Basel Zeitkolorit mit Schmunzel-Faktor

Die Oberbadische
Keine Autobiografie, aber autobiografisch: Alain Claude Sulzer über sein Buch „Die Jugend ist ein fremdes Land“, das von seiner Kindheit in Riehen erzählt. Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

Lesung: Alain Claude Sulzer stellt in der Arena sein Buch „Die Jugend ist ein fremdes Land“ vor

Von Jürgen Scharf

Riehen. Was ist es denn nun? „Es ist keine Autobiografie, aber es ist autobiografisch.“ Das sagt Alain Claude Sulzer etwas sybillinisch über sein neues Buch „Die Jugend ist ein fremdes Land“, für das man vielleicht das Genre „autobiografischen Roman“ bemühen könnte. Ein Erinnerungsbuch, voller Geschichten, Reflexionen und Erinnerungen, ganz ohne Chronologie: lauter gesammelte Episoden über seine Kindheit in einem „Dorf bei Basel nahe der deutschen Grenze“.

Hier, in Riehen, wächst Sulzer in einem Avantgardehaus auf, das es bis in trendige Architekturzeitschriften schafft. Ein Haus mit seltsamen Designermöbel, wie man im Kapitel mit der Überschrift „Sofa“ erfährt. Sulzer erklärt nicht sein Leben, sondern erzählt einfach ein paar Sachen, oft witzig, mit leichter Ironie und Schmunzeln.

Natürlich: Wenn ein Riehener Autor über Riehen erzählt, ist volles Haus bei der Literaturinitiative Arena im Kellertheater oder besser „tout Riehen“ angesagt. Und viele sind ja auch sein Jahrgang und haben ähnliche Erinnerungen an die 50er, 60er und 70er Jahre wie er. Es ist also ein Band, der kollektive Erinnerungen weckt, beim Leser beziehungsweise dem Zuhörer, aber es ist kein nostalgisches Buch.

Sulzer sagt nicht, die Zeit damals war schlecht und heute ist sie besser, aber man merkt doch seine persönliche Sichtweise und dass alles aus heutiger Sicht geschrieben ist. Aber die Zeit von damals ist in diesem Erinnerungsmosaik wichtig. Es ist Zeitkolorit.

Auch der Wiederentdeckungseffekt über Landesgrenzen hinweg ist groß. Sulzers Text hat keine Probleme, auch im deutschen Raum verstanden zu werden. Sind es doch abgeschlossene Szenen und kleine Geschichten, die er erzählt. Etwa die nicht ganz charmante über Prinz Charles und Schnecken im Salat (die Queen wäre „not amused“).

Süffisante Beobachtungen in der brillanten Sulzerschen Sprache

Dann erfährt man etwas in seinem typisch unterschwelligen Humor über Theater mit Trudi Gerster im Saal des Landgasthofs; sie spielte die böse Fee in einem Weihnachtsmärchen, die bekannte Verwandlungskünstlerin und Märchentante. Das süffig geschriebene Kapitel „Danseur étoile“ amüsiert über die körperliche Ertüchtigung mit „Buckeliturnen“ und frühe Ballettstundenerfahrungen mit einer russischen Ballettmeisterin. Über kratzige Strumpfhosen wird in dem samstäglichen häuslichen Badevergnügen berichtet.

Ganz besonders riehenerisch geht es zu, wenn Sulzer die Diakonissen beschreibt, die das Riehener Dorfbild in seiner Jugend beherrschten, „blasse, ungeschminkte Wesen, stets fröhlich und ausgeglichen, demütig und gottergeben“: Frauen voller Güte und Sanftmut, mit bleichen Wangen in dunkelblauer Uniform mit gestärkten Hauben und randlosen Brillen, die nicht „Grüezi“, sondern „Grüß Gott“ sagen.

Das sind wirklich schöne, süffisante Beobachtungen, in der brillanten Sulzerschen Sprache, einem leichten, aufgelockerten Ton. Die kurzen Geschichten sind in der Tat keine Autobiografie im klassischen Sinn, aber sie geben in ihrer Rückschau und den detailgenauen Beobachtungen Einblick in „eine Schweizer Jugend“, wie er das Buch ursprünglich nennen wollte. Aber das kam (beim Verlag?) nicht so gut an, da hat sich der Autor für den poetischeren Titel „Die Jugend ist ein fremdes Land“ entschieden.

Die Orte und Gefühle erscheinen sehr fremd, wenn sie auch ganz nah sind. Es ist sicher Sulzers intimstes Buch. Aber ist darin das wahre, echte Leben des Alain Claude Sulzer aufgeschrieben? Einige Bemerkungen lassen es vermuten.

Doch es sind keine Anekdoten, sondern wahre Geschichten. In dem relativ schmalen Band beschreibt der bald 65-Jährige die Dinge, die er bis zum 18. Lebensjahr in Erinnerung hat. An mehr will er sich gar nicht erinnern.

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