Kreis Lörrach Glanzvoll und zugleich bedrückend

Die Oberbadische

Salto Sociale: Höhepunkt der Weihnachtsktion „Leser helfen Not leidenden Menschen“ mit Spitzenartisten, kulinarischem Genuss und Information über das diesjährige Schwerpunktthema Kinderarmut

Die Zirkusgala „Salto Sociale“ ist der glanzvolle Höhepunkt der Aktion „Leser helfen Not leidenden Menschen“ des Lörracher Verlagshauses Jaumann. Das zeigte die dritte Auflage am Samstagabend im festlich erleuchteten Zelt des Lörracher Weihnachtscircus. Das Konzept aus atemberaubender Artistik, kulinarischen Highlights und ehrenamtlichem sozialem Engagement hat im gesellschaftlichen Leben von Lörrach jetzt schon Kultstatus.

Von Dorothee Philipp (Text) und Kristoff Meller (Fotos)

Kreis Lörrach. „Schatten“ hieß die kleine Theaterproduktion, mit der das Junge Theater unter der Leitung von Birgit Vaith Kinderarmut, den diesjährigen Schwerpunkt der Spendenaktion, eindrücklich vor Augen führte. Die jungen Darsteller hatten selbst wahre Geschichten recherchiert. Geschichten von Einsamkeit, Mobbing, Geldnot, Ladendiebstahl, Streit und Sehnsucht nach einem „normalen“ Leben. Kleine Gucklöcher in trostlose Szenarien, die man in unserer Gesellschaft meist nicht wahrhaben will. „Das ist uns selbst auch sehr nahegegangen“, sagte eine junge Schauspielerin.

Für Guido Neidinger, den Hauptorganisator der Gala, war diese berührende Aufführung der Höhepunkt des Abends. 2000 Euro standen auf dem symbolischen Scheck, den das Theater für soziale Zwecke aus der Spendenaktion erhielt. Und es gab weitere Schecks: Je 2000 Euro für die Kindergärten St. Anna in Stetten und Bärenfels in Weil-Friedlingen, überreicht von Günther Heck, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Dreiländereck, dem Hauptsponsor von „Salto Sociale“.

Beide Kindergarten-Leiterinnen berichteten von ihrer Arbeit in einem Kurzinterview mit Neidinger. Dass Kinder ohne Frühstück morgens in den Kindergarten kommen und mittags nichts essen außer Chips und Gummibärchen, berichtete Marie Kania von St. Anna. Oft seien in den Vesperdosen Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum oder sogar verschimmeltes Brot. Ganz still wurde es, als sie auf die Frage, wie viele da betroffen seien, die Antwort geben musste: „Mehr als die Hälfte“. Den Spendenscheck will sie für ein kostengünstiges warmes Mittagessen im Kindergarten verwenden. Karin Böhm, Leiterin des Bärenfels-Kindergartens, berichtete, dass viele ihrer Kinder schon morgens aufgedreht vom Fernsehen in den Kindergarten kommen, andere sich erst mal am liebsten allein in die Spielecke verkriechen, weil es zu Hause laut und eng ist. Den Kindern die Natur draußen zeigen sei wichtig, da im dicht besiedelten Friedlingen die Kinder ihren Alltag oft in beengten Wohnungen verbringen. Mit dem Spendengeld sollen kleine, kindgerechte Rucksäcke für die Exkursionen finanziert werden. Damit die Weichen in eine gute Kindheit schon früh gestellt sind, gibt es in Lörrach die Baby-Lotsin Vera Stächelin, die die jungen Mütter unmittelbar nach der Geburt in der Klinik aufsucht und sie über alle außermedizinischen Fragen rund ums Baby informiert. Ein Drittel der Mütter benötigen diese Hilfe, erklärte Stächelin im Interview. Da das Angebot rein präventiv ist, werde es von den Kassen nicht unterstützt, sondern lediglich über Spenden und Stiftungen finanziert. „Die 2000 Euro aus der Hilfsaktion helfen, das Projekt über Wasser zu halten, bis die Krankenkassen von seinem Nutzen überzeugt sind“, sagte sie. Mit großer Empathie lauschte das Publikum den Berichten.

Spendenaktion mit Rekordzahlen

Begonnen hatte der Abend mit einem Apéro im Zirkuszelt, bei dem die Gäste mit Sekt und Fingerfood verwöhnt wurden, das Schüler der Pestalozzi-Schule und der Hellberg-Schule formvollendet und aufmerksam auf großen Tabletts reichten. Das Fingerfood hatten Schüler der Hellberg-Schule unter der Leitung von Monika Grunert und Elke Köger zubereitet. Beim Plaudern hatte man Zeit, den Hauptgewinn der Spendentombola zu bewundern, einen Toyota Yaris Hybrid, der in der Manege geparkt war. Das vom Autohaus Schultheiß in Maulburg und Weil am Rhein gestiftete Fahrzeug rollte dann spektakulär lautlos aus dem Zelt.

