Grenzach-Wyhlen Ruf nach weniger Bürokratie

Tim Nagengast
Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (rechts) suchte im Rahmen ihres Besuchs bei Roche Pharma in Grenzach unter anderem das Gespräch mit Andreas Becht­hold (von links, Universität Freiburg), Bürgermeister Tobias Benz und der CDU-Bundestagsabgeordneten Diana Stöcker. Foto: Tim Nagengast

Beim Besuch bei Roche Pharma in Grenzach findet Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut lobende Worte für die regionale Zusammenarbeit. Auf dem Wunschzettel, den sie nach Stuttgart mitnimmt, steht vor allem ein Wort: Bürokratieabbau.

Schon der Blick nach Westen durch die raumhohen Panoramafenster des neuen Roche-Zentralgebäudes „Fritz“ in Grenzach zeigt eindrücklich, wie eng verwoben Politik, Industrie und Gewerbe in unserer Region nun einmal sind: Der Blick schweift „von Roche zu Roche“. Er beginnt auf dem Campus des Pharmariesen in Grenzach über DSM und BASF hinweg und überquert die unsichtbare Grenze, bis er an den beiden Wolkenkratzern hängenbleibt, in denen das Basler Herz des Unternehmens schlägt.

Dieser Blick dürfte auch bei Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut hängengeblieben sein, als sie sich – an der Fensterscheibe stehend – mit Vertretern von Roche zunächst die unterschiedlichen Arbeitswelten in einem der modernsten Büro- und Multifunktionsgebäude der Region erläutern ließ. Nach einem Rundgang durch die Etagen hieß es dann Platz nehmen im zwei Etagen hohen Auditorium des „Fritz“ für eine Gesprächsrunde zum Thema „Erfolgsmodell Schwarzwald-Hochrhein – Mit Zusammenarbeit mehr erreichen“.

Keine Zeit für Tiefgang

Wobei diese Runde aufgrund des engen Zeitfensters stellenweise einem Düsenjägerflug über die Gesamtpalette wirtschaftspolitischer Notwendigkeiten einerseits und gesamtpolitischer Gegebenheiten andererseits gleichkam. Zeit für vertiefende Gespräche blieb dabei nämlich nur wenig. Hoffmeister-Kraut machte sich dennoch die eine oder andere Notiz. Das Wort „Bürokratieabbau“ dürfte sie dabei mit Sicherheit zu Papier gebracht haben. Denn den Wunsch nach einer Lockerung der zunehmend als erdrückend befundenen Gesetze, Regelungen und Verordnungen drang im Roche-Auditorium gleich aus mehreren Mündern an das Ohr der Ministerin aus Stuttgart.

Pfundner findet klare Worte

Sehr deutlich wurde zum Beispiel Hagen Pfundner. Der per Video zugeschaltete Geschäftsführer der Roche Deutschland Holding und Vorstand von Roche Pharma weilte nämlich gerade zu politischen Spitzengesprächen in Berlin.

Pfundner ist, wie er vor einem halben Jahr auch im Gespräch mit unserer Zeitung bekundet hatte, ein scharfer Kritiker des zu Jahresbeginn in Kraft getretenen reformierten Gesetzes zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Für Pfundner „ein Frontalangriff auf die Pharmaindustrie“, wie unsere Zeitung ihn Anfang März zitiert hatte. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach habe den Fokus völlig einseitig auf die Frage nach schnellen Kosteneinsparungen gerichtet, um das 17-Milliarden-Euro-Loch der GKV zu stopfen, hatte Pfundner damals geklagt. Immer und immer wieder ist der Vorstand von Roche Pharma seither in der Sache auf unterschiedlichen Ebenen unterwegs. Sein Besuch am Montag in Berlin stehe im Kontext der Zukunftsfähigkeit der deutschen Pharma-Industrie, sagte Pfundner. Denn die Lauterbach’sche Gesetzgebung schaffe unter anderem unnötige Wettbewerbsnachteile, hielt Pfundner mit seiner Kritik nicht hinter dem Berg. „Es muss etwas passieren, sonst fährt der ganze Zug an uns vorbei“, drängte Pfundner zu rascher Entbürokratisierung und zu regulatorischer Entflechtung.

