Basel Wo die Gefahr stets dabei ist

Michael Werndorff
Hans Georg Heimann (links) und Nicholas Schaffner vom Verein für Industrie- und Migrationsgeschichte der Region Basel am großen Waschbecken der Arbeiter in der Farbstoffherstellung. Quelle: Unbekannt

Ausstellung: Verein will Chemiegeschichte bewahren / Ehemalige Arbeiter berichten über ihren Alltag

Sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze, teils aber auch lebensgefährliche Tätigkeiten: Die chemische Industrie in Basel hat das Leben vieler Basler und Grenzgänger ein Jahrhundert lang geprägt. Eine Ausstellung über den Arbeitsalltag in den einstigen Fabriken des Klybeck-Areals und die Wiege der Basler Chemie bietet interessante Einblicke.

Von Michael Werndorff

Basel. „Nur wenige Arbeiter sind älter als 60 Jahre geworden. Aromatische Amine wie Anilin oder Benzidin, mit denen die Angestellten bei der Farbherstellung in Kontakt kamen, haben oft zu Blasenkrebs geführt“, erzählt Hans Georg Heimann im Gespräch mit unserer Zeitung. Bis in die 1980er Jahre war eine jährliche Blasenspiegelung Pflicht. Erkannte der Arzt eine Stoffanreicherung, wurde der Arbeiter sofort an eine andere Stelle innerhalb des Unternehmens versetzt.

Farbstoffe und Medikamente

Heimann steht in einem Fabrikgebäude der ehemaligen Chemiefirma Ciba-Geigy im Klybeck. Mehr als 100 Jahre lang wurden dort synthetische Farbstoffe, chemische und später pharmazeutische Produkte hergestellt, weiterverarbeitet, abgefüllt und gelagert.

Der 70-Jährige arbeitete fünf Jahre lang für die „Chemische“, wie man in Basel die chemische Industrie nennt. „Man hatte es in der Produktion eigentlich ständig mit gefährlichen Situationen zu tun“, berichtet er über den Arbeitsalltag in der Farbherstellung. Von der Brisanz der Chemikalien zeugen sogenannte Merkblätter, die den Umgang mit den Substanzen beschreiben und in der Ausstellung zu sehen sind. Zu Beginn mussten die Arbeiter selber schauen, erst langsam entwickelte sich eine Fabrikhygiene, wo die Arbeiter vor Vergiftungen, Verbrennungen, Verätzungen, Staub und anderen Gefahren geschützt wurden. Ab dem Zweiten Weltkrieg wurden die Industrieanlagen neu erbaut. Viele Gebäude, die heute noch sichtbar sind, stammen aus dieser Zeit. Sicherheit spielte dann eine immer größere Rolle.

Besonders in den 1980er Jahren wurde viel in die Sicherheit der arbeitenden Menschen investiert, bis dann unter anderem durch die Chemiekatastrophe von Schweizerhalle das Ende der Branche in Basel eingeläutet wurde.

Chemische Industrie verlässt Basel

Ab dem Jahr 1990 begann die Chemische aus Basel wegzuziehen. Damals wurden gesellschaftliche Entwicklungen spürbar, welche das Umfeld für die Chemie stark veränderten, unter anderem ein gesteigertes Umweltbewusstsein, die Verteuerung von Energie und die Globalisierung erzeugten eine neue Logik. Das Zentrum der Weltwirtschaft zog nach Fernost und damit auch ein Großteil der chemischen Industrie, weiß Heimann.

Im Jahr 2007 verkaufte die Ciba die Farbproduktion an die amerikanische Firma Huntsman, die eine gleichwertige Firma für Textilfarben in Thailand aufbaute und den Betrieb im Klybeck 2011 schloss. In Basel endete damit eine Ära der industriellen Fabrikarbeit.

Die Ausstellung hat der Verein für Industrie und Migrationsgeschichte der Region Basel auf die Beine gestellt, dessen Vorsitzender Heimann ist. Gemeinsam mit Nicholas Schaffner hat er die Schau „Arbeitswelt Chemie“, welche vor allem die Jahre ab 1950 betrachtet, konzipiert, um einen wichtigen Teil der Basler Chemiegeschichte zu bewahren. Denn: Mit dem Wegzug der „Chemischen“ aus Basel seien wichtige Zeugnisse der Basler Industriegeschichte verloren gegangen. „Wir kümmern uns darum, dass sie nicht vergessen werden.“ Unter Schaffners Leitung wurden rund 40 Personen interviewt, welche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Firmen der Basler Chemie in verschiedenen Funktionen gearbeitet haben.

Arbeiter wurden gut versorgt

In der Ausstellung kommen die ehemaligen Beschäftigten zu Wort: „Jä, der Opa und der Vater, der Onkel Fritz und meine Schwester, der Onkel Friedrich und Doris, die Cousine, und Peter, der Cousin – alle Ciba. Ich weiß auch nicht, für mich war das immer, wenn in die Cemie, dann nur Ciba-Geigy“, berichtet ein ehemaliger Beschäftigter.

Eine der Protagonistinnen der Ausstellung ist eine Frau, die als sogenanntes Verdingkind in der Ostschweiz auf einem Bauernhof gelebt hatte. Leute vom Landdienst, die auf den Bauernhof gekommen waren, hätten von der Arbeit in der Chemischen in Basel geschwärmt, erzählt die Frau in einer Tonaufnahme. „Da habe ich gedacht; das wäre mal etwas anderes als immer bei den Bauern zu arbeiten.“

Zu Wort kommt auch eine ehemalige Migros-Verkäuferin, die auf der Suche nach einer Stelle war, bei der sie um 17 Uhr Feierabend machen konnte, um dann ihre kleine Tochter zu betreuen. Die Verkäuferin, habe einen Mann gekannt, der für die Chemische gearbeitet hatte, und ihn wegen einer Stelle gefragt. „Zwei Tage später konnte ich mich vorstellen, und dann bin ich sofort eingestellt worden, ohne eine Aufnahmeprüfung oder Ähnliches“, ist auf einer Tonaufnahme zu hören.

Man sei gut versorgt gewesen und habe Privilegien gehabt, berichtet Heimann. „Die Chemische hat die besten Löhne bezahlt.“ Dank der Interviews lernen die Besucher der Ausstellung nicht nur den Produktionsalltag kennen, sondern erfahren auch mehr über die Herkunft und den Werdegang von Chemiearbeitern, erklärt der Vereinsvorsitzende.

Die Schau im Fabrikationsgebäude WKL 314 an der Mauerstraße 1 ist für zwei Jahre finanziert – er und Schaffner hoffen, dass die Ausstellung weiterentwickelt werden kann und auch über die zwei Jahre hinaus Interessierten die Industriegeschichte Basels näherbringt.

 Die Ausstellung ist jeden Mittwoch und jeden ersten Samstag im Monat im ehemaligen Fabrikationsgebäude WKL 314 geöffnet.

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