Besuch aus der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires mit neuem Tango in kleiner klassischer Besetzung bekam am Samstag die Kulturscheune Rabe.
„Azabache Tango“ begeistert in der Kulturscheune
Besuch aus der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires mit neuem Tango in kleiner klassischer Besetzung bekam am Samstag die Kulturscheune Rabe.
Von Jürgen Scharf
Kleinkems - „Meine Musik ist Buenos Aires.“ Das sagte einmal Astor Piazzolla, der Erfinder des Tango Nuevo. Buenos Aires ist aber auch ihre Musik: die des Tango-Quartetts „Azabache Tango“, das am Samstagabend in der Kulturscheune in Kleinkems zu Gast war. Es ist auch ein Tango Nuevo, ein neuer Tango, noch neuer als der von Piazzolla. Denn der hat nun doch schon ein paar Jährchen auf dem Buckel, schließlich jährt sich Piazzollas Todestag in diesem Jahr zum 30. Mal. Und seit etwa 15 Jahren gibt es in Buenos Aires eine neue Blütezeit des Tango mit neuen Stücken für eine andere Zeit oder coolen Arrangements zeitgenössischer Komponisten.
Was „Azabache“ macht, ist auch ein typischer Tango argentino, der seine Wurzeln in der aktuellen Tangoszene der argentinischen Metropole hat.
Der Ensemblename „Azabache“ bezieht sich auf einen schwarzen Halbedelstein, auch einen Schutzstein gegen Trauer und Kummer, was ja zum Tango passt. Die Gruppe ist seit zwei Wochen unterwegs, gastierte in Europa und machte als Zwischenstation vor dem Rückflug Halt in der Kulturscheune Rabe, um im ersten Teil ihre im letzten Jahr erschienene CD zu präsentieren und danach neues Tangomaterial vorzustellen.
Tango zieht – das zeigte sich in der vollbesetzten Scheune. Das Stammpublikum war wieder da; nicht selbstverständlich nach der langen Kunstpause. Die Zuhörer waren neugierig, offen für Neues und genossen das originelle Repertoire der als reines Streichquartett außergewöhnlichen Besetzung.
Die Kompositionen stammen großteils aus der Feder der aus Freiburg stammenden Katharina Deissler, die, vom Tango angezogen, schon 2011 nach Argentinien auswanderte und jetzt mit ihrer Gruppe von argentinischen Orchestermusikern zurückkam. Wer Tango gleichsetzt mit Bandoneon, Tanzmusik und sentimentalem Gesang, der lernte hier etwas Anderes kennen.
Weit entfernt vom Üblichen und auch von anspruchsvollen Piazzolla-Werken erweckte das Quartett mit einem differenzierten, schön durchhörbaren, rhythmisch vibrierenden Spiel die modernen Tango-Partituren zum Leben. Natürlich war da auch der rassige Tango-Schmiss und Improvisationen. Alles klang spontan, fantasievoll, und die Musiker setzten noch eins drauf mit typischen instrumentalen Klangeffekten.
Das waren nicht nur die „Dirty Notes“ und Glissandi, sondern auch Kratzer und andere Geräusche wie die „Grille“, die „Trommel“ oder die „Peitsche“. Diese speziellen Spieltechniken und Klangwirkungen klangen intelligent arrangiert und gaben dem rhythmischen Fundament noch den letzten Pfiff. Auch dadurch gelang es Katharina Deissler und Adriana Miranda an den Violinen, Juan Ignacio Gobbi an der Bratsche und Bruno Bragato am Cello (dessen Großonkel die Tangolegende José Bragato war) die Erwartungen des Publikums an eine klassische Tango-Besetzung immer wieder erfolgreich zu unterwandern.
Hinzu kam die atmosphärisch fein geschliffene Tongebung. Etwa in dem rasanten Stück mit schnellaufenden Fingern auf dem Griffbrett, das bezeichnenderweise „Finger“ heißt, oder in dem etwas krächzenden Herzklopfen-Stück mit dem Titel „Cardiograma“ – spanisch für EKG. Irgendwie spürte man bei diesem Streichquartett bei aller Spontaneität aber auch, dass ihre Wurzeln in der akademischen Ausbildung liegen. Manche Stücke sind fast schon zeitgenössische klassische Kompositionen mit Tango-Touch.
Die neuen Stücke, die das Ensemble nach der Pause spielte und die für ein zweites Studioalbum in diesem Jahr aufgenommen werden sollen, waren noch ambitionierter, raffinierter und avantgardistischer. Sie entfernten sich ganz schön weit vom traditionellen Tango, den man tanzen kann. Etwa die abschließende Milonga mit afrikanischen Einflüssen, die durch Sklaven in den Tango eingebracht wurden.
Diese neuen und überraschenden Interpretationen der argentinischen Popularmusik von „Azabache Tango“ waren aber mindestens ebenso hörbar besessen von der Sehnsucht, von Buenos Aires, vom Tango, den man – um noch einmal Piazzolla zu zitieren – „unter der Haut trägt“.