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Grenzach-Wyhlen Geld für die Unliebsamen

Helmut Bauckner
Die Schifflände in Basel war die Sammelstelle für die Auswanderungswilligen. Denn hier begann der schiffbare Teil des Rheins. Foto: zVg

Während der großen Auswanderungswelle zur Mitte des 19. Jahrhunderts war die Gemeinde Grenzach geradezu froh darüber, den einen oder anderen unliebsamen Zeitgenossen loszuwerden. Einige wurden bei ihrer Auswanderung sogar finanziell unterstützt.

Kaum ein anderes Thema – von den kriegerischen Auseinandersetzungen abgesehen – beschäftigt die europäische Politik derzeit so sehr wie die Frage der Bewältigung der Migration, ein Thema, das in seiner Brisanz die Gesellschaft zu spalten droht.

Ein Blick in die Geschichte kann die Problematik zwar nicht lösen, aber vielleicht dazu beitragen, die Diskussion zu versachlichen, denn bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Weltgeschichte im weitesten Sinn als Migrationsgeschichte. Sie beginnt mit Abraham und Moses zieht sich weiter über die großen Völkerbewegungen des Mittelalters bis in unsere Zeit.

Vielfältig waren und sind die Beweggründe, die Heimat zu verlassen: Armut, Missernten, Verfolgung auf Grund religiöser oder politischer Verfolgung, Vermeidung des Wehrdienstes, verlockende, aber auch falsche Versprechungen, Abenteuerlust und manchmal auch kriminelle Verfehlungen. Allein aus Deutschland haben zwischen 1821 und 1912 fünf Millionen Menschen das Land in Richtung Amerika verlassen, und nach dem Zweiten Weltkrieg musste das zerstörte Deutschland etwa 14 Millionen Flüchtlinge aus dem Osten integrieren – eine Herkulesaufgabe.

Manche dieser oben genannten Begründungen treffen auch auf die Grenzacher Auswanderer zu, die im 18. Jahrhundert ihr Glück vor allem in Siebenbürgen und im 19. Jahrhundert vorrangig in den USA sowie Südamerika gesucht haben. Damals wie heute war und ist es ein tiefer Einschnitt, und manch einer mag die sogenannten Werber verflucht haben, als man eingepfercht in primitive Schiffe unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen wochenlang auf dem Atlantik unterwegs war.

Die Akten, die Jakob Ebner – von 1934 bis 1941 katholischer Pfarrer in Grenzach – im Generallandesarchiv Karlsruhe durchforstet und veröffentlicht hat, geben anschaulichen Aufschluss über Motivation und Schicksal der Grenzacher Auswanderer.

August Neuschütz

Da hören wir von August Neuschütz, der seine Vermögensverhältnisse verbessern und sich in Amerika an einer schweizerischen Käserei beteiligen wollte und problemlos von der Gemeinde die dazu nötige Erlaubnis bekam.

Am 11. März 1857 lesen wir in der Zeitung von einer Gruppe von elf Mitgliedern, die „die heimischen Ufer des Rheins mit denen des La Plata im fernen Südamerika schweren Herzens“ vertauschen wollte. Sie bestiegen, so wird berichtet, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung, wohl bei den Rheinhäusern, einen Nachen bis Basel, wo sich die Auswanderer an der Schifflände sammelten, um von dort auf dem Landweg nach Le Havre oder flussabwärts nach Bremen weiter zu reisen.

J.F. Haberer

Besonders pikant sind für uns Nachgeborene natürlich die Fälle, die nicht so glatt über die Bühne gegangen sind. So ist man bei der Gemeindeverwaltung erleichtert, dass der alle Tage betrunkene, arbeitsscheue Weber J.F. Haberer sich für eine Auswanderung entschlossen hat.

Jakob Geimüller

Auch im Fall des Jakob Geimüller stimmt die Gemeinde gerne zu und unterstützt den Auswanderungswunsch auch finanziell. „Ich zweifle nicht daran“, so schreibt Geimüller selbst in seinem Gesuch, „ dass meine Heimatgemeinde durch den Aufwand, welchen sie für mich in die polizeiliche Verwahranstalt jährlich zu bezahlen hat, lieber zu meiner Fortschaffung nach Amerika verwenden wird, wodurch sie mich für alle Zeit los wird.“

Barbara Häberlin

Ähnliches gilt für die „Gewohnheitsdiebin“ Barbara Häberlin. Auch wenn die Gemeindekasse mit Ausgaben überlastet sei, welche von unehelichen Kindern herrühre, sei es wünschenswert, wenn man von einem Individuum solcher Sorte befreit würde, so die Meinung der Gemeinde. Man wolle dieses finanzielle Opfer nicht scheuen.

Elisabeth Weis

Besonders pikant ist der Fall Elisabeth Weis, die zum vierten Mal im „Zucht- und Arbeitshaus Kißlau“ einsitzt. Sie wurde, so berichtet sie selber, seit Kindesbeinen an, so wie auch ihre Schwester Verena, von ihrer Mutter zu Diebstahl und Raub angehalten.

Obwohl sie, so bezeugt der Hausgeistliche der Anstalt, zu den fleißigsten und geschicktesten Weberinnen der Anstalt gezählt werden dürfe, kann sich der Pfarrer nicht vorstellen, dass ihr „trotziger, sich unter kein göttliches und menschliches Gebot beugender Sinn“ gebrochen werden kann. Die Staatskasse und die Gemeinde teilen sich die Kosten für die Reise und man ist sichtlich erleichtert, als am 28. April 1859 für Elisabeth die Ausreise in Mannheim beginnt. Die Schwester Verena wurde man erst vier Jahre später los.

Friedrich Wetzel

Es kam aber auch vor, dass sich jemand „heimlicherweise“ aus dem Staub gemacht hat wie Friedrich Wetzel. Dass er im öffentlichen Verkündblatt aufgefordert wurde, sich binnen sechs Wochen zu stellen und ihm sonst widrigenfalls die Orts- und Bürgerrechte aberkannt würden, wirkt sehr hilflos. Denn in Amerika wird dieses Blatt wohl nicht verfügbar gewesen zu sein.

Johann Guhl

Der 68 Jahre alte Seidenweber und Witwer Johann Guhl hat in seinem Alter, so ist zu vermuten, nur deshalb an Auswanderung gedacht, weil er seinem 17 Jahre alten Sohn und seiner 16-jährigen Tochter eine bessere Zukunft bieten wollte. Bleibt zu hoffen, dass alle ihr Glück in der „Neuen Welt“ gefunden haben.

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