Efringen-Kirchen „Jugendliche spüren soziale Kälte“

Beatrice Ehrlich
Werken, Billard, Schnitzeljagd: Aktionen für verschiedene Altersgruppen hat Jugendreferent Jens Künster 2021 organisiert. Foto: Fotos: zVg/Jens Künster

Interview: Jugendreferent Jens Künster hat Jugendliche in Efringen-Kirchen durch das Jahr 2021 begleitet

Viel hat sich im zu Ende gehenden Jahr geändert, besonders in den Berufen, die viel mit Menschen zu tun haben. Wie sich die Corona-Krise auf die Jugendarbeit ausgewirkt hat, fragten wir Jens Künster, verantwortlich für das Jugendzentrum in Efringen-Kirchen.

Von Beatrice Ehrlich

Efringen-Kirchen. Wir interviewen Jens Künster in Abwesenheit, da er gerade im Urlaub ist. Er freut sich über die Gelegenheit, über seine Aktivitäten im vergangenen Jahr zu berichten.

Frage: Hinter uns liegt ein ganz besonderes Jahr, in vielerlei Hinsicht. Wenn Sie so zurückblicken: Was waren aus Ihrer Sicht die wesentlichen Veränderungen in diesem Jahr?

Trotz aller widrigen Umstände hat sich eine gewisse Normalität eingestellt. Wunderbar für unsere Kinder und Jugendlichen war, dass wir im Sommer relativ unbeschwert einen Großteil unserer Angebote wieder aufnehmen konnten.

Frage: Was war positiv?

Der lange „Lockdown-Winter“ bis ins Frühjahr hat viele Jugendliche vor eine Belastungsprobe gestellt. Dies lag an den Kontaktbeschränkungen, nächtlichen Ausgangssperren und der damit verbundenen Strafandrohung. Daher begrüße ich, dass solche staatlichen Maßnahmen nun zielgenauer dem regionalen Kontext angepasst werden können. Die lange Zeit der Entbehrungen hat auch zu einer gewissen Demut geführt. Viele sind über die wiedererlangten Freiheiten glücklich und erleichtert.

Frage: Was war weniger gut?

Die Monate des harten Lockdowns haben dazu geführt, dass sich viele Jugendliche ins private Umfeld zurückgezogen haben. Gerade bei Jugendlichen aus schwierigen Lebenslagen müssen wir uns fragen: Wie kommen wir an diese Mädchen und Jugend wieder heran? Wir beobachten auch eine Verschärfung von Suchtproblematiken bei jungen Menschen. Dies trifft vor allem solche, die Pandemiebedingt an der Schnittstelle Schule-Ausbildung-Beruf festhängen und sich in gefährliche Konsummuster flüchten.

Frage: Haben auch Sie sich geändert?  Inwiefern?

Ich habe mir angewöhnt, möglichst ruhig auf die sich oft ändernden Rahmenbedingungen zu reagieren. Auch im vergangenen Jahr haben wir mehrere aufwendig geplante Ausflüge und Aktionen, wie unser Filmprojekt, pandemiebedingt absagen müssen. Das ist frustrierend, aber die Pandemie lehrt uns auch flexibel zu sein und immer einen Plan B bereit zu halten. Mit Blick auf relevante Themen und Nachrichten hat sich unser Instagramkanal „Jugendzentrum588“ zu einer vertrauten Informationsquelle für Jugendliche etabliert.

Frage: Sie haben viel mit jungen Menschen zu tun. Was haben Sie im Umgang mit ihnen festgestellt?

Vielen Menschen scheint der Dauer-Ausnahmezustand auf das Gemüt zu schlagen – und wer kann es ihnen verübeln? Im Berufsfeld sehe ich bei vielen Kolleginnen und Kollegen eine gewisse Unsicherheit mit Blick auf die sich ständig ändernden rechtlichen Vorgaben. In der Auseinandersetzung mit den Jugendlichen bedeutet dies, dass wir neue Regeln immer wieder erklären und rechtfertigen müssen.

Im Allgemeinen beobachte ich in unserer Gesellschaft, dass sich viele Menschen ins Private zurück ziehen und sich auf sich selbst fokussieren. Daraus entsteht eine gewisse soziale Kälte, die auch unsere Jugendlichen zu spüren bekommen.

So haben im Jugend-Hearing mehrere Jugendliche berichtet, oft von Erwachsenen angegangen zu werden. Ohne Einzelfälle bewerten zu wollen, bleibt der Eindruck, dass sich Spannungen aufgebaut haben.

Frage: Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Seitdem in diesem Sommer Impfungen auch für Minderjährige ab zwölf Jahren möglich sind, haben viele Jugendliche dieses Angebot wahrgenommen. Es gibt jedoch auch einige, die aus den unterschiedlichsten Gründen derzeit mit diesem Schritt zögern. Diese Gruppe reagiert geradezu allergisch auf das viel genannte Argument gegenseitiger Solidarität.

Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass junge Menschen sich wenig wertgeschätzt fühlen. Für Jugendliche sind neben der Schule oder der Ausbildung auch die Familie und Freizeitgestaltung bedeutsam.

Frage: Was waren Schwerpunkte Ihrer Arbeit mit den Jugendlichen?

Während der Wintermonate bis zum Frühjahr sind wir komplett auf die Mobile Jugendarbeit umgeschwenkt. Dies ließ zu, einzelne Jugendliche nochmal ganz neu kennenzulernen oder bestehende Kontakte zu vertiefen.

Einzelfallberatungen im Jugendzentrum waren dort besonders wichtig, wo es jungen Leuten durch Corona-Einschränkungen, Home-Schooling und familiäre Schwierigkeiten „zu viel“ wurde. Bereits seit dem vergangenen Jahr haben wir zudem unsere Präsenz auf den sozialen Medien erheblich ausgebaut.

Frage: Welche Aktionen konnten stattfinden?

Einige spannende Events konnten wir trotz der erschwerten Umstände durchführen: eine Schnitzeljagd im Südschwarzwald, vier Sportturniere als Teil des Kinderferienprogramms der Gemeinde und das Format Politik&Pizza auf Landkreisebene im Vorfeld der Landtags- und Bundestagswahlen. Es ist wichtig, jungen Menschen gestaltbare und frei verfügbare Räume zu geben. Ich bin froh, dass wir dies kürzlich in Efringen-Kirchen mit dem Start selbstverwalteter Öffnungszeiten im Jugendzentrum geschafft haben.

Frage: Was hat Sie glücklich gemacht im vergangenen Jahr?

Am meisten bewegt hat mich die Dankbarkeit unserer Jugendlichen. Auch junge Menschen merken, wie herausfordernd es mitunter ist, den Arbeitsalltag kurzfristig an neue Gegebenheiten anzupassen. In Efringen-Kirchen war ich beeindruckt über das Engagement unserer Jugendlichen. In Eigenregie wurden zwei große Sitzgelegenheiten zusammengezimmert. Anschließend widmeten wir uns gemeinsam einem Upcycling-Projekt: Altreifen wurden zu stylischen Beistelltischen transformiert. Im Dezember halfen einige mit, unseren in die Jahre gekommenen Billardtisch zu restaurieren. Auf diesem Weg ein „Danke!“ an Michael Greiner.

Sehr glücklich hat nicht nur mich, sondern vor allem die Jugendlichen gemacht, dass Bürgermeister Philipp Schmid endlich die Schaffung neuer Räume für das Jugendzentrum für 2022 angekündigt hat. Von diesem längst überfälligen Schritt versprechen wir uns eine enorme Aufwertung des Standorts Jugendzentrum, sowie vielseitige neue Möglichkeiten für unsere pädagogische Arbeit.

Wie erwähnt, haben wir immer wieder Jugendliche, die irgendwie „steckengeblieben“ sind. Die Schule ist vorbei, eine Ausbildung oder Arbeit jedoch nicht in Sicht. Und die fehlende technische Ausstattung – und manchmal auch die eigene Motivation tun ihr übriges.

Daher bin ich sehr froh über eine großzügige Spende der Firma „Notebooksbilliger.de“, die uns für unsere Jugendarbeit Laptops zur Ausleihe gestiftet hat.

Frage: Was hat Sie genervt?

Als Anwalt junger Menschen ärgert mich im Pandemiekontext vor allem, dass wenn es um finanzielle Untersetzung für (Groß-)Unternehmen geht, allerhöchste Anstrengungen unternommen werden, gar die „Bazooka“ ausgepackt wird. Da werden Abermillarden lockergemacht und junge Menschen fragen sich zu Recht: „Was ist mit uns?“ Darum sage ich, wir müssen als Gesellschaft insgesamt bereit sein, mehr für Kinder und Jugendliche zu tun!

Frage: Was sollte 2022 anders werden?

Ich erhoffe mir, die Jugendarbeit am Standort Efringen-Kirchen im Jahr 2022 durch neue Räumlichkeiten und mit neuem Schwung auf ein noch besseres Niveau zu heben. Ich wünsche mir, dass unser Engagement für junge Menschen in Efringen-Kirchen Vorbildcharakter bekommt und in die Region ausstrahlt.

Der 35-jährige Familienvater hat Stadt- und Regionalentwicklung studiert. Der begeisterte Motorradfahrer ist seit 2018 im Dienst des Caritasverbands Lörrach und dort unter anderem als Jugendreferent für Efringen-Kirchen zuständig.

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