Noch bis heute (Montag)-Abend nehmen Spenden ab drei Euro, die für die Aktion eingehen, an der Verlosung der Tombolapreise im Wert von 80000 Euro teil. Das Spendenaufkommen für die Weihnachtsaktion steigt stetig an: waren es 2012 noch 95100 Euro, kamen im vergangenen Jahr schon über 177000 Euro zusammen. Und in diesem Jahr scheint ein weiterer Spendenrekord möglich. Die eindrucksvoll lange Liste von Großspendern und Sponsoren, die Guido Neidinger in seiner Begrüßung vorlas, verdeutlichte, wie stark die Benefizaktion in den Institutionen und Unternehmen der Regio verankert ist. Oberbürgermeister Jörg Lutz erinnerte als „Pate des Abends“ daran, dass in den 39 Jahren der Aktion „Leser helfen“ schon über drei Millionen Euro an Spenden generiert wurden und bat um Sonderapplaus für die Verantwortlichen. Er lobte Uta Schroeder und Guido Neidinger als „Herz und Seele dieser Aktion“, die sich das ganze Jahr über für die Organisation engagierten, sehr häufig in ihrer Freizeit. Ihn freute auch, dass das Geld in der Region bleibt und damit soziale Strukturen gestärkt werden.

Lecker Essen

Für das gehaltvolle Viergänge-Menü an festlich gedeckter Tafel konnten wieder die drei Köche der bbv-Gastro in Lörrach, Klaus Zöbelin, Christoph Wilke und Martin Lehmann gewonnen werden. Die Leitung des Service lag bei Bärbel Jung, der Chefin der Gastronomie im Universitätsspital Basel. Sie wurde unterstützt von professionellem Service-Personal und von zwei Schülerteams der Hellberg- und der Pestalozzi-Schule.

Atemberaubende Shows

Der Weihnachtscircus der Zirkusfamilie Frank stellt seit drei Jahren die Infrastruktur und seine Artisten für Salto Sociale zur Verfügung, die Firma Event Trend aus Eimeldingen sorgt für die komplette Einrichtung. Die Lebensmittel kommen von den Henle-Märkten, das Fleisch von der Metzgerei Kalbacher, die Weine von der Winzergenossenschaft Schliengen-Müllheim und die anderen Getränke von der Brauerei Lasser.

Schon zum Apéro hielten die Gäste den Atem an, als das Duo Ferrandino in der Zirkuskuppel seine waghalsigen Saltos und Pirouetten zeigte. Später brillierten die beiden im Foyerzelt, wo gegessen wurde, mit einem Thriller aus Fliehkraft und Tempo, der dem Publikum erneut den Atem verschlug. Das Duo Kiss, als Gastpaar kam vom Palazzo Colombino in Basel und zeigte eine aufregende Hand-auf-Hand-Akrobatik als freche Show mit Pfeffer und Erotik und unglaublicher artistischer Virtuosität.

Die Artistin Sarah Hein verwandelte die Zirkuskuppel mit ihrer Nummer an weißen Bändern in ein offenes Märchenbuch, in dem eine glitzernde, scheinbar schwerelose und überaus biegsame Fee die Hauptrolle spielte. Aus Finnland kam die junge Artistin Nelli Kujansivu, vermittelt vom Internationalen Basler Zirkusfestival Young Stage, hebelte sie mit ihrer Fußjonglage sämtliche Gesetze der Schwer- und Fliehkraft aus. Die Bälle, die sie mit Händen und Füßen durch die Luft wirbelte, schienen einem unsichtbaren Zauber zu gehorchen. Auch hier regierte ein Maximum an Ästhetik, dem man sich staunend hingeben konnte.

Und zum Schluss ein Weltrekord?

Der aus Lörrach stammende BMX-Freestyler Chris Böhm hat bereits einen Guinness-Weltrekord. Er kann auf dem Hinterrad in 30 Sekunden 38 Umdrehungen schaffen. Das ist im Guinness-Buch der Rekorde auf Seite fünf dokumentiert. Bei Salto Sociale gelang dem akrobatisch begabten Kinderkrankenpfleger, der in Lörrach in der Kinder- und Jugendpsychiatrie therapeutisches BMX-Training anbietet, mit 39 Runden möglicherweise ein neuer Rekord, der sorgsam von drei Kameras dokumentiert wurde. Hochspannung knisterte im Publikum, die dann in erlösendes Jubelgeschrei mündete, als die Zahl 39 genannt wurde. Mitgebracht hatte Chris Böhm die beiden Breakdance-Weltmeister Sebi Jäger und B-Boy Jamel, die mit ihren Flugkünsten und Saltos schon vorher den Adrenalinpegel zum Kochen gebracht hatten.

Ob ein neuer Chris-Böhm-Weltrekord tatsächlich anerkannt wird bei Guinness World Records, das vermochte auch der Hauptjuror des Abends, Christoph Geissler von der Kindersportschule Lörrach, nicht mit Sicherheit zu sagen. „Wir meinen, er hat es geschafft“, sagte Geissler.

u Ein weiterer Bericht folgt in unserer Dienstagsausgabe.

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