Basel Finsternis im Herzen

Die Oberbadische
Foto: Priska Ketterer Foto: Die Oberbadische

Oper: „Pelléas et Mélisande“ von Debussy am Theater Basel

Von Jürgen Scharf

Basel. Eines steht fest an diesem Abend im Basler Theater: Auch nach der Pause wird es nicht heller, sondern dunkler und röter werden. Blutrot beginnt schon die Oper „Pelléas et Mélisande“ von Claude Debussy. Das unschuldig weiße Kleidchen des Mädchens ist blutverschmiert. Mélisande ist verstört. „Fass mich nicht an!“, wehrt sie Golaud ab, der sich im Wald bei der Wildschweinjagd verirrt hat.

Die Bühne bleibt dunkel, es herrscht auch Finsternis in diesem isolierten Ort, auf dieser abgelegenen Insel und in den Herzen der Menschen. Sie sehnen sich alle nach Licht, nach Helligkeit, nach Sonne und Himmel. „Licht! Mehr Licht!“, würde man auch gerne der tschechischen Regisseurin Barbora Horáková Joly zurufen. Aber Licht ins Dunkel dieser verrätselten Geschichte von Maurice Maeterlinck bringt sie nicht, kann sie auch nicht, denn der symbolschwangere Jugendstiltext lebt von Andeutungen und Aussparungen. So bleibt nicht nur der Himmel schwarz verhangen, sondern auch der Blick in die Abgründe der Seelen.

Trauma und Stress

Eine posttraumatische Belastungsstörung hat die Prager Regisseurin bei Mélisande ausgemacht und will zeigen, dass das Mädchen einer Extrembelastung und individueller Gewalteinwirkung ausgesetzt war. Sie inszeniert daher Trauma und Stress wie eine Traumatherapeutin, und die stationäre Behandlungsdauer beträgt gute drei Stunden im Theater. Auf Freuds Psychoanalyse und Traumdeutung hinzuweisen, ist müßig, aber latent zu spüren in dieser Aufführung.

Dass diese Mélisande auch etwas Somnambules hat, verraten nicht zuletzt die Videos von Sarah Derendinger, die sie als Zwischenwesen zwischen Melusine und Undine verortet, oder vielleicht sogar als Wasserleiche? „Ich bin nicht glücklich“, sagt Mélisande ständig und ist einem Geflecht aus Beziehungen und Verstrickungen ausgeliefert in diesem Familiengeheimnis, dem die beiden männlichen Protagonisten Pelléas und Golaud, die sich in dieselbe Frau verlieben, ständig entfliehen wollen. Das Liebesduett mit Pelléas singt Mélisande in der stark feministischen Lesart der Regisseurin schwanger in einem weißen Umstandskleid.

Joly lässt in einer dunkel verschatteten Bauernwelt spielen, fast nordisch, liefert das Psychogramm einer moribunden Gesellschaft mit hierarchischer Struktur und einem Patriarchen. Symbolhaft ist die Bilderwelt mit einer Dekonstruktion des Waldes, der zum Haus und auch zum Gefängnis wird, und einer alten verrosteten Badewanne als Sinnbild für Meer, Brunnen und Grotten (Bühne: Eva-Maria Van Acker).

Traurigkeit liegt hier über allem, auch über dieser zerbrechlichen Musik der Stille. Die Mélisande von Elsa Benoit dringt tief in Debussys Gefühlswelt ein, der Pelléas von Rolf Romei ist ein lyrischer, nicht unbedingt der französischen Sprachmelodie folgender Tenor. Andrew Foster-Williams als brutaler, vor Eifersucht rasender Golaud und Andrew Murphy als Arkel, Chef dieser alten Dynastie, sind zwei wendige Bassbaritone.

Die Gefühle finden im Orchester statt. Am Pult des mit französischer Musik inzwischen gut vertrauten Basler Sinfonieorchesters realisiert Erik Nielsen die Partitur und die instrumentalen Zwischenspiele mit schönen Klangfarben und ebenso klarer Struktur. Joly inszeniert das „Drame lyrique“ als leises, spannungsgeladenes musikalisches Kammerspiel, so dass man eintauchen kann in eine traumartige Atmosphäre, in ein Seelendrama und eine Liebesgeschichte mit einem bitteren Ende, zu dem Arkels Ausspruch passt: „Wäre ich Gott, hätte ich Mitleid mit den Herzen der Menschen.“   Termine: 2., 5., 7., 14., 24. und 27. Oktober

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