Basel Von der Freiheit zur Erschütterung

Valentin Radonici
Unterhielten sich über Gaucks Buch „Erschütterungen“ (v.l.) : Der ehemalige Leiter für Ethik und Technologiefolgenabschätzung der ETH Zürich, Hans-Peter Schreiber, Bundespräsident a.D. Joachim Gauck und Alt-Ständerätin Christine Foto: Valentin Radonici

Die liberalen Demokratien sind gefährdet. Dieses Gefühl hat Alt-Bundespräsident Joachim Gauck. Bei einem Besuch in der Offenen Kirche Elisabethen hat Gauck über sein aktuelles Buch, das Thema Freiheit gesprochen.

„Die Freiheit der Erwachsenen heißt Verantwortung.“ So lautete Gaucks Kernbotschaft, welche er im Gespräch mehrmals aufgriff. In der mit 400 Besuchern ausverkauften Kirche sprach Gauck am Donnerstagabend mit dem ehemaligen Leiter für Ethik- und Theologiefolgenabschätzung, Hans-Peter Schreiber, und Alt-Ständerätin Christine Egerszegi über Freiheit, politische Erschütterungen und die Gefährdungen liberaler Demokratien. Passend dazu: Gaucks vergangenes Jahr erschienenes Buch „Erschütterungen.“ Zentraler Punkt des Werkes: Das Thema Freiheit.

Liebe zur Freiheit

Die Gedanken zur Freiheit haben Gauck ständig begleitet, und er beschrieb zum Einstieg des Gesprächs die Situation, als sein Vater 1951 mitten in der Nacht verhaftet wurde und spurlos verschwand: „Das Schicksal meines Vaters hat mir gezeigt, dass ich Freiheit liebe.“ In einem Geheimprozess wurde Gaucks Vater wegen „Spionage und antisowjetischer Hetze“ verurteilt und in ein Straflager nach Sibirien gebracht. 1955 kehrte er zu seiner Familie zurück.

Mit dem Thema Freiheit verbindet der Theologe ein spezielles Lied, das er sich er beim „Zapfenstreich“ zum Abschied als Bundespräsident wünschte: „Über sieben Brücken mußt du gehen“ von der DDR-Rockband Karat, interpretiert von Peter Maffay. Gauck: „Du suchst nach Dingen, die deiner Seele Raum geben, du selbst zu sein und Hoffnung zu schöpfen. Daraus ist die Stimmung 1989 entstanden. Das Lied ist beispielhaft dafür.“

Auf die Frage, wie sich sein Freiheitsgedanke über die Jahre verändert hat, erklärte er: „Wenn du jung bist, wird dir gesagt: Du darfst frei denken. Wenn wir erwachsener werden, erleben wir die Freiheit von etwas und für etwas. Du erlernst Verantwortung und daraus keinen Zwang zu sehen und nimmst Freiheit als nachhaltiges Glück war.“ Er habe Mitleid mit Menschen, die Freiheit als eine Art Abenteuer betrachten. Für ihn gebe es wenig Schöneres als gelungenes Leben in der Verantwortung und daher auch eine nachhaltige Freiheit.

Die Gefahren für die Freiheit sieht Gauck, wenn sie zu etwas Selbstverständlichem wird: „Es wird dann gefährlich, wenn wir den Glanz des Freiheitsgedanken nicht mehr wahrnehmen.“ Die Deutschen würden die Sicherheit mehr als die Freiheit schätzen. Aus diesem Sicherheitswunsch könne auch eine Gefahr werden. Gauck: „Die Gefahr ist, wenn zu viel Staat gefordert wird. Es gehört zu einem wachen Bürger, dass er eine gewisse Kritik an Regelungswut beibehält und sich wehrt.“

Thema Erschütterung

Anlehnend an Gaucks Buch kam Schreiber auf das Thema Erschütterung zu sprechen und erinnerte an den Überfall Russlands auf die Ukraine 2022. Um das Verhältnis der europäischen Staaten mit Russland zu beschreiben, blickte Gauck zurück zur Ostpolitik Willy Brandts in den 70er-Jahren: „Damals wurde ein anderer Ansatz gesucht, mit der Sowjetunion klarzukommen. Eine öffnende Politik. Wandel durch Annäherung.“

Die Veränderung sei dann durch das Helsinki-Abkommen 1975 gekommen. Diese Politik der Annäherung wurde Gauck zufolge fortgesetzt. Es wurde mit Moskau geredet, als würde die russische Seite zum Westen gehören. Die Absicht dahinter: Die Sowjetunion friedlicher nach außen zu bewegen und liberaler nach innen. Dies habe zur Öffnung des Ostens und zum Fall der Sowjetunion geführt.

Mit deren Fall habe Wladimir Putins Trauma begonnen. Er beschrieb Putins aktuelles Vorgehen: „Wir sehen den Rausch eines Menschen, der aus seiner Kränkung heraus Macht ausübt.“

Die Aggressionsbereitschaft Putins sei vorhersehbar gewesen und nicht ernst genommen worden. Wenn Putin in der Ukraine Erfolg habe, dann müsste sich der Westen fragen: Was ist dann mit Moldawien? Was ist mit den Baltischen Staaten? Gauck: „Das freie Europa muss sich auf den aggressiven Sowjetimperialismus einstellen. Dieser Imperialismus ist leider durch Wladimir Putin wiederbelebt worden.“

Leider würden Menschen, die sich gegen die Unterstützung der Ukraine aussprechen, die Wandlung Putins nicht sehen. „Wir müssen den Ukrainern die Waffen geben, damit sie sich gegen die Angriffe wehren können“, forderte Gauck.

Zu viel Wandel

Ein weiteres Thema in Gaucks Buch: Der Drang von Menschen zur reaktionären Autorität. Den Grund für den AfD-Zuspruch sieht er in der Überforderung von Menschen: „Es sind Angstwellen durch die Gesellschaft gegangen. Corona, Kriege, die wirtschaftliche Lage und die Zuwanderung. Einigen Menschen ist dieser Wandel zu viel.“

Diese Menschen hätten das Gefühl, dass ihre Bedürfnisse nicht wahrgenommen würden. „Das ist der Weg, wie Parolen von der AfD wirken“, sagte Gauck. Falsch sei, AfD-Wähler als Nazis zu bezeichnen, damit tue man sich keinen Gefallen.

Als Schlusspunkt zitierte er aus seinem Buch: „Ich werde verteidigen, was sich als gut erwiesen hat – ein Leben in Freiheit und Würde, wie es nur unter dem Dach unserer Demokratie möglich ist.“

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