Basel Was tun, wenn der Tod streikt?

Jürgen Scharf
Szene aus „Der Kaiser von Atlantis“. Foto: zVg/Priska Ketterer

Kammeroper: „Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ am Theater Basel.  Voller Hoffnung.

Basel - Die Entstehungsgeschichte ist so stark, da musste das Theater Basel für Viktor Ullmanns „Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ ja einen zeitlosen Rahmen schaffen. In der Inszenierung dieser Kammeroper des 1944 in Auschwitz ermordeten Komponisten wird diese NS-Parabel im Theaterfoyer überzeitlich gestaltet.

Das Stück erzählt die Geschichte eines willkürlichen Kaisers, dem der Tod seinen Dienst verweigert, weil er sich durch den absoluten Krieg verhöhnt sieht – eine Anspielung auf den „Führer“. Noch im KZ Theresienstadt, einem „Vorzeigelager“, mit dem die Weltöffentlichkeit getäuscht werden sollte, entstanden, wurde das Spiel in einem Akt von Peter Kien (Libretto) zwar geprobt, aber nicht mehr uraufgeführt. Wie hätte man auch erschossene Soldaten zeigen sollen, die nicht sterben können?

In der Regie von Katrin Hammerl erhält die einstündige Kurzoper einen appellativen Charakter, aber auch eine gewisse Leichtigkeit, Spiellust und absurde Ironie. Es geht nicht nur um Wiedergutmachung, sondern um Zeitlosigkeit. Diese Eigenschaft des Stücks wird auf die Figuren übertragen: Die Spielergruppe ist relativ zeitlos gekleidet, ganz in Weiß.

Auf der großen Treppe im Foyer – gegenüber dem Zuschauerpodest – wird eine groteske Geschichte erzählt, ebenso kurzweilig wie lehrreich, tiefgründig und komisch. Was tun, wenn der alte Verbündete, der Tod, streikt? Wenn Todesurteile nicht mehr vollstreckt werden können? Wenn eine seltsame Krankheit ausgebrochen ist, bei der Soldaten nicht mehr sterben müssen:

Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?

„Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?“.

Der Tod ist tot. Kaiser Overall liegt schmerzhaft reglos auf der Balustrade. Auch der Balkon wird ins Spiel mit einbezogen. Drei Türen gehen auf und zu. Das Ensemble ist mit großer Intensität bei der Sache, jeder Einzelne hat Anteil am Gelingen dieser Kammeroper, die nicht nur tragisch daherkommt, sondern eher lustig, verspielt, witzig und geistreich.

Zu Beginn kündigt der Tod das Stück als eine „Art Oper“ an. Das entspricht der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre, und die Musik lebt von Mischformen: vom Blues, vom Modetanz Shimmy, von Bach-Zitaten, Chorälen, Volksliedern, von Verfremdungen. Wenn der Trommler die Kriegserklärung verliest, suggeriert die Melodie des Deutschlandlieds an der Stelle bei Kaiser Overall „über alles“.

Als der Herrscher in tiefen Wahnsinn versinkt, zitiert Ullmann das Schlaflied „Schlaf, Kindlein, schlaf“, unterlegt mit einem tieftraurigen Text. „Schlaf“ reimt sich hier auf „Epitaph“. Doch diese „Art Oper“ kann von komplexen Schönberg-artigen Klängen gleich umschalten auf Neo-Barockes mit Cembalo und auf Unterhaltungsstil mit Harmonium und Klavier (musikalische Leitung des Hochschulorchesters: Stephen Delaney).

In dieser Dualität bewegt sich die Musik, schwankt zwischen Hoffen und Verzweiflung. Durch seine Zuversicht wirkt der verfremdete, satztechnisch polyfon dichte Schlusschoral „Ein feste Burg“ dann umso berührender. Neben aller Grausamkeit ist das ein wunderschöner Hoffnungsschimmer.

Die Protagonisten bleiben den Finessen und Stilarten der Partitur nichts schuldig. Andrew Murphy ist ein überragender Tod, der durch den Abend führt und gleich zu Beginn eine Arie in einem traurigen Blues-Tempo anstimmt. Der Bariton Domen Krizaj als Kaiser Overall, der eine große puccinihafte Arie kantabel aussingt, gibt sich eher verzweifelt als herrschsüchtig.

Lyrisches und Chansonartiges interpretieren gekonnt der Bubikopf (Sarah Brady) und der Trommler (Ena Pongrac). Eine versöhnliche Szene gibt es, wenn ein Soldat (Hyunjai Marco Lee) und ein Mädchen sich auf dem Schlachtfeld begegnen und erkennen, dass sie nicht sterben können.

Diese gedankenvolle und emotional packende Aufführung berührt sehr und ist umso wichtiger und bewegender, wenn man bedenkt, wie ein deutsch-jüdischer Komponist unter solchen Bedingungen ein derlei unterhaltsames, hoffnungsvolles Kammerspiel schreiben konnte!  Nächste Vorstellungen am 18., 19., 26., 27. Februar

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