Kreis Lörrach Ärztemangel spitzt sich weiter zu

Michael Werndorff
Versicherte müssen immer länger auf einen Termin beim Haus- oder Facharzt warten. Foto: Archiv

Gesundheitsversorgung: 16 KV-Sitze für Hausärzte unbesetzt. Terminservice der KVBW wird überrannt.

Kreis Lörrach - „Sind Sie schon Patient von uns? Ich kann Ihnen frühestens einen Termin in vier Monaten anbieten!“ Manchmal dauert es noch länger, bis Versicherte bei einem Haus- oder Facharzt an die Reihe kommen. Abhilfe soll die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) leisten. Doch auch hier landet der Betroffene erst einmal in einer langen Warteschlange.

Mit dem Anfang 2016 etablierten Angebot der KVBW sollen Versicherte schneller zu einem Arzttermin kommen. Vorausgesetzt, Betroffene haben einen Überweisungsschein vom Hausarzt, wobei dies nicht nötig ist, wenn es um einen Behandlungstermin bei einem Augenarzt, Frauenarzt oder Psychotherapeuten geht, wie KVBW-Sprecher Kai Sonntag im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert.

Durchkommen kaum möglich

Derzeit ist ein Durchkommen unter der Servicenummer kaum möglich: „Im Augenblick werden wir von Anrufen überrannt, da der Gesetzgeber die Aufgaben der Terminservicestelle noch einmal deutlich ausgeweitet und uns keine Zeit gegeben hat, die entsprechenden Umsetzungsmaßnahmen vorzunehmen.“ Allein im Monat Mai fanden landesweit 2000 Vermittlungen statt. Derzeit beträgt die Wartezeit bis zum Termin beim Facharzt oder Psychotherapeuten maximal vier Wochen, Akutsprechstunden beim Psychotherapeuten muss die KVBW mittlerweile innerhalb von zwei Wochen vermitteln.

Dabei müssen Patienten nehmen, was kommt und für den Arztbesuch weite Wege auf sich nehmen. „Der Radius hängt von der Fachgruppe ab“, erklärt Sonntag. Bei Psychotherapeuten und den „normalen“ Facharztgruppen – HNO, Haut, Augen, Frauen, Orthopädie – liege der Radius bei 30 Fahrminuten vom nächstgelegenen Arzt, bei den „spezialisierten“ Fachgruppen, vor allem Kardiologen und Rheumatologen, belaufe sich der Radius auf 60 Kilometer.

KVBW will Kapazitäten aufbauen

Damit Anrufer nicht permanent in der telefonischen Warteschleife landen, will die KVBW Kapazitäten aufbauen, sagt Sonntag. Wann mit einer Normalisierung zu rechnen sei, kann er jedoch nicht sagen. Wegen des Engpasses suchen Kassenpatienten bisweilen den Weg nach Basel, um auf eigene Kosten bei einem Facharzt zeitnah einen Termin zu erhalten, wie uns Leser berichten. Als Alternative bietet die KVBW ein telemedizinisches Angebot. Hier kann der Patient im Telefonat, per App oder Chat mit einem niedergelassenen Hausarzt medizinische Anliegen abklären, die laut Homepage aber auf grippale Infekte, Allergien, Magen-Darm-Erkrankungen oder Rückenschmerzen und Schlafstörungen begrenzt sind. Auch könne laut Sonntag abgeklärt werden, ob der Gang zum Facharzt überhaupt vonnöten ist.

Versorgungsgrad hat sich verschlechtert

Egal ob städtischer oder ländlicher Raum – fehlende Kapazitäten von Fach- und Hausärzten machen sich deutlich bemerkbar – auch im Kreis Lörrach. Die im Jahr 2017 vom Kreistag in Auftrag gegebene Studie zur hausärztlichen Versorgung hat Defizite aufgedeckt, die sich verschärft haben. Während sich der als „ländlicher Raum“ definierte Bereich im Oberen Wiesental mit einem Gesundheitszentrum in der Studie als sehr gut versorgt zeigt, gilt der kleinstädtische Bereich Schopfheim/Mittleres Wiesental als unterversorgt.

