Zum einen komme es vor, dass in einer organisierten Nacht-und-Nebel-Aktion mehrere Personen in die Anlagen fahren, um diese regelrecht leerzuräumen. In diesem Fall werden zum Beispiel die Kirschbäume auch beschädigt, weil der Ast – da es schnell gehen muss – samt Früchten und Blättern von oben nach untern mit einer ruckartigen Bewegung abgestreift wird. Dabei werden auch die Triebe fürs nächste Jahr in Mitleidenschaft gezogen. Zum Glück aber halten sich solche Fälle von organisiertem Diebstahl in Grenzen.
Auf der anderen Seite bestehe das Problem aber auch darin, dass sich Spaziergänger – wie etwa die vier Frauen – einfach an den Bäumen bedienen. Im Vorbeigehen ein paar Äpfel oder Kirschen zu pflücken, mag manchem wie eine Lappalie erscheinen, aber für die Landwirte ist es aus zwei Gründen problematisch.
Erstens: Diebstahl bleibt Diebstahl. Und zweitens kann sich der dadurch entstehende Schaden im Lauf der Zeit summieren. Denzer erklärt es bildlich: „Wenn ich mir einen Euro aus einem fremden Geldbeutel nehme, in dem sich 300 Euro befinden, scheint das erstmal nicht viel zu sein.“ Gleichzeitig betont sie: „Der Besitzer des Geldbeutels wäre aber bestimmt trotzdem alles andere als glücklich.“ Und wenn sich jeder einen kleinen Betrag nehme, wäre das Geld am Ende weg.
„Die Dreistigkeit hat zugenommen“
Vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der sich manch einer an den Obstbäumen bedient, bringt die Landwirtin in Rage. „Die Dreistigkeit hat zugenommen“, ist sie sich sicher.
Zugleich betont Denzer, dass es überhaupt kein Problem ist, das Obst zu probieren, das werde schließlich auch am Verkaufsstand so gehandhabt. Nur sollte man sich nicht einfach nach Herzenslust bedienen. Das gebiete der Anstand.
Das Ausmaß des Problems ist von Hof zu Hof verschieden, da viele Variablen eine Rolle spielen, etwa welches Obst oder Gemüse angebaut wird und vor allem auch, wo sich die Anlagen befinden.
Die Obstbauern in Huttingen haben bislang weniger gravierende Erfahrungen mit Obstklau machen müssen. „Bisher hatten wir keine großen Probleme. Sicher erwischt man den einen oder anderen mal, gravierend ist das bisher aber nicht“, teilt Markus Schörlin mit. Und auch Kevin Brändlin berichtet, dass ein organisiertes Abräumen der Anlagen glücklicherweise – wenn überhaupt – nur höchst selten vorkomme.
Probieren ja, Selbstbedienung nein
Brändlin kennt den Zwiespalt, der sich bei diesem Thema für die Landwirte ergibt. Denn auf der einen Seite sei es natürlich Diebstahl, wenn man die Früchte ungefragt pflückt, auf der anderen Seite wollen die Landwirte, dass sich die potenziellen Kunden von der Qualität der Produkte überzeugen können. Es sei eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Klar sei aber auch: Wenn er sehe, wie sich Spaziergänger mit Kisten oder Tüten in die Anlagen aufmachen, müsse er einschreiten.
Auch komme es bisweilen zu skurrilen Situationen: Vor einigen Jahren habe ihm ein Mann Äpfel gestohlen, die Brändlin bereits geerntet hatte und die sich noch in einer Kiste auf dem Wagen befanden. Als der Landwirt merkte, dass ein Teil seiner Ernte fehlte, stellte er den Dieb, der noch in der Nähe war, zur Rede. Dieser entgegnete: „Gott hat das Obst für alle geschaffen.“
Früchte jahrelanger harter Arbeit
Diese Episode mag an sich einzigartig sein, weist aber auf ein grundlegendes Problem hin: Vielen ist nicht bewusst, wie viel Arbeit im Anbau von Obst und Gemüse steckt. Denn schöne Früchte, wie man sie vom Markt oder aus dem Laden kennt, wachsen nicht von Zauberhand an den Bäumen, sondern sind das Ergebnis teils jahrelanger harter Arbeit, betonen Denzer und Brändlin übereinstimmend. Das Bewusstsein dafür sei früher stärker ausgeprägt gewesen, glaubt Brändlin. Allein schon deshalb, weil der Bezug zur Landwirtschaft enger war.
Eine Lösung für das Problem des Obstdiebstahls könnte also darin liegen, stärker für die Arbeit zu sensibilisieren, die in jeder Kirsche und in jedem Apfel steckt. Anlagen und Felder weiter einzuzäunen oder gar mit Videokameras zu überwachen, könne aus Sicht von Susanne Denzer aber nicht der richtige Weg sein. „Dann müsste ich anfangen, jedem zu misstrauen. Aber das möchte ich nicht und das entspricht auch nicht meinem Naturell.“
Auch betont sie, dass sich 95 Prozent der Leute anständig verhalten. Über die verbleibenden fünf Prozent ärgere man sich aber trotzdem.