Basel Zeitenwende oder Protestwelle?

Die Oberbadische
Über Gründe für den Vormarsch des Rechtspopulismus in ganz Europa sprachen der ehemalige Außenpolitiker Joschka Fischer (rechts) und der Journalist und ehemalige „ZEIT“-Chefredakteur Roger de Weck (links) im Theater Basel. Moderiert wurde der Abend von Daniel Binswanger. Foto: Michael Werndorff Foto: Die Oberbadische

Gesprächsrunde: Medien und Politik diskutieren über Extremismus in Europa

Von Michael Werndorff

Es sei ein Nationalismus alter, erschöpfter Leute, ein verlorenes Jahrzehnt für die Europäische Union, eine Krise der liberal-westlichen Demokratie sowie mit Donald Trump der Auftakt des Niedergangs der USA samt Machtverschiebung nach Asien. Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer hat am Mittwochabend keine positive Bestandsaufnahme gezeichnet, allerdings auch Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, die jetzt umgesetzt werden müssten.

Basel. Großes Publikumsinteresse herrschte am Mittwochabend im Foyer der Großen Bühne des Basler Theaters, als der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer (Grüne) mit dem Deutschlandkenner und ehemaligen Chefredakteur der „ZEIT“, Roger de Weck, und Moderator Daniel Binswanger über das Erstarken der Rechten und Abschottungstendenzen in Europa diskutierte. Um das Phänomen zu erklären, wurde der Weg Deutschlands von den Nachkriegsjahren über den Zerfall des Ostblocks bis in die jüngste Vergangenheit gezeichnet, in der die AfD mit 12,6 Prozent als drittstärkste Kraft in den Deutschen Bundestag eingezogen ist – ein Schock für die Schweiz, wie Moderator Daniel Binswanger zum Auftakt sagte.

„Angesichts unserer Geschichte ist das für Deutschland nicht normal“, stellte Fischer klar. Und weiter: „Deutschland kann man nicht ohne seine Geschichte haben.“ Er widersprach Binswangers These, dass Deutschland nach so vielen Jahrzehnten und dem Sterben der letzten Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs nun in einem Normalzustand angekommen sei.

Gründe für das Erstarken nationalistisch geprägter Parteien in Europa sah de Weck unter anderem in einer um sich greifenden Geschichtsvergessenheit wie auch im Verlust von Grundwerten. „Es gibt nun in ganz Europa Kräfte, die mehr Volksherrschaft wollen, sich dabei aber nicht mehr auf Grundwerte der Aufklärung berufen“, sagte der ehemalige Auslandskorrespondent und „ZEIT“-Chefredakteur, dem Fischer in seiner Analyse zustimmte.

Der Dialog sei so schwierig geworden, weil aufgeklärte Argumente nicht mehr zugelassen würden. Besonders krass sei es in den USA, wo sich Demokraten und Tea-Party-Anhänger gegenüber stünden. Nun gehe es darum, sich auf die Suche nach einer Lösung der tiefen gesellschaftlichen Spaltung zu machen.

Diese sorgt im Verhältnis Europa/USA und der Welt auch dafür, dass sich der Machtmittelpunkt nach Ost-Asien verschieben wird, erklärte der Grünen-Politiker Fischer. So könnten die Amerikaner nicht mehr die Rolle der Führungsmacht spielen, China sei indes bereit, diese zu übernehmen. „Die Krise der liberal-westlichen Demokratie hat aufs engste mit dieser Grundentwicklung zu tun“, so Fischer. Da sei es schon paradox, dass sich die Europäer letztlich auf einen zukunftslosen Nationalismus zurückbesinnen, ergänzte de Weck.

Dass zum Beispiel im Osten Deutschlands die AfD großen Zulauf habe, erklärte Fischer auch mit der DDR, in der praktisch eine Fortführung des alten Deutschlands unter roter Flagge herrschte – eine proeuropäische Bewegung hätten die Menschen hinter der Mauer nicht mitgemacht, wusste Fischer. Und mit dem Beitritt zur Bundesrepublik sei für die ehemaligen DDR-Bürger ein Stück Identität verloren gegangen –kulturelle Fragen dürfe man nicht unterschätzen, so handele es sich um einen Kulturkampf, den man führen müsse. Weitere Triebfedern in Sachen Extremismus stellen die Globalisierung und Digitalisierung dar, von der bestimmte Bevölkerungsschichten im Westen nicht profitiert hätten, merkte de Weck an.

Beide Diskutanten waren sich einig, dass ein Gegensteuern auf internationaler Ebene nur mit den vereinten Kräften Deutschlands und Frankreichs gelingen könne, wohl wissend, dass das zu einem Europa der zwei Geschwindigkeiten führen werde, wie Fischer sagte. Die Vorangehenden müssten sich dann darum kümmern, dass alle zusammenbleiben. So begrüßte er den Wahlsieg Emmanuel Macrons bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich, schließlich sei er zur Einigung Europas angetreten, wozu nun die letzte Chance bestünde. „Scheitert man, kommt es zu einer neuen Weltordnung mit dem Zentrum in China“, mahnte Fischer. Die große Aufgabe dabei sah er nicht im Finanziellen, sondern in der Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens. Eine Identitätskrise könne man sich unter keinen Umständen leisten.

Thematisiert wurden auch Flüchtlingskrise und Migration: Der Druck auf Europa werde laut Fischer nicht weichen. Es sei eine große Herausforderung, die nur gemeinsam angegangen werden könne. „Eine Festung Europa ist illusorisch. Wir werden die Zuwanderung auf eine andere Grundlage stellen müssen“, verwies Fischer auf eine EU-weite Verteilung von Asylbewerbern, ohne die es nicht gehe.

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading