Kreis Lörrach Für mehr Selbstständigkeit

Die Oberbadische
Trotz Sehbehinderung bewegt sich Furtwängler fast ohne Einschränkungen durch Lörrach. Foto: Beatrice Ehrlich Foto: Die Oberbadische

Behinderung: Dirk Furtwängler vom Behindertenbeirat der Stadt Lörrach schlägt seit 12 Jahren Brücken

Gerade beim Thema Mobilität und Verkehr können es Kleinigkeiten sein, die Menschen mit Behinderung die selbstständige Fortbewegung unmöglich machen. Abhilfe zu schaffen, um Behinderten nach und nach mehr Autonomie zu gewähren, ist Ziel des Behindertenbeirats, erklärt dessen Vorsitzender Dirk Furtwängler.

Von Beatrice Ehrlich

Kreis Lörrach. „Ich bin ins kalte Wasser geworfen worden“, erklärt Dirk Furtwängler. Seit der Gründung des Behindertenbeirats Lörrach im Jahr 2007 ist Dirk Furtwängler dessen Vorsitzender. Schon damals war Furtwängler bei der Stadt Lörrach angestellt und lieferte im Vorfeld der ersten Wahlen zum Behindertenbeirat wertvolle Hinweise zum Wahlverfahren. So wies er auf die Notwendigkeit eines barrierefreien Zugangs zur Wahlurne hin, und darauf, dass manche Wahlberechtigte – Delegierte zahlreicher Selbsthilfegruppen aus Lörrach – darüber hinaus eine Assistenz beim Wählen benötigten.

Anregungen, nicht Forderungen habe er damals im Rahmen von „Lörrach für alle“ vorgebracht, erklärt Furtwängler, der seit seiner Geburt schlecht sieht und heute fast ganz erblindet ist. Schließlich griff er den Vorschlag auf, doch auch selbst für den neu geschaffenen Behindertenbeirat zu kandidieren und wurde seitdem bereits zwei Mal wiedergewählt (2012 und 2017). Offenheit und guter Wille für Veränderungen im Sinne von Inklusion und Barrierefreiheit seien bei der Stadtverwaltung, aber auch bei vielen anderen Akteuren da, hat er festgestellt, vieles sei mittlerweile gesetzlich vorgeschrieben, oft fehle aber guter Rat, welche Verbesserungen denn nun am dringendsten geboten seien. Auch aus eigener Erfahrung weiß Furtwängler, wo es am meisten klemmt. Gerade beim Thema Mobilität und Verkehr können es Kleinigkeiten sein, die Menschen mit Behinderung die selbstständige Fortbewegung unmöglich machen. Hier Abhilfe zu schaffen, um Behinderten nach und nach mehr Autonomie zu gewähren, ist auch Ziel des Behindertenbeirats.

Der Behindertenbeirat in Lörrach hat neun gewählte und stimmberechtigte Mitglieder, die folgende Gruppen vertreten: Menschen mit Körperbehinderung, Hörbehinderte oder Gehörlose, Sehbehinderte oder Blinde, Geistig-behinderte Menschen sowie Senioren mit Behinderung, Kinder und Jugendliche mit Behinderung und Menschen mit chronischen Krankheiten. Hinzu kommen als beratende Mitglieder jeweils ein Vertreter der Stadtratsfraktionen sowie ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Zum dreiköpfigen Vorstand gehören zur Zeit neben Dirk Furtwängler Marita Windisch und Oskar Sommer. Zwei- bis dreimal im Jahr trifft sich das Gremium in öffentlicher Sitzung, um aktuelle Termine und Projekte zu besprechen, der Vorstand trifft sich darüber hinaus mehrere Male im Jahr.

Als beratendes Gremium kann der Behindertenbeirat Empfehlungen und Anregungen geben sowie Stellungnahmen erarbeiten. Besonders gut sei die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen für Straßen und Verkehrssicherheit, lobt Furtwängler. So seien auf Anregung des Beirats bereits neue, breitere Schwerbehindertenparkplätze an verschiedenen Orten entstanden, zuletzt etwa beim Nellie Nashorn. Aber auch beim Bau der Halle in Brombach wurde der Behindertenbeirat gehört, mit dem Bau einer Rampe an der Stadtbibliothek wurde ein lange gehegter Wunsch erfüllt. Seine Wünsche trägt der Behindertenbeirat aber immer wieder auch bei privaten Bauvorhaben vor, etwa beim Steigenberger Hotel.

Mit Beharrlichkeit für barrierefreie Hotelzimmer eingesetzt

Der Beharrlichkeit der Verhandelnden, aber auch der Offenheit des Hotelbetreibers ist es zu verdanken, dass in dem Hotel nun auch barrierefreie Zimmer gebucht werden können – keine Selbstverständlichkeit, wie Furtwängler betont, „das ist ein Ergebnis, auf das man stolz sein darf“. Zu tun bleibt einiges: Neben Ansagen in den Bussen – die ab 2022 ohnehin verpflichtend vorgeschrieben sind, ist vor allem der barrierefreie Zugang zum Hauptbahnhof ein dringender Wunsch.

Feste Termine wie etwa der Mittagstisch im Glashaus am Chesterplatz, immer mittwochs um 12 Uhr oder „Kino für alle“, die Lörracher Kinotage des Behindertenbeirats im Hebelsaal des Dreiländermuseums bereichern die Freizeitgestaltung, ermöglichen Vernetzung unter von Behinderungen Betroffenen.

Furtwängler selbst bewegt sich in Lörrach fast ohne Einschränkungen. Schon während seines Schulbesuchs in einer besonderen Schule für Sehbehinderte in Basel, hatte er gelernt, sich trotz seiner Einschränkungen relativ selbstständig in der Öffentlichkeit zu bewegen und seinen Alltag zu bewältigen, so dass er bis heute ohne fremde Hilfe auskommt. Im Anschluss an den Schulbesuch absolvierte Furtwängler eine kaufmännische Wirtschaftsschule in Stuttgart und lebte während dieser Zeit erstmals allein in einer Wohngruppe. „Dort habe ich profitiert von der Mobilität, die ich in Basel gelernt habe“, erinnert er sich. Furtwängler sieht Chancen für Behinderte auch in der Digitalisierung. Künstliche Intelligenz könne für Behinderte eine große Hilfe sein.

Smartphone ist eine große Hilfe

Ihm persönlich ist das Smartphone bereits jetzt eine große Hilfe dabei, sich zu orientieren und, auch per Spracherkennung, seine Umgebung noch besser wahrzunehmen. Dies möchte er selbst nicht mehr missen, gibt aber zu bedenken, dass der Umgang damit von jedem einzelnen erst erlernt werden müsse – was viele noch scheuen.

„Behinderung“ lautet das Schwerpunktthema der Aktion „Leser helfen Not leidenden Menschen“ in diesem Jahr. Neben der Unterstützung von Einrichtungen und Projekten für „Menschen mit Behinderung“ geht es auch darum, mit redaktionellen Beiträgen und Reportagen die Themen Behinderung und Inklusion ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu tragen.

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