Basel Revolutionär des Comics

Die Oberbadische
Foto: Gabriele Hauger Foto: Die Oberbadische

Cartoonmuseum: „Imago“: Ausstellung von Lorenzo Mattotti in Basel / Erste Retrospektive in der Schweiz

Von Gabriele Hauger

Basel. Intensives Rot, expressiv aufgeladene Bilder empfangen den Besucher im ersten Raum der neuen Ausstellung des Cartoonmuseum. Das Haus würdigt ab Samstag den mehrfach ausgezeichneten italienischen Zeichner, Illustrator und Maler Lorenzo Mattotti mit einer ersten Retrospektive in der Schweiz.

Der international renommierte Italiener gilt als revolutionärer Comic-Pionier. Bildstark und an der Malerei orientiert sind die vielschichtigen, fast ohne Worte auskommende Arbeiten des in Brescia geborenen, in Paris lebenden Künstlers.

Während seines Architektur-Studiums begann Mattotti Comics zu zeichnen. Bereits Ende der 70er Jahre revolutionierte er das Genre, in dem er Farbe, Dynamik und Expressivität einbrachte. Comics wurden politischer, sozialkritischer und persönlicher. Mattotti beeinflusste damit Kollegen aus der Szene – bis heute.

Seine Art des Erzählens war neu. Sein Referenzwerk „Feux“, Feuer, aus den 70ern beispielsweise ist eine Art Kriegsgeschichte. Die einsame Hauptfigur muss sich auf einer abgelegenen Insel gegen die Welt und ihre Bedrohungen zur Wehr setzten – zum Teil brachial. Abstraktion und Realität verschmelzen. In seinen Arbeiten geht es Mattotti um das Innenleben, er zeigt Zustände wie Angst, Bedrohung und Machtausübung, seine Figuren lösen sich auf.

Eher durch Zufall kam Mattotti zur Mode und wurde schnell zum beliebten Illustrator. Ölkreide, Buntstifte und leuchtende Pastellfarben kennzeichnen Arbeiten, die er beispielsweise für Cosmopolitain oder die Süddeutsche Zeitung entwarf. Ein schwarz gekleidetes Model im film noir-Stil vor knallbuntem Hintergrund: dieses Cover des „New Yorker“ von 2005 ziert auch das Plakat zur aktuellen Ausstellung.

Frauen ist in Basel ein ganzer Ausstellungsraum gewidmet: Porträts in schwarz-weiß wie in Farbe zeigen facettenreiche Typen. Nie nach Fotografien gezeichnet, sondern stets aus der Erinnerung: Begegnungen auf der Straße, in der U-Bahn. Er beginne stets mit den Augen, der Nase, nach und nach formten sich die Gesichter unter seinem Federstrich. „Es sind Frauen, die mich faszinieren und die ich gerne kennengelernt hätte“, erzählt der Künstler, der in seinen Bildern dem Mysterium des weiblichen Gesichts nachspürt.

Dank seiner prächtigen Modezeichnungen war Mattotti so bekannt, dass er auch in anderen Genres zahlreiche Aufträge erhielt: Mit seinen eigenständigen, interpretierenden Illustrationen für Auftragsarbeiten schuf er Werke, die eigentlich für sich stehen. Er gestaltete Filmplakate, Werbekampagnen, bebilderte Bücher von Dante, Stevenson und Freud.

Farbgewaltig und sehr malerisch sind die von Schriftstellern und deren Werke beeinflussten Bilder im ersten Obergeschoss. Von Kafka bis Freud sind es vor allem Autoren, die sich mit dem Fantastischen, mit Ängsten, Wahnsinn oder Mystischem befassten, die Mattotti inspirieren.

In einer Phase der Motivationslosigkeit schließlich wurde Mattotti von einem Freund dazu inspiriert, seine Kreativität neu anzuschieben: durch tägliches Zeichen. Daraus entstanden ist die Serie „Ligne Fragile“, der ein weiterer Ausstellungsraum gewidmet ist. Über 70 freie Zeichnungen – spontan, ungesteuert, roh und ungeschliffen – sind mit zarter Linie aufs Papier gebracht: Menschen, Paare, menschenähnliche Formen – „primitiv und frei“, wie der Künstler sagt. So lasse er seiner Fantasie, seinen Gefühlen freien Lauf, lebe Emotionen, Fantastisches, Angedeutetes aus.

Zart gezeichnet ist auch Mattottis Geschichte „L’homme à la Fenêtre“ (1992), in der er die schmerzvolle Trennung von seiner ersten Frau mit feinem, aber ausdrucksstarken Federstrich verarbeitet. In „Chimère“ (2009) bringt er eine Reise ins Unterbewusste aufs Papier. Voller Poesie vollziehen sich hier Transformationen: Wolken werden zu Körpern, Tiere zu Gesichtern, „wie in einer sich wandelnden Melodie“, beschreibt es der Künstler selbst.

Emotional packend ist der die Ausstellung abschließende zwölfteilige Zyklus „Hänsel und Gretel“. Die Angst und Einsamkeit der Kinder durchdringt den Betrachter. Winzig klein wirken sie in den Schwarz dominierten Großformaten, verloren in bedrohlich, undrurchdringlicher Natur, ein Sinnbild für die Urängste des Menschen. Schatten und Licht, Figuration und Abstraktion, das Ausgeschlossensein – Themen, die Mattotti sein Leben lang bewegen.

n  Vernissage: Heute, Freitag, 18.30 Uhr; die Ausstellung dauert bis 11. März 2018, Di-So, 11 bis 17 Uhr; es erscheint die Begleitpublikation „Ligne Fragile“ im Chris- toph Merian Verlag

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