Basel Meist geben Männer den Takt an

Gabriele Hauger

Interview: Geschlechterforscherin Dr. Andrea Zimmermann über Frauen in der Kultur.

Basel - Über einen erstaunlich niedrigen Frauenanteil in Basler Bands wurde kürzlich in der Kaserne Basel diskutiert. Mit dabei auch die Geschlechterforscherin Dr. Andrea Zimmermann von der Universität Basel. Zum Thema Geschlechterrollen im Kulturbereich beantwortete sie die Fragen von Gabriele Hauger.

Nach einer aktuellen Untersuchung sind von den Basler Pop Bands mit immerhin 3000 aktiven Musikern gerade mal zehn Prozent weiblich. Ist das ein Basler Phänomen?

Wie die Studie deutlich macht, ist die Basler Musikszene fest in Männerhand. Gleichzeitig, so ein zweiter zentraler Befund, sind die wenigen Frauen sehr aktiv. Immerhin spielen in fast jeder vierten Band eine oder mehrere Frauen mit. Die wenigen Frauen, die sich in der Musikszene behaupten können, tun dies also mit großer Energie: Sie rocken durchaus die Bühne.

Aber unterschiedliche Gestaltungsspielräume für Männer und Frauen sind offensichtlich nach wie vor ein Thema?

Wir haben es hier mit sehr wirkmächtigen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit zu tun. Das Bild des Künstlers ist historisch und gegenwärtig nicht geschlechtsneutral, sondern männlich konnotiert: So sind zentrale Eigenschaften des Künstlers beispielsweise Charisma, Genialität, Überzeugungskraft und Autonomie. Er lebt eigentlich ausschließlich für die Kunst. Und einem solchen Künstler steht wiederum ein weiblich konnotiertes Werk gegenüber. Der Geist (Mann), der die Materie (Frau) formt: eine Gegenüberstellung, wie sie uns auch in Literatur (der Autor, der große Frauenfiguren schafft) oder bildender Kunst (man denke nur an die vielen Frauenbildnisse von Künstlern) begegnet und wie sie schon lange Gegenstand feministischer Kritik ist.

Schaut man sich in anderen Kulturbereichen um, sind Frauen auch in Führungspositionen unterrepräsentiert. In der Orchesterlandschaft finden sich so gut wie keine Dirigentinnen. In der Filmbranche finden sich wenige Regisseurinnen. Nur zwei Beispiele. Woran könnte das liegen?

Es liegt nahe, dass aufgrund des eben Gesagten in den Künsten diejenigen Positionen, die sich durch besonders große Handlungsspielräume auszeichnen und nach großem Gestaltungswillen verlangen, vor allem durch Männer besetzt und ausgefüllt werden. Gerade für die Orchester wird dies in der großen Studie „Frauen in Kultur und Medien“ des deutschen Kulturrats sehr eindrücklich offengelegt: Im Jahr 2014 gab es keine Intendantin eines Rundfunk- und Sinfonieorchesters, ebenso wenig wie eine Chefdirigentin. Unter 14 Orchestervorständen findet sich eine Frau.

Das ist natürlich auch für den Nachwuchs eine schwierige Situation. So treffen wir im Kulturbereich auf starke Männernetzwerke, die wie selbstverständlich eher den männlichen Nachwuchs ermutigen und fördern. Deshalb fehlt es auch an Rollenvorbildern und Netzwerken für junge Frauen. Sie haben es sehr viel schwerer, sich als erfolgreiche Intendantin vorzustellen.

Wie reagieren die Frauen darauf?

Eine nachvollziehbare Reaktion darauf ist, dass sich viele Frauen dafür entscheiden, sich ein zweites berufliches Standbein zu erhalten oder aufzubauen. Das bedeutet aber oftmals eine zusätzliche Belastung. Und nicht zuletzt sind es nach wie vor häufiger Frauen, die die Sorgearbeit für Familienangehörige und Kinder leisten mit der Folge, dass Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen oftmals weniger zielstrebig und fokussiert ihren Beruf ausüben können. Mit Talent und Können hat das letztlich wenig zu tun.

Wie sieht die Verteilung der Geschlechterrollen am Theater aus?

Betrachten wir zunächst die Verteilung der Geschlechterrollen auf den Bühnen: Oftmals befinden sich mehr Männer im Ensemble als Frauen. Begründet wird dies mit der Dramenliteratur, die eben mehr hergebe für Männer. Dabei ist es ja stets eine Entscheidung, welche Stoffe auf die Bühne gebracht werden. Und finden mehr zeitgenössische Theatertexte Berücksichtigung im Spielplan, kommen auch mehr Schauspielerinnen zum Zug. Abgesehen davon gibt es großartige Inszenierungen, die mit einer Besetzung arbeiten, die sich nicht am Geschlecht orientiert oder mit Gegenbesetzungen arbeitet. Die Theaterleitung kann also auch nach Regisseurinnen und Regisseuren suchen, die für solche Arbeiten stehen oder sie zu einer solchen Arbeitsweise ermutigen.

Wie sieht es nun hinter der Bühne aus?

