Basel Vom Gären, Reifen und Umschreiben

Die Oberbadische

Museum Tinguely: „RE-SET“ oder wie Künstler und Musiker Vorbilder nutzten und variierten

Von Gabriele Hauger

Basel. Allein der Ausstellungstitel ist etwas sperrig: „RE-SET – Aneignung und Fortschreibung in Musik und Kunst seit 1900“ lautet die am Dienstagabend eröffnete Schau im Basler Museum Tinguely (wir berichteten). Sicher etwas für Spezialisten, Musikkenner und -liebhaber sowie Interessierte, die bereit sind, sich in die zweigeteilt präsentierte Thematik einzudenken und einzulesen.

Das Thema: Es geht um das kreative Schaffensprinzip, Vorbilder aufzugreifen, zu bearbeiten, zu adaptieren, wiederzuverwenden oder auch neu zu interpretieren. Gebündelt wird dies in dem schlichten englischen Titel „RE SET“. Diesem „RE-SET“ auf die Spur machen sich die Ausstellungsmacher zunächst mittels einem größeren einführenden Prolog im Erdgeschoss des Museums bei der Bildenden Kunst.

Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Künstler mit Traditionen und Vorbildern. Bahnbrechend neu war diesbezüglich das Schaffen Marcel Duchamps. Dabei wird der Frage nachgegangen, wie Duchamps ikonische Idee des „Readymades“ als Katalysator neuer Werke dient. So wird der fertig vorgefundene Gegenstand allein durch seine Inszenierung zum Kunstgegenstand erklärt. Damit wurden von Duchamp bis dahin allgemein gültige Regeln wie Autorenschaft, handwerkliches Können, Einzigartigkeit oder Meisterschaft radikal in Frage gestellt.

Zahlreiche Künstler – darunter auch Jean Tinguely – beziehen sich auf Duchamp. Paradebeispiel dafür ist sein bekanntes Pissoir. Dies wird beispielsweise von Hans Haacke ironisch weiterinterpretiert: ein goldenes Pissoir auf einem Bügelbrett, das mithilfe einer Pumpe wie ein Brunnen funktioniert.

Ein Hingucker ist die raumgreifende Installation „Forrest“ (2008/2009) der walisischen Künstlerin Bethan Huws. Sie setzt sich intensiv intellektuell mit Duchamps Werk auseinander. Ihre Installation besteht aus 88 unterschiedlichen Flaschentrocknern, die der Künstler als eine der ersten zu Readymades erklärte. Huws weckt mit der üppigen, dichten Anordnung in unterschiedlichen Größen Assoziationen zu einem Wald. Hervorstechend daraus ein Objekt aus Neonröhren in intensivem Licht.

Wir sehen also, wie bildende Künstler mit bereits Geschaffenem kreativ umgehen, Assoziationen umsetzen, Ironie anwenden oder Inspirationen verarbeiten.

Zwei Etagen weiter oben wird sich noch wesentlich intensiver mit dem gleichen Prinzip im Bereich der Musik befasst. Mit wertigen Originaldokumenten wie Notenblättern und Kompositionen geht die Ausstellung dem Phänomen in vier thematischen Räumen nach.

Möglich wurde dies durch die Kooperation mit der Paul Sacher Stiftung, die durch ihren Gönner mit dem Museum quasi verbrüdert ist. Die Stiftung, ein Archiv und Forschungszentrum für die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, besitzt große Schätze, die nun entsprechend inszeniert zu sehen sind und Musikkenner-Herzen höher schlagen lassen. Sehr dunkel gehalten sind die Ausstellungsräume, um den häufig in erleuchteten Vitrinen präsentierten Dokumenten entsprechende Wirkung zu verleihen.

Die Räume sind in vier Themenkomplexe gegliedert. „Eigentümlich fremd – Komponisten im Dialog mit ihren Kollegen“ würdigt zunächst den großen Bach. Zitiert wird Mauricio Kagel: „Es mag sein, dass nicht alle Musiker an Gott glauben; an Bach jedoch alle.“ Die Noten einer Bach-Motette werden geradezu sakral ausgeleuchtet präsentiert. In einer weiteren Vitrine liegen Notenblätter aus – fast alle Originale der Paul Sacher Stiftung: Darauf zu sehen sind Bearbeitungen Bach’scher Musik von Anton Webern, Strawinsky, Kurtag oder Meditationen über einen Bach-Choral von Sofia Gubaidulina.

Ein Ausflug in mittelalterliche Kompositionen ist mit einem Nachdruck eines Notenblatts von Guillaume de Machauts gegeben, der spätere Komponisten wie Heinz Holliger beeinflusste.

Erhellend und unbedingt empfehlenswert ist das Ausleihen eines Tablets und die Nutzung der speziellen Ausstellungs-App. So lassen sich Musikbeispiele hören, Videos von Aufführungen ansehen oder Interviews mit Musikern verfolgen.

Im zweiten Raum geht es um das Potenzial der Eigenbearbeitung. Dokumente und Fotoreproduktionen beleuchten beispielsweise das Ringen Strawinskys mit seinem berühmten Feuervogel, 1910 als Ballett uraufgeführt, schrieb er mehrere Versionen. Der Raum spiegelt den Work-in-progress Prozess vieler Komponisten des 20. Jahrhunderts wider, zeigt wie deren Ideen gären und reifen, geschrieben und wieder verworfen werden, so bei Boulez, Ligeti oder Rihm.

Seit Jahrhunderten lassen sich Komponisten von Volksmusik inspirieren. So zog Béla Bartók mit einem Phonografen nach Südosteuropa, um dort so genannte bäuerliche Musik aufzunehmen. Tonbeispiele können gehört werden, ebenso wie die Musik, die der so inspirierte Bartók daraus schuf. Andere Musiker interessierten sich für jiddische Musiktraditionen, Folkmusik oder afrikanische Trommelrhythmen. Ein Aspekt, der im dritten Raum behandelt wird.

Abschließend geht es um die Popularisierung der Musik. Erstaunlicherweise hat beispielsweise Schostakowitsch den Schlager „Tea for Two“ instrumentiert. Oder es wurden Beatles-Songs im Barockstil parodiert. Zudem wurde Musik zur Verwendung in Filmen wie im Disney-Zeichentrickfilm „Fantasia“ von 1940 bearbeitet, der mit Strawinskys „Sacre du Printemps“ unterlegt wurde.

  bis 13. Mai, Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr. Es ist ein ausführlicher Begleitkatalog erschienen.

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