Kreis Lörrach „Das ist Verrat am Evangelium“

Peter Ade
Im Blickpunkt der Auseinandersetzung um Missbräuche in der katholischen Kirche: Die Frauenkirche in München als Zentrum des Erzbistums München und Freising Foto: Peter Ade

Kirche: Reaktionen auf Missbrauchsskandal / Möller: Austritte gefährden das soziale Wirken

Die katholische Kirche wird von skandalösem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch Amtsträger erschüttert. Die Aufarbeitung der Vorkommnisse ist umstritten, was viele Betroffene zutiefst empört. Und: Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Der Freiburger Generalvikar Christoph Neubrand bezeichnet die Straftaten als „Verrat am Evangelium“.

Von Peter Ade

Kreis Lörrach. Das jüngste Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising stimmte viele aktive Katholiken fassungslos: Auf knapp 1900 Seiten ist von 235 mutmaßlichen Tätern und mindestens 497 Betroffenen die Rede – in nur einem Erzbistum. „Jeder einzelne Fall von sexuellem Missbrauch ist eine ungeheuerliche Straftat und führt oftmals zu lebenslangen Folgen für die Betroffenen“, sagt Dekan Gerd Möller vom Dekanat Wiesental.

Deshalb müsse die Justiz umgehend aufklären, heißt es aus den Reihen der regionalen Pfarrgemeinderäte. Und: Die verpflichtende Ehelosigkeit und die eingeforderte sexuelle Enthaltsamkeit ihrer Priester im Rahmen des Zölibats, die Ablehnung der Frauenpriesterschaft und das Verhalten zu Sexualität und Macht stünden in der römisch-katholischen Kirche zur Diskussion.

Dass Geistliche, die wegen sexuellem Missbrauch rechtskräftig verurteilt worden seien, von der Kirche und unter Beteiligung des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. wissentlich weiter in der Seelsorge eingesetzt wurden, sei „zutiefst verwerflich“.

„Ich bin erschüttert“

Erschüttert über die jüngsten Entwicklungen zeigt sich der Generalvikar der Erzdiözese Freiburg, Christoph Neubrand: „Es sind stürmische Zeiten für alle Menschen, denen die Kirche und die Frohe Botschaft am Herzen liegen.“ Missbrauch sei „unerträglich und darüber hinaus Verrat am Evangelium“.

Die Institution Kirche hat laut Neubrand schwere Schuld auf sich geladen. Wörtlich: „Wir sind deshalb in der Pflicht, radikal aufzuklären, Verantwortung klar zu benennen und Konsequenzen zu ziehen. Das sind wir den Betroffenen ebenso schuldig wie der Frohen Botschaft, die durch die Missbrauchstaten und den beschämenden Umgang mit diesen verdunkelt wurde.“ 

„Wo immer wir können“, unterstütze das Erzbistum Freiburg die Aufarbeitung durch eine unabhängige Kommission. Dafür stehe er auch als Generalvikar persönlich. Neben der detaillierten Aufarbeitung, die durch die AG Aktenanalyse bereits seit 2018 laufe, habe das Bistum auch das Präventionsprogramm gegen Missbrauch deutlich gestärkt. Und: „Wir setzen es entschieden durch.“ Viele Menschen bewegt und berührt derzeit ein weiteres Thema: Mehr als hundert queere (homosexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre) Menschen aus dem Herzen der Kirche haben mit der Initiative „out in church“ öffentlich über ihre oft schmerzhaften Erfahrungen berichtet.

Dazu Neubrand wörtlich: „Die Mitarbeitenden, die an der Initiative teilgenommen haben, müssen in der Erzdiözese Freiburg keinerlei Konsequenzen fürchten. Homosexuelle Menschen sind in der Kirche willkommen. Eine Kirche, wie ich sie mir wünsche, begrüßt mit Freude alle, die sich zur Botschaft Jesu bekennen.“

Möller: „Höchste Zeit“

„Es muss schonungslose Aufklärung geben“, fordert Pfarrer Gerd Möller, Dekan des Dekanats Wiesental, im Gespräch mit unserer Zeitung. Es sei höchste Zeit, genau hinzuschauen und zu analysieren – „auch, wenn es dabei ans Eingemachte des verfassten Systems der Kirche geht“. Es gehe einzig und allein um die Menschen, an denen sich die Kirchenmänner schuldig gemacht haben.

Wichtig ist für Möller, dass im Rahmen der Aufarbeitung die Nöte der Opfer und Betroffenen und nicht die Befindlichkeiten der Täter in den Fokus gerückt werden. „Die Aufarbeitung wird in jedem Fall eine schwere Kost für uns, es führt aber kein Weg dran vorbei, und das Thema wird uns lange, lange Zeit nicht loslassen.“

Mit Sorgen beobachtet Möller die steigende Zahl der Kirchenaustritte – „eine Beobachtung, die wir allerdings schon seit den 1950er Jahren machen“. Jeder einzelne Austritt stelle das soziale und caritative Wirken auf die Probe. Der Mitgliederrückgang habe indes verschiedene Ursachen und sei nicht ausschließlich eine Reaktion auf die aktuelle Diskussion.

Als Gründe nennt der Dekan zum einen die demografische Entwicklung, zum anderen die Tatsache, dass viele zwar getauft, mit der Kirche aber zeitlebens nie sozialisiert gewesen seien. Diese Gruppe nehme vielfach den Missbrauchsskandal zum Anlass, sich abzumelden und damit von der Kirchensteuer zu „befreien“. Anm. d. Red.: Im Dekanat Wiesental – Landkreis Lörrach, ohne Bad Bellingen, Schliengen und Schwörstadt-Dossenbach – gibt es aktuell rund 56 000 Katholiken.

Langer: Ja zu Maria 2.0

„Ich bin erschüttert, wie viele die Unwahrheit gesagt haben“, reagiert Christa Langer, Vorsitzende der Lörracher Frauengemeinschaft St. Peter, auf den Skandal. Dem gealterten Papst Benedikt XVI könne man allenfalls zugestehen, dass er von schlechten Beratern umgeben sei.

Trotzdem hält Langer fest: „Wir bleiben in der Kirche verankert. Sie ist für uns ein Ort der Stärkung im Glauben und in der Gemeinschaft.“ Staat und Gesellschaft wären ohne die immensen sozialen Leistungen der Kirche „arm dran“. Die engagierte Kirchenfrau setzt auf den synodalen Weg.

Ohne Wenn und Aber bekennt sich das Team St. Peter zur uneingeschränkten Gleichstellung von Frau und Mann in der katholischen Kirche: „Wir stehen zur Bewegung Maria 2.0“, unterstreicht Langer und ist überzeugt: „Eine Kirche ohne Frauen ist nicht vorstellbar. Da würde alles zusammenbrechen.“

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