Basel Glasklare Prosa und Autobiografisches

Jürgen Scharf
Jenny Erpenbeck mit ihrem Buch „Kein Roman“, das Einblicke in ihre Gedankenwelt gibt. Foto: Jürgen Scharf

Lesung: Jenny Erpenbeck stellte im Literaturhaus Basel ihr Buch „Kein Roman“ vor.

Basel - Heute werden doch vor allem Romane gekauft. Auf dem Cover von Jenny Erpenbecks neuem Buch steht „Kein Roman“. Der Titel ist schon etwas provokativ, aber entspricht der Tatsache. Denn dieses ist kein Roman, sondern eine Ansammlung von Texten und Reden der Berliner Schriftstellerin, die für ihren Roman „Gehen, ging, gegangen“ (2015), der als Buch der Stunde gefeiert wurde und afrikanischen Flüchtlingen einen Namen gab, den Thomas Mann-Preis erhielt.

Erpenbeck redet in dem neuen Buch über Kunst, Literatur, Politik, reflektiert aber auch ihr eigenes Schreiben und Leben. Die Reden aus den vergangenen 26 Jahren zeigen ein weites Spektrum von gesellschaftlichen Themen und Fragen, die sie beschäftigen. Im Basler Literaturhaus konnte man bei der Begegnung mit der Autorin Erpenbecks genauen Blick für das Erzählen und ihre glasklare Prosa bewundern.

„Kein Roman“ ist eingeteilt in mehrere Kapitel wie Wege, Leben, Schreiben, Musik, Bilder, Gesellschaft. Und da das 20. Jahrhundert „mein Jahrhundert“ ist, wie Erpenbeck sagt, las sie vor allem Kapitel aus der Abteilung „Leben“. Darunter einen sehr subtilen Text über den Tod ihrer Mutter, der unter dem Titel „Offene Buchführung“ ironisch aufzählt, was sie alles an Nichtigkeiten geerbt hat.

Von hintergründigem Witz ist der PPP-Text über den Buchstaben P: Ausführungen über Stadt (Prenzlau), Land (Paraguay) und Fluss (Po). Darin erzählt sie, wie sie in Südamerika eine Tasche auf zehn Dollar heruntergehandelt hat und was sie als Siebenjährige auf einer Reise am „Fluss mit dem lächerlichen Namen“ erlebt hat.

Der Band versammelt an die 50 Texte, Aufsätze, Poetikvorlesungen, aber auch Preisreden, bringt also erzählerische und reflektierende Textformen zusammen. In anderen Beiträgen geht es über Beethoven und Wagner, Siegfried und die Götterdämmerung, und es gibt auch einiges Autobiografisches im ersten Teil „Leben“, das die Autorin in der damaligen DDR verbracht hat.

Es sind Kindheitstexte, Erinnerungen an Schulfreunde, die Großeltern, an Schweinebraten, Stasi-Akten, die Tante, die im Westen wohnt – teils humorvoll bis abgründig-komisch. Man hört aber auch einiges über die Normalität in Berlin, ihren Erfahrungshintergrund und das Reisen.

Im letzten Kapitel „Gesellschaft“ geht es politisch zu. Flüchtlinge, Grenzfragen werden debattiert, überhaupt, was Grenzen bedeuten, und die Angst vor Veränderung sehr plastisch beschrieben. Erpenbecks Leitthema sind Fliehen und Flucht, Nicht-bleiben-können und existenzielle Notlagen. Manche dieser Irrfahrten erinnern an die Odyssee, den großen historischen Vorgang, der bei Erpenbeck auf die Irrfahrten des 21. Jahrhunderts abfärbt.

Die Schriftstellerin ist gerade 50 geworden, „da fängt man an zurückzuschauen“, sagt sie. Der letzte Satz des Buches bleibt einem im Kopf: „Menschen, die aus Dreckslöchern gekommen sind, sind wir selbst.“

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