Basel Pässe, Profiteure und Polizei

Dominique Spirgi
Alle abgebildeten Menschen haben ihre Pässe für die Ausreise nicht erhalten. Dass sie den Holocaust überlebten, ist unwahrscheinlich. Foto: zVg/Jüdisches Museum Basel

Geschichte: Ausstellung des Jüdischen Museums zeigt stattliches Netzwerk von Helfern in Basel

Basel - Ein Helfernetzwerk aus der Schweiz hat Juden aus dem besetzten Polen zu lateinamerikanischen Pässen verholfen und damit viele vor dem Tod gerettet. Das Jüdische Museum der Schweiz hat dieses bislang verborgene Stück Schweizer Geschichte in einer Ausstellung aufgearbeitet.

Überliefert ist ein Lied, das ein polnischer Jude mit Namen Wladyslaw Szlengel im Jahr 1942 im Warschauer Ghetto verfasst hat. Darin heißt es: „Wie gerne hätte ich einen paraguayischen Pass.“ Das ist weit mehr als künstlerisches Wortspiel, sondern ein Hinweis auf ein Stück Geschichte der Judenverfolgung während der Nazi-Herrschaft, bei dem die Schweiz eine wichtige Rolle spielt.

Jüdische Museum der Schweiz  arbeitet bislang verborgenes Geschichtskapitel auf

Das in Basel beheimatete Jüdische Museum der Schweiz hat dieses bislang verborgen gebliebene Geschichtskapitel aufgearbeitet. Kennenlernen kann man es in einer Ausstellung mit dem sinnigen Titel „Pässe, Profiteure, Polizei. Ein Schweizer Kriegsgeheimnis.“

Die Ausstellung öffnete ihre Tore am vergangenen Freitag. Der Titel gibt ein gutes Inhaltsverzeichnis für die Schau ab, wenn auch die Begriffe Hilfe und Helfer fehlen. Im Grundsatz geht es beim präsentierten Geschichtskapitel darum, Juden aus den besetzten Staaten, vorab aus Polen, die Ausreise nach Lateinamerika und damit ihr Überleben zu ermöglichen.

Weil ab dem Jahr 1938 viele Länder ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge schlossen, waren andere Ideen gefragt. Eben zum Beispiel die Vermittlung von Pässen von Paraguay, Costa Rica oder Haiti. Und dies geschah mit tatkräftiger Hilfe der polnischen Botschaft von der Schweiz aus.

Passhandel rettet vielen tausend Juden das Leben

Wie die Ausstellung zeigt, entwickelte sich in der Schweiz ein stattliches Netzwerk von Helfern, die sich aus uneigennützigen, zum Teil aber auch aus sehr eigennützigen Gründen in diesem Pass-Handel betätigten. Vielen Tausend Juden konnte damit das Leben gerettet werden, sofern sie die beschwerliche Reise von Polen über Sibirien und Japan bis nach Lateinamerika schafften.

In der Ausstellung besonders hervorgehoben werden neben vielen genannten Helfern – darunter auch Hermann Hesse – zwei Persönlichkeiten: Abraham Silberschein, einer der Köpfe des Helfernetzwerks aus Genf, und Rudolf Hügli, Berner Notar und Honorarkonsul von Paraguay.

Hilfe geschah nicht nur aus Menschenliebe heraus

Hügli soll rund 5000 Pässe für das Land, das er vertrat, ausgestellt haben. In der Regel kassierte er 500 Franken pro Pass. Andere Konsuln verlangten 1000 bis 2000 Franken. Ein Zürcher Anwalt erhob nachgewiesenermaßen in vier Fällen gar eine Gebühr von 600 000 Franken. Die Hilfe geschah also nicht nur aus Menschenliebe heraus.

Hügli und weitere Mitwirkende des Netzwerks wurden im Jahr 1943 aber an die Polizei verraten. Weil die Schweizer Behörden Angst hatten, die Deutschen zu verärgern, wischten sie das Ganze unter den Teppich.

So konnten sie Anklagen und Gerichtsverhandlungen vermeiden und sich darauf konzentrierten, den Handel mit den Pässen zu unterbinden.

Ausstellung präsentiert Porträts von Helfern und Dokumente

Die Ausstellung in der Annex-Galerie des Jüdischen Museums zeichnet nun die Stationen dieses bislang nicht aufgearbeiteten Stücks der Geschichte auf: mit Porträts der Helfer, Originaldokumenten wie Pässe und Briefe sowie Beschreibungen der einzelnen Kapitel dieser Zeit.

Das führt bis zur Identifizierung der Menschen, die wegen den Pässen überleben konnten. Bislang wurden 771 Namen ermittelt – drei davon erzählen in Videointerviews ihre Geschichte. Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit dem Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich entstanden.

Museumsleiterin Naomi Lubrich sagte an einer Medienführung dieser Tage, dass sie diese Ausstellung nicht zuletzt als Initialzündung verstehe, dieses bislang verborgen gebliebene Thema wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die Dokumente lägen in den einschlägigen Archiven bereit, jetzt müssten die Historiker nur noch zugreifen.

 Info: Die Ausstellung „Pässe, Profiteure, Polizei. Ein Schweizer Kriegsgeheimnis“ im Jüdischen Museum Basel, Kornhausgasse 8, dauert bis 6. September. Öffnungszeiten sind von Montag bis Freitag von 13 bis 16 Uhr und sonntags von 11 bis 17 Uhr.

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