Grenzach-Wyhlen „Chrischdian“ schnallt den Gürtel eng

Tim Nagengast

Johannimarkt-Ausfall: Zahlreichen Schaustellern und Händlern steht das Wasser fast bis zum Hals

Grenzach-Wyhlen - Für das gesellschaftliche Leben in Grenzach-Wyhlen bedeutet der pandemiebedingte Ausfall des Johannimarktes – es wäre die 253. Auflage gewesen – einen herben Verlust. Schon jetzt freuen sich viele Bürger daher auf den Markt im kommenden Jahr. Aber ob dann alle der stets rund 90 Händler und Schausteller wiederkommen werden? Dem Gewerbe steht das Wasser nämlich bis zum Hals, wie der in Grenzach-Wyhlen bestens bekannte Marktbeschicker Christian Mauch berichtet.

Normalerweise wäre „de Chrischdian“, wie er sich selbst – und alle anderen auch – ihn nennen, am vergangenen Mittwoch und Donnerstag in Grenzach gewesen. Wie jeden 24. und 25. Juni. Normalerweise hätten wohlmeinende Anwohner dem Chrischdian auch wieder eine Schüssel mit kaltem Wasser gebracht, damit der Ortenauer „bei dere Bullehitz mal d’Füß neistelle“ kann, wie er sich auszudrücken pflegt.

Normalerweise hätte man Mauchs sonore Bassstimme in der Johannimarktmitte garantiert nicht überhören können. Mal galant-melodiös („Sooooo, hier wunderschöne Hoseträger für den Herrn!“), mal treffend-direkt („Mir habet Gürtel für jede Bauch – für den vo Ihrem Mann sogar mit Dehngummi!“), mal fürsorglich („Du hosch scho Sonnebrand uf de Platte, du könntsch der bei mir en Hut kaufe“). Doch in Coronazeiten ist eben nichts normal.

Mauch hat zurzeit mehr Gürtel, als ihm lieb ist. Und diese muss er sehr eng schnallen. Denn dieses Jahr ist die Hauptstraße in Grenzach leer geblieben. Keine Druggete, kein Güggeliduft vom Blubacherhof her, keine schnellsprechenden Gemüseschälerverkäufer, kein Justin auf der Suche nach einer CD „mit allen 27 Strophen des Badnerliedes“, kein Hock unter der Kastanie, keine Essensgutscheine vom „Badmeischder“, kein „Jä, solli, bisch au do?“ – einfach nichts. „Uns fehlt etwas“, klagte dieser Tage eine Leserin unserer Zeitung.

Bleibt zu hoffen, dass sie und die zahllosen anderen Besucher nächstes Jahr wieder den Grenzacher Dorfkern bevölkern können. Bleibt zu hoffen, dass sie alle wiederkommen – können.

Christian Mauch jedenfalls glaubt daran. Der Stammbeschicker des Johannimarktes will weitermachen. „Ich hab’ hier alles bis aufs absolute Minimum heruntergefahren“, sagt Mauch am Redaktionstelefon. Sogar seine Fahrzeuge hat er erst einmal abgemeldet, hat Corona-Soforthilfe und Hartz IV beantragen müssen. „Des kenn i gar net, so was. I schaff doch immer. So was hat’s no nie gäbbe in dene ganze 60 Johr, wo mir de Stand scho habet“, sagt Mauch, der als Kind während der Johannimarkttage immer die Grenzacher Bärenfelsschule besuchte.

Behörden zeigen sich sehr unbürokratisch

„De Chrischdian“ hat seine letzten Gürtel, Brettli, Hüte, Schnallen und Stofftaschentücher auf dem Krämermarkt in Tuttlingen verkauft. Das war am 10. März, nur wenige Tage vor dem „Lockdown“. Seither geht gar nichts mehr. „Das sind jetzt über drei Monate“, sagt Mauch mit gewohnt fester Stimme. Unzählige fahrende Händler oder Schausteller stünden vor dem absoluten Nichts. Den „Rattenschwanz dahinter“ nicht zu vergessen. Mauch meint damit die Industrie: in seinem Fall die Hersteller von Gürteln, Taschen, Hüten, „Brettli“ und Tüchern. „Die Strohhüte werden größtenteils in Norditalien hergestellt. Norditalien! Da war doch ganz früh schon alles dicht!“, nennt der Händler ein Beispiel.

Mauch hat sein Lager nun „randvoll bis oben mit Ware, die ich bereits bezahlt habe“, weil ihm seit März alle Oster- und Pfingstmärkte durch die Lappen gegangen sind. „Und Weihnachtsmärkte wird’s heuer bestimmt auch keine geben“, macht der Familienvater aus der Ortenau sich keine Illusionen, schon bald wieder ohne Hartz IV leben zu können: „Ich sehe derzeit, ehrlich gesagt, noch kein vernünftiges Ende.“

Sein Glück: Seine Eltern, die die Firma vor 60 Jahren gründeten, und er selbst haben über die Jahre solide gewirtschaftet. „Ich habe gottlob keine Schulden“, ist Mauch erleichtert. „Und der Staat hat mir wirklich keinerlei Knüppel zwischen die Beine geworfen“, freut er sich über das unbürokratische Vorgehen der Behörden in der aktuellen Coronakrise. Egal, ob beim Antrag auf finanzielle Hilfe oder bei der Bitte, die Gewerbesteuer stunden zu können: „Es hat immer gut geklappt. Ich bin echt froh, dass ich überhaupt Unterstützung bekomme“, sagt der 44-Jährige mit Dank in der Stimme.

Wie der Johannimarkt 2021 in Grenzach aussehen könnte? „Ich hoffe, es kommen viele, ich hoffe, dass alle diese Krise irgendwie packen“, sagt Mauch. „Wir Händler bilden doch eine große Gemeinschaft zusammen mit den Besuchern und Kunden. Für einen alleine kommt doch keiner zum Johannimarkt. Die Leute kommen, weil wir alle da sind. Weil sie wissen, dass wir da sind und was wir bringen.“

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