Basel Wenn nicht jetzt, dann nie

Die Oberbadische
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Portrait: Rabbi Marc Meyer zieht nach Israel

Rabbi Marc Meyer zieht nach 51 Jahren in Saint- Louis in dieser Woche nach Israel. Gemeinsam mit seiner Frau wagt der 79-Jährige den Umzug ins Heilige Land. Drei seiner acht Kinder leben bereits dort. Im Gespräch blickt er zurück auf sein Leben.

Von Susann Jekle

Saint Louis. „Spirituell gesehen wollte ich schon lange nach Israel ziehen“, erzählt Rabbi Marc Meyer beim Gespräch in seinem Haus in der Rue du Ballon, wo fast alles schon verpackt und auf dem Weg nach Israel ist. „In Israel ist es einfacher, als Jude zu leben.“ Angefangen beim koscheren Essen bis hin zu den Gebetsritualen bieten sich dort für einen gläubigen Juden viele Möglichkeiten, die in Frankreich verwehrt bleiben. Seit Jahren haben Meyer und seine Frau auf den richtigen Zeitpunkt für den Umzug gewartet. „So langsam bin ich in einem Alter, in dem es heißt: jetzt oder nie“, meint der 79-Jährige. Im vergangenen Jahr hat das Ehepaar sein Grundstück verkauft. Von den acht Kindern des Paares leben drei bereits in Israel, zwei in Amsterdam und drei in Frankreich. Deshalb ist klar, dass Meyer und seine Frau auch nach ihrem Umzug gelegentlich wieder nach Europa kommen werden. Schon im Juni ist der Besuch einer Bar Mitzwah in Amsterdam geplant. „Dank der günstigen Flüge ist das kein Problem“, meint Rabbi Meyer.

Das Leben als Jude in Frankreich habe er stets als normal empfunden. Doch er sieht auch eine negative Entwicklung in den Attentaten und der Flüchtlingskrise der vergangenen Jahre. „Ich habe deswegen keine Angst“, erklärt Meyer. In der Pariser Region nehme der Antisemitismus derzeit jedoch wieder zu. „Ich hatte gedacht, nach dem zweiten Weltkrieg würde das nicht mehr passieren“, sagt er. Zur Zeit des Kriegs war Meyer noch ein kleiner Junge. Sein Vater stammte aus Frankreich, seine Mutter aus Zürich. Die Familie verbrachte den Krieg relativ unbehelligt im französischen Zentralmassiv. Aber: Der Umzug nach Israel hat nichts mit der politischen Lage in Frankreich und Europa zu tun. Das betont auch die Frau des Rabbiners.

Meyer entschied sich 1966 dazu, den Posten als Rabbiner in Saint Louis zu übernehmen. Zuvor verbrachte er einige Jahre in England. „Als Rabbiner muss man tausende Sachen können“, erzählt der Rabbi. „Ich habe damals bei null angefangen.“ In mehr als 38 Jahren im Beruf lernte er stets dazu. Auch als pensionierter Rabbi übernahm er viele Aufgaben. „Die Rolle als Rabbi ist nicht nur religiös, sondern auch mit viel Lehrarbeit verbunden“, erklärt Meyer. So unterrichtete er zum Beispiel den Talmud, eines der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums. Auch abgesehen von der Rolle als Rabbi ist Meyer ein vielseitig interessierter Mensch. „In meiner Familie liegt die Leidenschaft für die Wissenschaft“, sagt er. Sein Vater und Großvater waren beide Ärzte, doch rieten sie ihm dazu, etwas anderes zu lernen. So studierte Meyer Biochemie und war zehn Jahre in Straßburg in diesem Bereich tätig. In den 1980er-Jahren entwickelte der Rabbiner ein Interesse für Informatik und machte es sich in den kommenden Jahren zur Aufgabe, Zeitschriften für die jüdische Gemeinde zu erstellen, die er heute noch immer stolz präsentiert. In den Heften mit vielen Texten und Schwarz-Weiß-Fotografien zeigt er Bilder seiner Kinder und von sich selbst beim Studieren des Talmud oder bei der Eröffnung der jüdischen Schule in Saint Louis.

Wenn Marc Meyer und seine Frau Saint-Louis verlassen, so lassen sie ihre Heimat zurück. „Viele Leute meinen, dass ich jetzt in meine Heimat zurückkehre“, erzählt der Rabbi. „Aber so ist es nicht: Frankreich ist meine Heimat. Es ist kein einfacher Abschied.“ Er freut sich dennoch auf das Leben in Israel, wo er im selben Ort wie seine Tochter Giselle leben wird.

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