Basel Mit Maske, Abstand und Gitarre

Jörg Bertsch

Weihnachtsgeschichte: Waldweihnacht mit der Joan Baez vom Rheinknie / Eine Heiligabendgeschichte

„Und an diesem romantischen Ort hast du also deine Corona-Waldweihnacht 2020 gefeiert?“ Lara nickte freudig: „Wir waren ein nettes, aufgewecktes Völkchen. Es gab Glühwein und Wiehnachtsgutzi, und dort vorne prasselte das schönste Lagerfeuer.“

Von Jörg Bertsch

Basel/Birsfelden. Nach einem Spaziergang durch den Hardwald bei Birsfelden waren wir bei einer aus rohen Baumstämmen gezimmerten Hütte angekommen. Dicke Balken entlang der Innenwände dienen als Sitzbänke; zum Vorplatz hin, wo es eine Feuerstelle mit einem rostigen eisernen Grillrost gibt, ist die Hütte offen. Sie wirkt ein bisschen heruntergekommen, kunstlose Sprayereien an den Wänden machen es nicht besser. Lara hatte mich hierher gelotst, um mir am Originalschauplatz ihre Heiligabendgeschichte zu erzählen.

Ein Autogramm von Ted Herold

Lara ist ein bisschen überkandidelt, aber das macht nichts, wenn man sie, wie ich, nur ungefähr einmal im Jahr trifft. Sie liebt es, Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen, denen ich gern lausche, weil sie meistens ein wenig fantastisch sind.

Wir setzten uns und Lara zog ihr Handy aus dem City-Rucksack. „Ich will es nur rasch stummschalten, damit wir nicht gestört werden“, sagte sie auf meinen vielleicht etwas tadelnden Blick hin; aber natürlich schaute sie sich doch die neueste Nachricht an, die gerade auf dem Display erschien.

„Nein!“, rief sie aus, „das ist ja schrecklich!“

„Was ist passiert?“

„Ted Herold ist tot! Mein Idol! Er war einer der Größten!“ An ihrer Wimper hing eine Träne. Der Sänger Harald Schubring alias Ted Herold, diese Nachricht ging in den folgenden Stunden durch alle deutschsprachigen Medien, war bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen.

„Wenn ich daran denke, wie er mir damals ein Autogramm auf meine Gitarre geschrieben hat...“ Lara schnäuzte sich.

„Er hat dir bitte was?“

„Er hat mir meine wunderschöne alte Martin D-28 signiert!“ Ihre Augen leuchteten. „Weißt du, was eine Martin D-28 ist!? Die war damals Kult und ist bis heute Kult! Die Größten der Großen haben sie gespielt. Es war 2002, als Ted zum 45-Jährigen seiner Bühnenkarriere durch Deutschland tourte. Ich war fast an jedem Konzert. Und einmal, in Stuttgart, hab ich’s hinter die Bühne geschafft. Hab ihm meine Klampfe unter die Nase gehalten und einen Filzstift. Er hat ohne zu zögern unterschrieben.“

„Und auf der Heimfahrt von dem Konzert warst du dann ganz im Glück und hast mit deinem Walkman in Endlosschleife das Lied ,Moo-oo-oon-light, die Nacht ist schön...’ gehört?“

„Mach dich nicht lustig!“, tadelte sie mich. „Ted wurde völlig zu Recht der ,deutsche Elvis Presley’ genannt. Und sein ,Moonlight’ kann man auch nach 60 Jahren immer noch hören.“ Sie wischte sich energisch eine Haarsträhne aus der Stirn. „Und die Gitarre mit seinem Autogramm – die hängt über meinem Bett. Gerade sie spielte vergangenes Jahr an der Waldweihnacht eine wichtige Rolle. Davon wollte ich dir doch erzählen.“

Von der Gitarre, die verlorenging

Lara nahm eine Mini-Thermoskanne aus ihrem Rucksack und goss sich einen Becher von dem Kaffee mit Schuss ein, den sie zum Aufwärmen mitgenommen hatte.

„Ich hatte ein paar nette Leute zusammengetrommelt“, begann sie zu berichten. „Alles Singles wie ich, die Lust hatten, trotz Corona gemeinsam zu feiern. Natürlich mit Maske und Abstand. Und zwar hier im Birsfelder Hardwald.“

„Originell und romantisch!“

„Am Anfang war mir gar nicht romantisch zumute. Ich war traurig.“

„Schon wieder mal Liebeskummer?“, fragte ich; Laras Geschichten handeln meistens von Liebeskummer.

„Quatsch. Wie kommst du denn darauf? Nein – meine Gitarre war weg! Meine bald 40 Jahre alte Martin D-28 mit dem Ted Herold-Autogramm war weg.“

„Wie denn das?“

„Kurz vor Weihnachten hatte ich Freunde in Chur besucht. Ich hatte das Instrument dabei, weil wir auch ein bisschen jammen wollten. Auf der Rückfahrt, beim Umsteigen in Zürich, wurde es hektisch: Verspätung. Nur noch zwei Minuten Umsteigezeit.“

„Und kopflos, wie du manchmal bist, hast du das gute Stück liegen lassen...“

„Ich bemerkte es in dem Moment, als der Anschlusszug losfuhr. Machte sofort den Zugbegleiter verrückt. Der hat auch gleich rumtelefoniert. – Aber die Gitarre war weg.“

„Schlimm...“

„Schlimm!? Es war der Weltuntergang! Meine Martin, mit der ich in den 80er Jahren so oft auf der Bühne vom ,Atlantis’ in Basel gestanden hatte! – Wusstest du übrigens, dass man mich die Joan Baez vom Rheinknie nannte?“ Sie schaute verklärt ins Weite, aber nur kurz. Sofort spiegelte sich in ihren schönen Augen wieder die Tragik des erlittenen Verlusts. „Ich war fix und fertig, als ich zu Hause ankam.“

Ich ließ ein mitfühlendes „Mmmh“ vernehmen.

