Kreis Lörrach China bevorzugt das Gesamte

Die Oberbadische
Chinas Wirtschaft floriert nach der ersten Pandemie-Welle in Wuhan wieder. Foto: Die Oberbadische

Interview: China-Experte Douwe van den Oever hält Entkoppelung von Westen und Osten für undenkbar

Douwe van den Oever ist China-Experte mit ausgewiesener Expertise. Seit 2008 forscht und arbeitet er ausschließlich über Denkweise, Kultur und Wirtschaft in China. Am Donnerstag, 18. Februar, um 18 Uhr hält er im Rahmen der Veranstaltungsreihe Studium Generale der DHBW Lörrach den Online-Vortrag „China kommt. Gewaltig. Aber anders als erwartet.“. Denis Bozbag hat sich im Vorfeld mit dem China-Experten unterhalten.

Frage: Herr van den Oever, viele sehen China als autoritäre Handelsmacht, die den eigenen Marktzugang für ausländische Investoren erschwert und Minderheiten sowie politische Dissidenten brutal unterdrückt. Trifft das im Ganzen so zu? Oder ist China anders, als wir es denken?

Vor ein wenig mehr als 40 Jahren lebten fast 90 Prozent (95 davon auf dem Land) der Chinesen unter der extremen Armutsgrenze (1,9 US-Dollar pro Tag laut Weltbank PPP Standard von 2011), und China war eines der ärmsten Länder der Welt.

Es ist absolut kritisch, diesen Punkt zu verstehen. Bis in die 1960er-Jahre hat es erhebliche Hungersnöte gegeben. Etwas, was wir uns absolut nicht vorstellen können. Die höchste Priorität der chinesischen Regierung war seit den Reformen von 1978 die Eliminierung von extremer Armut.

Dazu ist ein Markt mit Staatskapitalismus aufgebaut worden. Im Westen kennen wir den Begriff nicht, weil wir eine nahezu freie Marktwirtschaft haben. Der Westen hat große Teile seiner Produktionskapazitäten nach China verlagert, weil die dortigen Produktionskosten viel niedriger als im Westen waren.

Frage: Das hatte für Europa aber nicht nur einen positiven Nutzen?

Stimmt, die Problematik ist, dass der Westen nach dem Fall der Sowjetunion davon überzeugt war, dass ein reicheres China sich automatisch in die westliche (amerikanische) Weltordnung fügen würde (Fukayama, 1993). Dies war ein klassisches Beispiel von Ethnozentrismus, ohne wahrgenommen zu haben, dass China seit mehr als 2000 Jahren eine total andere Kultur als der Westen hat mit völlig anderen Regierungsphilosophien und -formen. China, wie viele ostasiatische Länder, hat eine kollektivistische Kultur, in der das Gesamte dem Individuellen bevorzugt wird. In der westlichen Kultur wird das Individuum vorrangig geschätzt (christliche Universalwerte).

Frage: China scheint aus der Pandemie bislang wirtschaftlich besser herauszukommen als Europa. Wie gefährlich ist sein Wachstum für uns jetzt, wo Europa noch mit der zweiten und dritten Corona-Welle zu kämpfen hat?

China, wie fast alle anderen ostasiatischen kollektiven und konfuzianistischen Länder auf der Welt, hat diese Pandemie relativ gut bis sehr gut gemanagt, mit der direkten Konsequenz, dass sich die Wirtschaft dementsprechend schnell erholt hat. Die Frage ist, wie man Gefahr definiert.

Frage: Die chinesische Regierung missachtet oft faire Spielregeln, wenn es ihren eigenen Interessen widerspricht. Wie können Deutschland und Europa hierbei gegensteuern?

Auch hier gäbe es verschiedene Perspektiven: Wie schon erwähnt, ist die absolute Priorität der chinesischen Regierung die Ernährung und der Wohlstand der eigenen Bevölkerung sowie dafür zu sorgen, dass das Land und seine Umgebung stabil und friedlich bleiben, was auch die primäre Verantwortung gegenüber dem Volk ist.

Dies gilt für jede Regierung, sowohl im Westen als auch im Osten. Wie schon erwähnt, ist China kulturell, gesellschaftlich und volkswirtschäftlich völlig anders als der Westen organisiert.

Im Westen wird dieser Punkt völlig unterschätzt. Bevor Deutschland und Europa versuchen sollten, gegenzusteuern, sollten die beiden Mächte realisieren, dass wir derzeit in einer multipolaren Welt leben, in welcher der chinesische Pol völlig anders tickt als der des Westens.

Die Sowjetunion war eine westliche Macht mit einer westlichen Kultur. China ist das aber in keinem Sinne.

Frage: Die beiden Großmächte USA und China konkurrieren auf vielen Feldern. Die Beziehungen hatten sich unter Trump verschlechtert. Wie kann Europa bei einem möglichen neuen „Kalten Krieg“ sein politisches Gewicht ausspielen?

Ich weiß nicht, ob wir wirklich von einem neuen kalten Krieg reden können. Wir leben jetzt in einer extrem globalisierten Welt. Schauen Sie sich zuhause um und listen Sie auf, was nicht aus China kommt. In der damaligen, kaum globalisierten Welt war die Sowjetunion nahezu autark gewesen, und eine „Den-Kalten-Krieg-Eindämmung“ war damals möglich. Eine Entkopplung zwischen dem Westen und China ist nun undenkbar. Das ist einer der Gründe, warum China jetzt post-Covid floriert.

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