Kleines Wiesental „Noch hat sich kein Rudel gebildet“

Zoë Schäuble

Natur: Der vermeintliche Riss eines Kalbs facht Debatte um Wolf neu an / Eindeutige Nachweise des Tiers

Das Raubtier rückt näher: Im Januar hatte ein Wolf ein Reh in Wieden gerissen, diverse Videoaufnahmen aus Fröhnd und der Gemeinde Kleines Wiesental belegen seine Anwesenheit. Mitte August wurde scheinbar eine weitere Grenze überschritten: In Bernau rissen höchstwahrscheinlich ein oder mehrere Wölfe drei Rinder, in der Gemeinde Kleines Wiesental fiel den Tieren ein Kalb zum Opfer. Obwohl der finale Nachweis bislang noch fehlt, steht für Joachim Trautwein, Wildtierbeauftragter beim Landkreis Lörrach, fest: „Der Wolf ist da und wird vermutlich bleiben.“

Von Zoë Schäuble

Kleines Wiesental. Noch ist nicht bewiesen, dass tatsächlich der Wolf die Rinder und das Kalb gerissen hat (wir berichteten). „Derzeit werden genetische Proben beim Senckenberg-Institut für Wildtiergenetik untersucht“, weiß Trautwein. Obwohl also in diesen drei Fällen der eindeutige Beweis noch aussteht, ändert das nichts an der Tatsache, dass die Wölfe längst in den Südschwarzwald zurückgekehrt sind. „Aktuell leben drei Wolfsrüden dauerhaft innerhalb des Fördergebiets Wolfsprävention im Schwarzwald.“ Mithilfe der sogenannten SCALP-Kriterien ( „Status and Conservation of the Alpine Lynx Population”), einer Methodik, die für Wolf und Bär weiterentwickelt wurde und europaweit für das Monitoring der großen Beutegreifer verwendet wird, werden Meldungen der Raubtiere nach deren Überprüfbarkeit eingeteilt. „Der Buchstabe C steht für Kategorie, die Ziffern eins bis drei definieren die Überprüfbarkeit der Hinweise“, erklärt Trautwein. Dem Wildtierbeauftragten liegen sowohl eindeutige Nachweise der Kategorie C1 als auch bestätigte Hinweise der Kategorie C2 vor. Im Gebiet um Neuenweg, Wieden, Todtnau und Schönau bis hin zum Feldberg und Belchen leben nachweislich männliche Individuen. Trautwein: „Noch lebt allerdings keine Wölfin innerhalb dieses Gebiets.“ Entsprechend könne auch kein Rudel entstehen – „sobald sich das aber ändert, wird die Population natürlich wachsen“, verdeutlicht Trautwein.

Warum es bislang noch keine Wölfin in den Südschwarzwald verschlagen hat, ist dem Wildtierbeauftragten unklar. Bei den drei Rüden handlet es sich jedenfalls um Ableger von Rudeln aus Polen und Niedersachsen, das stehe fest.

Kein aggressives Verhalten

Und was bedeutet nun dieser mögliche Riss eines Nutztiers für die örtlichen Landwirte und deren Weidetiere? „Der Wolf spezialisiert sich nicht auf Nutztiere“ – da ist sich Trautmann sicher. Wölfe unterscheiden auf der Suche nach Nahrung nicht zwischen wilden „erlaubten“ Beutetieren, wie etwa Reh-, Rot- und Schwarzwild, zu dem sie sich zu über 90 Prozent ernähren, und „nicht erlaubten“ Nutztieren. „Sie töten Tiere, die sie leicht überwältigen können“, erklärt Trautwein.

„Natürlich sind Nutztiere vermeintlich leichter zu erlegen.“ Sie seien zumeist eingezäunt, langsamer und damit für das Raubtier leichtere Beute. „Allerdings vergessen die Landwirte oft einen für den Wolf entscheidenden Faktor: Will er ein Nutztier erbeuten, muss er seine Deckung verlassen und setzt sich damit einer großen Gefahr aus“, präzisiert der Wildtierbeauftragte, der von einer Stigmatisierung des Raubtiers warnt. „Wölfe sind Fleischfresser und das Töten von Wild- und Nutztieren ist keine Form der Aggression, sondern Nahrungserwerb.“

Sicherheitsmaßnahmen

Derzeit halte es sich im angesprochenen Gebiet etwa die Waage. „Es werden ähnlich viele Nutz- wie auch Wildtiere erbeutet.“ Allerdings falle die Tötung eines Nutztiers natürlich mehr ins Gewicht. Dass angesichts dieser Tatsachen das Verhältnis der Landwirte zum Wolf ein potenziell konfliktträchtiges sei, liegt für Trautwein auf der Hand. Im Südschwarzwald wurde, um diesem Konflikt den Wind aus den Segeln zu nehmen, im Jahr 2020 die Förderkulisse Wolfsprävention ausgewiesen. Gefördert wurden besonders sogenannte „wolfssichere Zäune“. Innerhalb des Fördergebiets übernimmt das Land die Kosten, die den Haltern von Jungrindern, Pferden, Schafen, Ziegen sowie Gehegewild bei der Anschaffung von Materialien für Herdenschutzmaßnahmen entstehen.

Derzeit leben etwa 1300 bis 1700 Wölfe in Deutschland. Bei den im Jahr 2019 in Deutschland von Wölfen getöteten oder verletzten Nutztieren handelte es sich zu 88 Prozent um Schafe oder Ziegen, zu sieben Prozent um Gatterwild und zu vier Prozent um Rinder, wobei zumeist Kälber gerissen wurden.

...von Nutztieren vor dem Wolf bieten Zäune, Gatter, entsprechend abgeschlossene Ställe sowie regelmäßige Kontrollgänge durch den Menschen. Das Ausmaß der Schäden an Nutztieren ist weder von der Größe des Wolfsbestands noch von der Anzahl der Nutztiere in einem Gebiet abhängig, wissen Experten. Auch eine Zunahme der Schäden pro Wolfsrudel könne nicht festgestellt werden. Dort wo sich ein Wolfsrudel neu niederlässt und die Nutztierhalter noch nicht auf die Anwesenheit der Wölfe eingestellt sind, treten Schäden vermehrt auf.

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