Bei eBay fündig geworden

„Abends schaute zum Glück Hardy vorbei. Da hatte ich jemanden, um mich auszuheulen.“

„Hardy?“

„Wir kennen uns seit dem Kindergarten. Ich fand ihn immer ganz nett, etwas zu schüchtern halt. Aber wir sind gute Freunde. ,Deine Martin D-28, so alt und gut erhalten, wie sie ist, die ist doch manchen Tausender wert’, sagte er. „Solche Sachen werden oft im Internet angeboten. Lass uns mal einen verschärften Blick auf eBay haben.’“

„Gute Idee.“

„Und tatsächlich – zwei Tage später wurde mein Schmuckstück auf der Auktionsplattform angeboten. Ich erkannte sie sofort, auch wenn der Anbieter ziemlich ungeschickt versucht hatte, auf dem Foto das Ted Herold-Autogramm wegzuretuschieren. Ein Heidengeld wollte der Typ.“

„Und dann hast du dir deine eigene Gitarre zu einem weit überzogenen Preis zurückersteigert?“

„Vor lauter Panik und Glück hätte ich’s vielleicht sogar getan“, sagte sie. „Aber Hardy hielt mich ab. Ich solle nichts überstürzen, sagte er. Er werde das in die Hand nehmen. Ich solle ihm nur ein, zwei Tage Zeit geben.“

„Spannend!“

„Es war schrecklich! Die Auktionsgebote stiegen fast stündlich, und allmählich ins Astronomische. Als wäre die halbe Gitarrenszene der Welt scharf auf dieses Instrument. Ich rief Hardy an und drängte ihn zur Eile. Er wiegelte ab. Dann lief die Gebotsfrist ab – und im gleichen Moment war die Gitarre weg von der eBay-Website.“

„Und der Anbieter auch, nehme ich an?“

„Klar! Wie vom elektronischen Orkus verschluckt. Ich hätte Hardy würgen können.“

„Und das kurz vor Weihnachten...!“

Mit einem Seufzer fuhr Lara fort: „Zu allem Unglück stand dann diese Heiligabendparty in der Grillhütte an. Ich hatte schon überhaupt keine Lust mehr, hinzugehen. Aber als diejenige, die das Fest angezettelt hatte, konnte ich mich ja nicht drücken.“

„Und dann wurde es doch noch ganz nett?“

„Ja, kann man so sagen. Als ich etwas verspätet eintraf, brannte schon das prächtige Lagerfeuer. Jemand drehte eine Lautsprecherbox volle Pulle auf, und Elvis – der originale, nicht der deutsche – röhrte sein ,Santa Claus is back in town’. Da kam schon Stimmung auf.“ Sie schloss die Augen, schnippte mit den Fingern und bewegte den Oberkörper im Rock’n’Roll-Rhythmus.

„Und plötzlich“, fuhr sie fort, „nach der allgemeinen Zuprosterei, stand Hardy neben mir. Er war unbemerkt aus der Dunkelheit des Waldes herangepirscht. Noch bevor ich ihn anfauchen und wegbeißen konnte, sagte er: ,Schau mal, ich hab’ da was für dich. Frohe Weihnachten!’ Und drückte mir ein längliches Paket in die Hand, oben schmal, unten breit.“

„Es war deine Martin!?“

„Hardy, der Goldschatz, hatte den eBay-Anbieter ausfindig gemacht. Der Typ hatte die Gitarre im IC gefunden und an sich genommen. Er erkannte, wie wertvoll sie war, und versuchte nun, ein Geschäft damit zu machen.“

„Was ihm ja auch gelungen ist, oder nicht?“

„Der hatte nicht mit meinem Hardy gerechnet.“

„Hä?“

„Nun ja, Hardy hatte dem Anbieter – er wohnt ganz in der Nähe, in Olten – die Hölle heiß gemacht. Was der da tat, war ja strafbar. Unterschlagung oder sowas. Hardy sagte ihm: Pass auf! Ich zeig dich nicht an, und du hilfst mir, meiner Lara einen kleinen Schrecken einzujagen und dann eine Weihnachtsfreude zu bereiten.“

„Hat eine zupackende Art, der Gute. Sagtest du nicht, er sei schüchtern?“

„Da muss ich mich wohl all die Jahre getäuscht haben“, grinste Lara. „Hardy hat Scheingebote für die Gitarre abgegeben. Dann bot der Verkäufer mehr. Und Hardy noch mehr. Und so immer weiter.“

„Nur um dich zappeln zu lassen?“

„Genau! Aber am Ende“, schloss sie, und ihre Augen strahlten, „stand ich also an diesem Waldweihnachts-Lagerfeuer, hielt meine alte Martin in den Armen und meinen noch älteren Kindergartenfreund auf C-Abstand, und ob Zufall oder nicht: Aus der Lautsprecherbox ertönte volle Kanne, und es hat sowas von gefetzt, Ted Herolds Song ,Wahre Liebe wird nicht älter’.“

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