In der Dramaturgie lässt sich ein sehr ausgewogenes Geschlechterverhältnis beobachten. Doch für die Regie zeigt sich die Konsequenz des historisch gewachsenen Bildes vom Künstler besonders deutlich. Mit der Kraft seiner Autorität soll der Regisseur das Ensemble wie eine Art Gefolgschaft um sich scharen. Das sind natürlich Eigenschaften, die wir sehr stark mit Männlichkeit verbinden. Und diesen Regiestil können wir natürlich auch gegenwärtig noch beobachten, wenn sich auch neue Arbeitsweisen zunehmend behaupten. Auch das Ensemble ist nicht mehr selbstverständlich bereit, alle Entscheidungen der inszenierenden Instanz zu überlassen. Aber nach wie vor ist die Regie stark männlich dominiert. Wir sprechen da von ca. 70 Prozent Männern. Bei den Intendanzen sind es dann gar 80 Prozent. Wobei sich meiner Meinung derzeit etwas zu verändern beginnt – das müsste nun genauer beobachtet werden.

Wie sieht es am Basler Theater aus?

In Basel haben wir unter der Intendanz von Andreas Beck einen interessanten Fall. Er hat sich für seine zweite Führungsebene beinahe ausschließlich Frauen gesucht: Die künstlerische Leitung des Schauspiels und der Oper liegt in Frauenhand. Außerdem haben wir hier zwei Hausregisseurinnen.

Die meisten anderen Berufsfelder am Theater sind nach wie vor vergeschlechtlicht: das Soufflieren meist weiblich, das Kostüm ebenfalls; was mit Technik und Körperkraft verbunden wird, ist meist männlich konnotiert. Auch hier gibt es eine schöne Ausnahme am Theater Basel. Hier gibt es eine Bühnenmeisterin für das Schauspielhaus. Das ist nach wie vor sehr ungewöhnlich.

Aus dem Kino-Genre ist bekannt, dass Frauen – auch Stars – geringere Gagen als ihre männlichen Kollegen bekommen. Lässt sich das auf weitere Kulturbereiche übertragen?

Die freie Verhandlung von Gagen fördert die ungleiche und geschlechtsspezifische Verteilung von Ressourcen deutlich zu Tage: Wie uns die Bundeskulturstudie für 2015 vor Augen führt, verdienen Schauspielerinnen bereits beim Eintritt ins Berufsleben gut 20 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Und dieses Missverhältnis spitzt sich dann weiter zu: Im Alter zwischen 40 und 50 Jahren beträgt der Lohnunterschied 35 Prozent!

Warum dies so ist, müsste noch genauer untersucht werden. Die Intransparenz der Verhandlungsprozesse trägt sicherlich zu dieser Situation bei. Ob Frauen auch tatsächlich weniger mutig und weniger fordernd in Verhandlungssituationen hineingehen, oder ob ihnen auch weniger zugestanden wird, sollte erforscht werden, um entsprechende Maßnahmen für mehr Lohngerechtigkeit ergreifen zu können.

Würde die Kulturlandschaft anders aussehen, wenn sie an den Spitzen weiblicher wäre?

Wenn wir signifikant mehr Frauen in Führungspositionen hätten, wäre die Kulturlandschaft sicherlich anders. Ich gehe davon aus, dass dann alle Führungsebenen durchlässiger wären für Frauen und damit das Geschlecht weniger eine Rolle spielen würde für den Werdegang eines Künstlers, einer Künstlerin. Was sich konkret in den Organisationsstrukturen, Produktionsprozessen und auch in Bezug auf die Kunst selbst ändern würde, wenn Sexismus keine Rolle mehr spielen würde, das wird sich wohl erst mit der Zeit zeigen. Es gibt ja bereits prominente Beispiele, die versuchen, eine solche Utopie umzusetzen: So bestreitet das Badische Staatstheater Karlsruhe diese Spielzeit ausschließlich mit Regisseurinnen.

Die aktuelle MeToo-Debatte wird ja von vielen Künstlerinnen, vielen Schauspielerinnen getragen. Bewegt sich Ihrer Meinung nach dadurch etwas in puncto Bewusstseinsbildung zur Geschlechterungleichheit?

Ich bin davon überzeugt, dass MeToo bereits vieles angestoßen hat, und es lassen sich viele Initiativen, Zusammenschlüsse und Diskussionen im Bereich der Kultur beobachten. Wichtig erscheint mir vor allem, dass diejenigen, die selbst Kunst machen, die Relevanz dieses Themas für ihre Arbeit anerkennen. Da geht es ja nicht nur um Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch um das Ende jeglicher Form von sexuellen Übergriffen. Dieses Thema begegnet bereits den Studierenden an den Kunsthochschulen, wie ich aufgrund meiner eigenen Lehre für Schauspiel- und Regiestudierende weiß. Für die Arbeit als Musikerin oder Schauspielerin ist der eigene Körper ja sehr zentral für die Arbeit. Hier bereits sollte ein respektvoller Umgang miteinander Selbstverständlichkeit sein, wie auch im späteren Berufsleben. Die Thematisierung der bestehenden Missstände war überfällig.

Sind Sie für Frauen-Quoten in der Kultur?

Da ich nicht davon ausgehe, dass sich der Betrieb von alleine verändert, ist die Quote sicherlich ein Mittel, um die Verhältnisse umzugestalten. Angesichts der vielen zusätzlichen Hürden, die Frauen im Kulturbetrieb zu nehmen haben, kann die Quote derzeit helfen, hier etwas Ausgleich zu schaffen. Auch wenn es natürlich wünschenswert wäre, wenn wir dieses Mittel auf längere Sicht wieder hinter uns lassen könnten. Aber derzeit führt wohl auch in der Kulturförderung kein Weg daran vorbei.

Wann werden wir echte Gleichberechtigung haben?

Wenn all dies kein Thema mehr ist!

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