Trotz dieses teils „nicht vergnügungssteuerpflichtigen“ Themas (Pfundner) gelang es ihm aber, den Bogen zum eigentlichen Anlass des Besuchs der Ministerin – zunächst in Basel (wir berichteten) und danach in Grenzach – zu schlagen. So dankte Pfundner der baden-württembergischen Wirtschaftsministerin einerseits für ihr stetes Engagement und andererseits Grenzach-Wyhlens Bürgermeister Tobias Benz für dessen „fast unmöglichen Spagat, in der heutigen Zeit die Interessen der Menschen und der Industrie zu vertreten“. Mit Blick zu Thomas Conrady, Präsident der IHK Hochrhein-Bodensee, sagte Pfundner: „Industrie und Mittelstand hängen auf Gedeih und Verderb voneinander ab.“

Begleiten statt verhindern

Die Politik müsse neue Technologien und damit zusammenhängende Dinge und Ansätze endlich „begleiten, damit sie sich adaptiv entwickeln können“, anstatt Prozesse von vornherein zu erschweren, noch ehe sie begonnen hätten, wurde Pfundner ein weiteres Mal deutlich.

Er sei als Vorstand von Roche Pharma „ein wichtiger Partner“, griff die Ministerin den Ball auf. Es müsse jemand da sein, der die Themen „klar benennt, aber auch reflektiert“ – so wie Hagen Pfundner.

Thematischer Parforceritt

Die weiteren Ausführungen der Ministerin kamen – unter anderem – einem Parforceritt über „Daten als Rohstoff der Zukunft“ und Fachkräfteakquise allgemein und im Besonderen im hiesigen Dreiländereck gleich. Hoffmeister-Kraut sprach sich dabei generell für „pragmatische Lösungen“ aus, „denn man kann den Bogen auch überspannen“. Gerade mit Blick auf die von vielen Seiten als überbordend empfundene Bürokratie „muss etwas passieren“, hielt die CDU-Politikerin fest. Die Botschaft sei bei ihr angekommen. Auch sie sei für den Abbau von unnötigen bürokratischen Regelungen etwa mit Blick auf den Baubereich, nannte Hoffmeister-Kraut ein Beispiel. Den „Dschungel an Vorschriften“ voller Hemmschuhe überschaue doch niemand mehr, räumte die Ministerin ein.

Viel mehr als diplomatische Lippenbekenntnisse aus vielen Mündern war – mal abgesehen von Hagen Pfundners deutlichen Worten – am Montagnachmittag in Grenzach aber kaum zu vernehmen. Denn alle Teilnehmer der Gesprächsrunde im „Fritz“ wissen selbst: Gesetze werden zumeist woanders gemacht – in Brüssel, in Berlin. Und gerade Berlin „und bisweilen auch Stuttgart“ seien nun einmal „weit weg“, spann Bürgermeister Tobias Benz den unsichtbaren roten Faden ums weitere Mal weiter.

Beispiel: Zweckverband

Wie man pragmatisch und – mit Erfolg – vor Ort und in der Region etwas erreichen könne, zeige sich am gemeinsamen Zweckverband für den Glasfaserausbau, stellte Benz heraus. „Dadurch sind wir hier schon deutlich weiter als andere Regionen.“ Dieser Zweckverband diene nun als „Blaupause“ für den geplanten Wärmeverbund, ergänzte Benz.

Wie Dialoge entstehen und gelingen könnten, griff IHK-Präsident Conrady auf. Gerne sprach er von einem „guten Miteinander“ und nannte den Verein Chemie und Pharma am Hochrhein als herausragendes Beispiel, wie man neue, erfolgreiche Formen des gemeinsamen Dialoges finden und nachhaltig etablieren könne.

Was bleibt vom Besuch der Wirtschaftsministerin in Grenzach-Wyhlen? Vor allem der laute Ruf nach Bürokratieabbau, ein mit Stichworten gefüllter ministerieller Notizblock und viele Fotos.

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