Viele, die ich kenne, hatten eine große kreative Lähmung. Zunächst dachte ich auch: Was soll das alles überhaupt noch? Aber irgendwann hat sich bei mir das Bedürfnis durchgesetzt, etwas Kreatives zu tun. Gar nichts zu machen, war keine Option. Mir tat das Schreiben gut, ich verstehe aber alle, die das nicht konnten: Viele waren voller Angst, gerade auch, wenn sie Kinder haben und Familien ernähren müssen. Und daher gab es einige, die sich entschlossen haben, lieber Regale bei Lidl einzuräumen, um sich finanziell zu stabilisieren.
Frage: Wie kam es, dass Sie sich in Ihrem Buch sehr persönlich dem Thema Pubertät angenähert haben?
Das sind viele Zufälle. Ich habe eigentlich gar kein gutes Gedächtnis und habe noch nie so etwas Romanhaftes wie „Säwentitu“ geschrieben. Was war denn so in meiner Kindheit?, überlegte ich. Da fiel mir dann mein ewig rauchender Vater ein – damals qualmten ja irgendwie alle. Der rauchte 80 Kent am Tag, sogar unter der Dusche. Dann schrieb ich darüber, und fokussierte mich zusehends auf ein bestimmtes Jahr: 1972 (Säwentitu). Wir zogen damals von Freiburg nach Dortmund, das war damals ein furchtbar rußverschmierter stinkender Industriemoloch – parallel zu Beginn meiner Pubertät ein großer Einschnitt. Dann habe ich ein paar politisch interessante Themen mit eingebaut, die damals aktuell waren: die RAF, das Olympia-Attentat, der Nordirland-Konflikt. So entstand ein Mix aus Privatem und Politischem. Geschockt hat mich beim Nachdenken, dass viele dieser Konflikte von damals heute noch bestehen – 50 Jahre später!
Frage: Ist „Säwentitu“ ein Roman?
Es ist eine kreative Konstruktion mit Romanelementen, ausgelöst durch Erinnerungen und Gefühle. Ich bin es ja von der Bühne her gewöhnt, Geschichten zu erzählen, zu unterhalten. Darum spitze ich im Buch natürlich zu, übertreibe, beschreibe auch dieses ganz andere, sehr witzige Naturell der Menschen im Ruhrgebiet.
Frage: Nochmal zum Thema Pubertät. Glauben Sie, dass die Grundprobleme der Jugendlichen heute wie damals die gleichen waren?
Oh nein. Das liegt wohl daran, dass die Situation heute so komplett anders ist: die sozialen Netzwerke vor allem und dann dieser Schönheitswahn! Wir waren damals diesbezüglich ja komplett entspannt. Es war weitgehend egal, was und welche Marke man anhatte. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen, sich seine Nase oder Brüste operieren lassen zu wollen. Auch das Verhältnis der Kids zu den Eltern war komplett anders. Die heutige Unfähigkeit bei vielen, sich voneinander zu lösen, erstaunt mich.
Frage: War es früher besser?
Ich finde ja. Meine Mutter war sehr frauenbewegt. Ich ging auf eine reine Mädchenschule. Und irgendwie bin ich mit einer selbstverständlichen Frauenpower groß geworden. Ich erschrecke, was sich manche Mädchen heute antun, um geliked zu werden, wie unpolitisch viele sind, bei wie vielen es nur um Konsum und Bestätigung geht – natürlich nicht bei allen! Wir hatten mehr Ziele, für die wir kämpfen wollten und die unser Leben irgendwie sinnvoller und damit auch schöner machten. Heute haben Teenager ganz andere Erwartungen. Ich bin da ganz aus dem Häuschen, wenn junge Mädchen die Weltreise nach dem Abi selbstverständlich finden und beleidigte Mails über den Zustand des nicht optimalen Swimmingpool schreiben. Ich habe nachts geputzt, um mir das Interrail-Ticket zu finanzieren. Aber: Trotzdem haben wir wahrscheinlich mehr erlebt! Wir waren nicht so gepampert.
Frage: Ein spannendes Thema, das sich doch für ein Stück eignen würde.
Was neue Stücke angeht, stehe ich derzeit mit beiden Beinen auf der Bremse. Die Stück-Entwicklung ist sehr kostspielig. Erst mal müsste ich wissen, dass sich so eine Investition auch künftig amortisieren könnte und nicht einfach weitere Löcher ins Budget reisst. Die Leute sind noch in einer Art Kultur-Starre. Viele haben noch Angst, ins Theater zu gehen, keine Lust, Maske zu tragen. Vielleicht haben sich manche während Corona auch schlicht angewöhnt, abends zu hause zu bleiben und Netflix zu gucken.
Bestellen kann man das Buch „Säwentitu“ über die Mailadresse post@beavonmalchus.de oder auf der Website einen kleinen Text anhören: www.beavonmalchus.de
Lesungen mit Säwentitu: Kumedi, Riegel: So, 31. Oktober, um 18 Uhr; Nellie Nashorn, Lörrach: So, 28. November, um 18 Uhr; Rainhofscheune, Kirchzarten: Do, 9. Dezember, um 19 Uhr