Gesetzgeber will Kosten dämpfen

Seither sind im Kreis wie erwartet weitere Mediziner in den Ruhestand gegangen und konnten zum Teil ihre Praxis nicht wieder besetzen, wie Ellen Hipp von der Geschäftsstelle der kommunalen Gesundheitskonferenz im Landkreis Lörrach betont. „Dadurch hat sich der Versorgungsgrad im Kreis verschlechtert.“

Während die KVBW im Jahr 2017 insgesamt sieben mögliche Niederlassungen für Allgemeinmediziner in Lörrach/Weil am Rhein, Schopfheim und Rheinfelden vorsah, sind es mittlerweile schon 16 unbesetzte KV-Niederlassungen. Laut Hipp bestehe für alle drei Mittelbereiche seitens der KVBW rein rechnerisch aber keine Unterversorgung.

Gefragt nach der Situation im Facharztbereich, gibt Sonntag Entwarnung: „Es gibt eine offizielle Statistik, die nach den gesetzlichen Vorgaben erstellt ist. Das Problem dabei ist, dass der Hintergrund dieser Berechnung im Ziel der Kostendämpfung besteht. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber vorgegeben hat, die Zahl der niedergelassenen Ärzte zu begrenzen.“ Danach sehe es im Landkreis Lörrach indes recht gut aus. „Wir haben derzeit nur einen halben Sitz für einen HNO-Arzt und 2,5 für Hautärzte frei. Für alle anderen ,normalen’ Fachgruppen nicht.“ Das Empfinden der Bevölkerung könne hier aber ganz anders sein, räumt Sonntag ein.

Maßnahmenpaket stößt auf positives Echo

Laut Hipp zeichne sich nach Datenlage der KV mit Stand vom 20. Februar bei den Hautärzten sowie Kinder- und Jugendpsychiatern eine drohende Unterversorgung ab. Bei Letzteren sind ebenfalls 2,5 Stellen für die gesamte Region Hochrhein-Bodensee unbesetzt, wie aus der Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung hervorgeht.

Ausgehend von der Studie unternimmt der heimische Kreis große Anstrengungen, um die medizinische Versorgung zu fördern. So wurde in der Vergangenheit die Nachwuchsoffensive Hausärzte gestartet mit der Einrichtung einer Kontaktstelle als Ansprechpartner für Medizinstudenten, angehende Hausärzte sowie niedergelassenen Allgemeinmediziner. Laut Hipp sei die Inanspruchnahme zufriedenstellend. Zukünftig soll die Stelle noch stärker beworben werden.

Auch wurde die Zusammenarbeit mit den Kliniken im Landkreis, der Verbundweiterbildung Freiburg, der dortigen Uniklinik und ärztlichen Netzwerken intensiviert. Weiter wurde die Hausarztausbildung durch die Einrichtung einer „Rotationsstelle Allgemeinmedizin“ gefördert. „Diese stößt auf großes Interesse“, freut sich Hipp. Weitere Maßnahmen umfassen ein Mobilitätsticket für Studenten, Öffentlichkeitsarbeit sowie Maßnahmen für eine bessere Standortattraktivität. Sensibilisiert durch die Studie würden Bürgermeister gemeinsam mit niedergelassenen Allgemeinmedizinern frühzeitig daran arbeiten, geeignete Lösungen zur Unterstützung der wohnortnahen medizinischen Versorgung zu finden und so dem Problem der erfolglosen Nachfolgesuche entgegentreten. Und weiter: „Insgesamt ist die Stabsstelle der Gesundheitskonferenz mit den bisher erzielten Erfolgen zufrieden, auch wenn viele der aktuellen Maßnahmen erst in mehreren Jahren Erfolg versprechen, und somit der konkrete Effekt für die Kreisbewohner schwer messbar ist“, sagt Hipp.

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