Kreis Lörrach „Fehler bringen uns voran“

Adrian Steineck
Als Schiedsrichter muss man unter Druck Entscheidungen treffen können, weiß Urs Meier. Foto: Archiv Foto: Die Oberbadische

Studium Generale: Früherer Schiedsrichter und ZDF-Experte Urs Meier spricht an der DHBW.

Kreis Lörrach - Der frühere Schiedsrichter Urs Meier kommt mit einem Vortrag zum Thema „Zwischen den Fronten – Entscheidungen unter Druck“ im Rahmen der Studium-Generale-Vortragsreihe am Donnerstag, 13. Dezember, an die DHBW Lörrach.

Adrian Steineck hat mit dem ZDF-Experten, der das WM- und EM-Geschehen analysiert, darüber gesprochen, wie er mit Fehlentscheidungen umgeht und was er vom Videobeweis hält.

Herr Meier, Sie sagen, dass es uns in der heutigen Zeit immer schwerer fällt, Entscheidungen zu treffen. Hat dies auch mit der größeren Vielfalt der Möglichkeiten zu tun?
Natürlich. Es fällt einem bei 100 Sorten Schokolade schwerer, sich zu entscheiden, als bei zehn. Was im Vergleich zu früher zugenommen hat, ist die Geschwindigkeit. Wenn ich früher einen Brief erhalten habe, konnte ich diesen auch mit einem Brief beantworten und hatte mehrere Tage Zeit. Wenn ich heute auf eine E-Mail nicht gleich antworte, kriege ich oft schon am nächsten Tag einen Anruf, warum ich mich noch nicht gemeldet habe.

Was lässt sich dafür tun, dass wir uns Entscheidungen leichter machen?
Im Prinzip ist das wie im Fußball, der heute schneller, feiner, technisch perfekter ist als vor zehn Jahren. Auch da musst du als Schiedsrichter bereit sein, vorausschauend zu handeln und unter Druck Entscheidungen zu treffen. In der Wirtschaft und im Privatleben ist es dasselbe. Man muss sich an das Tempo gewöhnen, sonst wird man überrascht.

Sie sprechen Ihre Tätigkeit als Schiedsrichter an. Haben Sie auf dem Platz stets die richtige Entscheidung getroffen?
Nein, da waren viele Fehler drin. Ich habe bis zu meinem Rücktritt im Dezember 2004 insgesamt 883 Partien als Schiedsrichter geleitet und hatte vor jedem Spiel den Anspruch, fehlerfrei zu pfeifen. Aber in jedem Spiel waren Fehler drin, anders geht es gar nicht. Das waren mal kleinere, mal größere. Aber jede Fehlentscheidung hat mich weitergebracht, und ich denke auch, dass die großen Fehlentscheidungen uns am weitesten bringen.

Gibt es auch Fehlentscheidungen, die Sie gerne zurücknehmen würden?
Ja, eine gibt es. Als sich im Jahr 2004 im Halbfinale der UEFA-Champions League der AS Monaco und der FC Chelsea gegenüberstanden, hat ein englischer Spieler eine solche Show abgezogen, dass ich einem Spieler von Monaco die rote Karte gezeigt habe. Das Spiel endete 3:1 für Monaco, aber dieser Spieler war für das Finale gesperrt. Rückblickend würde ich hier anders entscheiden.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang vom Videobeweis?
Der Videobeweis ist wie ein Airbag im Auto: Wir sind froh, wenn er nicht aufgeht, aber er ist als zusätzliche Sicherheit da. Allerdings gibt es noch immer viel zu viele Fehlentscheidungen trotz Videobeweis. Da müssen wir noch besser werden und die Schiedsrichter intensiv schulen. Grundsätzlich aber finde ich den Videobeweis toll.

Immer wieder kommt es auch zur Gewalt gegen Schiedsrichter. Vor allem im Amateurfußball werden die Unparteiischen beleidigt, bespuckt oder geschlagen. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorge?
Natürlich. Solche Zwischenfälle gab es immer schon, aber die Menge hat sich verändert. Das hat auch mit einem Wertezerfall zu tun, man respektiert ja auch das Personal in der Bahn oder die Polizisten nicht mehr. Wir sollten in der Gesellschaft generell wieder respektvoller miteinander umgehen. Ich habe da auch keinen Zauberschlüssel zur Lösung des Problems. Jeder Einzelne sollte da den Mut haben, gegen Unrecht und rohe Sitten aufzustehen.

Sie selbst standen ja während Ihrer aktiven Zeit eine Weile unter Polizeischutz. Was war da passiert?
Im Viertelfinale der Fußball-EM 2004 zwischen England und Portugal habe ich ein Tor des Engländers Sol Campbell in der 89. Minute annulliert, da John Terry den portugiesischen Torhüter Ricardo gefoult hatte. England verlor das Spiel im Elfmeterschießen und schied aus. Die britische Boulevardzeitung „Sun“ machte mich als Schuldigen aus, obwohl im Fernsehen zu sehen war, dass ich richtig entschieden hatte. Nachdem die „Sun“ meine E-Mail-Adresse veröffentlicht hatte, erhielt ich Morddrohungen und musste für zehn Tage untertauchen. Das war eine heftige Zeit, die ich aber nicht missen möchte.

Wir haben jetzt viel über Fußball gesprochen. Warum sollte jemand, der sich nicht für Sport interessiert, Ihren Vortrag besuchen?
Der Fußball spielt nur eine Nebenrolle. Es geht auch um unsere Persönlichkeit, sodass jeder Zuhörer Neues erfahren kann. Das ist so ähnlich wie früher bei meiner Mutter, die mir Klosterfrau Melissengeist auf einem Zuckerwürfel verabreicht hat. (lacht)

  • Der Vortrag von Urs Meier findet am Donnerstag ab 18 Uhr im Georg H. Endress Auditorium der DHBW Lörrach, Hangstraße 46-50, statt. Der Eintritt ist frei. Näheres im Internet unter www.dhbw-loerrach.de.

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