Was waren die ersten Schritte?
Von Anfang an die dringendste Frage war die nach Unterkünften. Die Efringen-Kirchener Bürger waren unglaublich großzügig und haben Wohnraum zur Verfügung gestellt, auch direkt bei sich zu Hause. So konnten wir in kurzer Zeit viele ukrainische Familien aufnehmen. Das zweite Thema war die finanzielle Unterstützung. Die Menschen kamen ja nur mit dem Allernötigsten hier an. Alle mussten sich zunächst beim Landratsamt und ab Juni dann beim Jobcenter anmelden, um erst Asylbewerberleistungen und im Anschluss ALG II zu beantragen.
Bei einem Sammeltermin mit dem Jobcenter im Rathaus Ende Mai waren alle mittlerweile rund 60 Geflüchteten anwesend, um die mehrere Seiten langen Anträge abzugeben, die wir vorher zusammen ausgefüllt hatten. Das macht im Grunde meine Tätigkeit aus: Dies auf eine Weise zu organisieren, dass es für alle machbar und möglich ist. Unser großer Vorteil ist, dass wir den „Alten Kindergarten“ für Treffen und Hilfsangebote nutzen können.
Knapp ein Jahr ist seit der Ankunft der ersten Ukrainer in Efringen-Kirchen vergangen. Wie ist die Stimmung unter ihnen heute?
Die Stimmung ist gut – wenn man von den Sorgen absieht, die jeder mit Blick auf die Situation zuhause mit sich herumträgt. Es hat sich eine gute Gruppe gebildet. Die inzwischen rund 80 in Efringen-Kirchen und den Ortsteilen untergebrachten Ukrainer sind vernetzt. Einige kannten sich schon vorher und es gibt auch solche, die miteinander verwandt sind.
Ist der Krieg Thema?
Die Ereignisse in der Ukraine kommen bei unseren Treffen eher selten zur Sprache. Ich halte mich bewusst aus politischen Fragen heraus. Hier darf man gelöst sein, und es genießen, nette Leute um sich herum zu haben. Immer wieder lade ich ein, zu Veranstaltungen mitzukommen, zuletzt zum Hemdglunkiumzug der „Zieefägge“.
Ein schnelles Ende des Kriegs in der Ukraine ist nicht absehbar. Wie gehen die Menschen damit um, dass sie womöglich länger hierbleiben werden?
Dass sie sich darauf einrichten, merkt man an der Bereitschaft, sich auf die deutsche Sprache einzulassen. Bei vielen gehen die Gedanken auch in Richtung Arbeit. Seit Oktober ist die Sprachschule DEB mit einem Angebot hier, andere bereiten sich an der Volkshochschule in Weil auf die B1-Sprachprüfung vor. Die Kurse dort haben früher begonnen, die ersten stehen direkt vor dem Abschluss. Die Frage ist, was kommt danach? Denn offiziell ist der Spracherwerb damit zu Ende.
Helfen Sie auch bei der Arbeitssuche?
Das ist die Aufgabe des Jobcenters, aber man hält sich da natürlich nicht ganz raus. Manche haben bewusst den Deutschkurs aufgegeben, um gleich eine Arbeitsstelle anzutreten. Leider gibt es für sie keine Deutschkurse am Abend. Das ist etwas, das fehlt.
Welche Probleme stellen sich heute?
Wir befinden uns in einer problemarmen Phase: Dass immer wieder neue Anträge beim Jobcenter und für die Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis gestellt werden müssen, ist schon Routine.
Gerade erst wieder hat sich einiges zum Guten gewendet. So besuchen die ukrainischen Kinder seit Beginn des zweiten Schulhalbjahrs nicht mehr nur Vorbereitungsklassen, sondern nehmen „teilintegriert“ am Regelunterricht teil, das heißt, sie verbringen jeden Tag mehrere Stunden in regulären Klassen. Manche sind auch schon voll integriert. Ich bin froh, dass die Schüler hier im Ort diese Möglichkeit haben! Die Zusammenarbeit mit dem Schulzentrum war von Anfang an sehr gut. Die ukrainischen Schüler haben sofort einen Platz bekommen, obwohl das Gesetz das erst ab dem sechsten Monat vorschreibt.
Und in Zukunft?
Man weiß nie, was alles kommen wird. Ein Thema ist zum Beispiel auch die psychische Komponente. Man muss darauf vorbereitet sein, dass bei manchen, wenn die materiellen Bedürfnisse so weit erfüllt sind, ein Trauma ausbrechen könnte.
Grundsätzlich bin ich sehr zufrieden damit, wie die Aufnahme der Menschen aus der Ukraine hier gelaufen ist. Da die Gemeinde Efringen-Kirchen und ihre Bürger zu einem sehr frühen Zeitpunkt Ressourcen bereit gestellt haben, konnten wir viele Menschen gut unterbringen und haben im Vergleich zu anderen Orten unser „Soll“ bereits erfüllt.
Was hat Sie Ihr erstes Jahr und die Zusammenarbeit mit den Ukraine-Flüchtlingen gelehrt?
Ich schaue Nachrichten, auch wenn ich es nicht will, und bin immer wieder schockiert über das, was in der Ukraine passiert. Manchmal zeigt mir jemand ein Bild auf dem Handy von kaputten Häusern mit den Worten „Das ist mein Dorf“. Dann frage ich mich, wie die Menschen das ertragen können. Ich sehe es als meine Aufgabe, ihr Leben hier zu verbessern und ihre Sorgen zu mildern, auch wenn ich ihnen ihre Ängste nicht nehmen kann. Im Übrigen – für mich heißt die Devise: Mit offenen Augen und offenem Herzen unterwegs sein.
Hintergrund
Geflüchtete in Efringen-Kirchen
Als eine von zwei Flüchtlingsbeauftragten der Gemeinde Efringen-Kirchen ist Tabea Hugenschmidt ausschließlich für die Flüchtlinge aus der Ukraine zuständig. In der Gemeinde leben zur Zeit rund 80 ukrainische Geflüchtete in Anschlussunterbringung, hinzu kommen weitere 50 Ukrainer, die in einer Gemeinschaftsunterkunft des Landkreises Lörrach in Huttingen untergebracht sind. In der Gemeinschaftsunterkunft des Landkreises in Efringen-Kirchen leben zudem 170 Geflüchtete aus verschiedenen Ländern, weitere rund 60 in Anschlussunterbringung. Für sie ist im Rathaus Ines Franitza zuständig.
Zur Person
Tabea Hugenschmidt (45) ist Biologin und Mutter von drei Kindern. Sie war viele Jahre bei einem Schweizer Unternehmen angestellt, wo sie in der biomedizinischen Grundlagenforschung im Bereich Epigenetik forschte. Über ihr ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingsarbeit fand sie nach der Elternzeit zu ihrer neuen Tätigkeit.