatalismus: hineingeworfen ins Dasein, in ein Leben als Achterbahnfahrt, mit Sehnsuchtsorten voller Hoffnung und Erwartung. Auch schwingt immer etwas Existenzialismus à la Sartre hinein, es ist ein Abenteuerroman und ein Großstadtroman zugleich.

In New York trifft Francois eine Frau und reist ihr in den kanadischen Winter nach, er findet sie aber nicht und ist auf dem tiefsten Punkt seiner Existenz angekommen. Wieder geht es um die ewige Frage nach Herkunft und Sinn des Lebens, an der Figur des Francois exemplifiziert. Irgendwie ist er halt ein Unglücksrabe.

Neues Arena-Heft Nr. 19 vorgestellt

Da ist noch Lucy, auch eine Waise, gefunden auf einer Müllhalde, aber ganz anders als Francois ein starker Charakter, die ihr Leben in die Hand nimmt. Kann spannend werden, was sich aus dieser Beziehung noch entwickelt. Man sollte das vielleicht lesen. Jedoch hatte der Autor etwas Bedenken, dass man schon beim Gespräch über sein Buch „fast zu viel gehört“ habe.

Danach gab es noch eine Kurzvorstellung des neuen Arena-Hefts Nr. 19, das einen Exklusivbeitrag von Platzgumer enthält. In seinem Essay „Das Karussell“ geht es um die aktuelle Situation in seinem Heimatland, um die Fremdenfeindlichkeit, Ressentiments, politisches Abwiegeln. Platzgumer schreibt relativ autobiografisch in Form eines literarischen Tagebuchs darüber, wie einer, der sich Sorgen macht über den Zustand Österreichs, das zurück in die Vergangenheit rutscht.

  Das Arena-Heft ist für zehn Franken beim Verein erhältlich.

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