In Europa Animation auf Augenhöhe mit den großen US-Trickstudios zu produzieren ist eine Kunst – und das erklärte Ziel des belgischen Regisseurs Ben Stassen, dessen „Magisches Haus“ aktuell in den Kinos läuft.
 
Stuttgart - Herr Stassen, mögen Sie kleine Katzen?
Wer nicht? Wir haben mal einen 15-Minüter namens „Haunted House“ für einen Vergnügungspark gemacht, in dem eine ausgesetzte Katze in ein Geisterhaus gerät. Das war weltweit ein großer Erfolg, also haben wir es zum Spielfilm ausgebaut. Natürlich musste jemand im Haus wohnen – und einer meiner Neffen ist Zauberer. Er heißt Laurent, ist 25 und lebt davon.
Sie haben viele putzige Nebencharaktere – wie werden die entwickelt?
Da habe ich die Animatoren sich austoben lassen. Dann waren es so viele, dass wir es uns nicht leisten konnten, sie alle lippensynchron sprechen zu lassen, also haben wir uns für stumme Charaktere entschieden. Das war ein Kompromiss aus Kostengründen, der dem Film letztlich sehr geholfen hat: Ich glaube, die Figuren sind ohne Sprache viel ausdrucksstärker. Ich hatte sowieso Bedenken, dass sprechende Spielzeuge zu nah an „Toy Story“ herangerückt wären.
Das weiße Karnickel ist alt und übellaunig . . .
Wir brauchten einen Antagonisten, der es dem kleinen Kater schwermacht. Ein knuddliges Häschen hätte da nicht funktioniert, wir wollten einen, der verkörpert: Das ist hier mein Terrain, verschwinde!
Haben Sie sich beim Look bewusst am US-Standard orientiert?
Es bleibt nichts anderes übrig. Animationsfilm ist das einzige Genre, bei dem Publikum und Kritiker immer die Amerikaner im Kopf haben, Pixar, Disney, Dreamworks. Die Leute sehen den Unterschied, und es ist ihnen egal, was es kostet. Wenn man sie verführen möchte, muss man Qualität bieten.
Dabei hatten Sie nur rund 17 Millionen Euro, Disneys „Eiskönigin“ hat rund 110 gekostet . . .
Ja, das ist Wahnsinn – mit 110 Millionen würde ich fünf Filme machen! 17 sind ein bisschen wenig, man hat keine Reserven, kann nichts ausprobieren, darf keine Fehler machen. Ein bisschen mehr Zeit wäre schön, wir arbeiten viele Wochenenden durch.
Wie schaffen Sie es überhaupt, diese hohe Qualität so günstig zu produzieren?
Entscheidungsprozesse. Ich habe für US-Studios gearbeitet. Niemand trifft dort Entscheidungen. Sie drehen eine Szene, ein Boss schaut sie sich an, dann noch einer, und dann Dreamworks-Chef Jeffrey Katzenberg, und der mag sie nicht – noch mal machen! Von „Happy Feet“ heißt es, sie hätten 60 Minuten mehr gedreht, als nachher verwendet wurden – mehr als 50 Prozent extra für den Papierkorb! Wir entscheiden exakt, was wir drehen, bevor wir anfangen: Kamerapositionen, Tempo, Dauer von Einstellungen. Bei uns ist der Druck frustrierend, bei den Studios, dass man Szenen fünfmal machen muss und nicht weiß, warum.
Das heißt, Ihr Drehbuch muss komplett zu Ende geschrieben sein, wenn Sie anfangen . . .
In einer idealen Welt wäre es das – gute Skripte sind das Hauptproblem. Wir haben einen Produktionszyklus von zwei Jahren, und nach einem Jahr ist die Hälfte des Teams mit seiner Arbeit fertig und muss das nächste Projekt starten. Momentan entwickeln wir „Robinson Crusoe“, im September müssen wir mit dem nächsten anfangen, sonst verlieren wir die Leute, weil wir sie nicht bezahlen können, wenn sie nichts zu tun haben. Das ist uns zwischen „Sammy 1“ und „Sammy 2“ passiert.
Wie war das also beim „Magischen Haus“?
Wir waren im Verzug, in der Mitte von „Sammy 2“ bekam ich Panik, denn ich hatte kein Skript. In L. A. im Autoradio habe ich dann gehört, dass Millionen Menschen, die ihre Häuser verloren haben, rund eine Million Haustiere ausgesetzt haben. Da fielen mir „Haunted House“ und die Katze wieder ein. Allerdings hatten wir noch keinen dritten Akt, als wir angefangen haben zu drehen, was eigentlich ein Unding ist. Ich mochte die Idee mit der Abrissbirne, die Frage war, ob wir das gestemmt bekommen. Wenn die Kugel etwas trifft und alles auseinanderfliegt, das ist sehr schwer zu realisieren, eher Special Effects als Animation. Das kann schnell billig aussehen und man macht sich alles kaputt. Eine billige Szene am Anfang vergessen die Zuschauer wieder, aber wenn eine am Ende steht, kommen sie mit einem schlechten Eindruck aus dem Kino.
Sie gelten als Stereoskopie-Experte – was ist Ihre Philosophie?
Ich mache das seit 25 Jahren, lange bevor es in Hollywood ein Thema wurde, ich habe viele Imax-Filme gedreht. In den heute üblichen 3-D-Filmen ist die Leinwand die Konversionsebene, auf der sich die Figuren bewegen. Man kann die Brille abnehmen, und die Gesichter sind nie doppelt zu sehen. Was vor ihnen ist, ragt aus der Leinwand, was hinter ihnen ist, wirkt perspektivisch. Das lässt sich gut schneiden wie ein 2-D-Film, aber die Gesichter wirken für die Zuschauer so weit entfernt, wie sie tatsächlich von der Leinwand entfernt sitzen. Ich orientiere mich an der Entfernung zwischen Objekt und Kamera. Deshalb wirken bei mir Objekte für alle Zuschauer gleich nah oder weit weg, egal, wo sie sitzen. Dafür muss ich beim Schneiden genau auf die Kameraposition achten, sonst fühlen sich die Zuschauer ständig an eine andere Stelle des Raums verfrachtet. Außerdem kann man bei mir auf jede Stelle der Leinwand schauen und alles stimmt. Bei der gängigen Methode ist das nicht so und oft sogar unangenehm. Ich habe darüber schon mit „Avatar“-Macher James Cameron gestritten, der sagt: Als Regisseur möchte ich den Zuschauern sagen, wo sie hinschauen sollen! Mir ist wichtiger, dass alles stimmt.
Wie wirkt 3-D im Kino am besten?
Man muss wie in einem Stadion von oben nach unten schauen. Wenn man nach oben schauen muss, verliert man 50 Prozent des 3-D-Effekts. Und am besten sitzt man in der dritten oder vierten Reihe, wo das Bild das gesamte Sichtfeld einnimmt – dann ist die Wirkung am größten.