Kreis Lörrach In guten und schlechten Zeiten da sein

Die Oberbadische
Beratungsgespräche vor Ort finden zur Zeit mit Hygienevorkehrungen statt.Foto: Beatrice Ehrlich Foto: Die Oberbadische

Schwerpunktthema: Gudrun Schemel und Thomas Siemann vom Sozialpsychiatrischen Dienst berichten

Mit Einfühlungsvermögen und Hartnäckigkeit durch besondere Zeiten: Die Corona-Pandemie hat in den vergangenen Monaten viel verändert – auch in der Arbeit mit psychisch Erkrankten. Darüber berichten Gudrun Schemel, Geschäftsführerin des Caritasverbands im Landkreis Lörrach und Thomas Siemann, Fachbereichsleiter für Gemeindepsychiatrie bei der Caritas.

Von Beatrice Ehrlich

Kreis Lörrach. Online- und Telefonberatung sind schon zur Routine geworden. In Zeiten des Lockdowns wie jetzt kommen weitere Herausforderungen hinzu: Die Angst vor Ansteckung beunruhigt von psychischen Krankheiten betroffene Menschen noch zusätzlich, es besteht die Gefahr der Vereinsamung. Gleichzeitig ringen ihre professionellen Betreuer darum, persönliche Kontakte um jeden Preis aufrecht zu erhalten, ohne dabei sich selbst und andere in Gefahr zu bringen. „Wir rufen jetzt öfter an“, sagt Siemann. Wichtig sei es, in Kontakt zu bleiben, um den Menschen auch in Krisen zur Seite stehen zu können – „in guten wie in schlechten Zeiten“, wie Gudrun Schemel betont. Flexibilität sei gefragt, das Abrücken von eingespielten Verhaltensweisen, ohne die zugrunde liegenden Grundüberzeugungen aufzugeben. Wo sonst die Selbstbestimmtheit und Eigenverantwortung der psychisch Erkrankten eingeübt werden sollen, übernehmen die Mitarbeiter des sozialpsychiatrischen Dienstes momentan eben auch einmal einen Einkauf für einen Klienten im betreuten Wohnen, der das nicht alleine schafft. Eingefroren sind derzeit alle Freizeitangebote: Die Treffen des Kontakt- und Freizeitclubs Weil am Rhein, der Outdoorgruppe in Lörrach und der Frühstückstreff Zell finden derzeit nicht statt, dabei sind solche Angebote in den Augen der Verantwortlichen zentral. Psychisch Kranke zögen sich eher zurück, in einer Gruppe mit anderen Betroffenen, im Kino, bei einem Ausstellungsbesuch oder einem gemeinsamen Spaziergang falle es ihnen oft leichter, soziale Kontakte zu pflegen.

Empathie zeigen bei professioneller Distanz

Thomas Siemann ist seit dem 1. Oktober der Leiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes. Der Umgang mit psychisch Kranken begleitet den gelernten Sozialarbeiter bereits durch sein ganzes Berufsleben. Er weiß genau, wie viel Empathie er einem Klienten entgegenbringen kann, ohne deshalb die professionelle Distanz aufzugeben. Um empathisch zu sein, gehe er oft weiter als es ihm gut tue, räumt er ein. Dass er dennoch Probleme nicht mit nach Hause nehme, sei auch dem guten Arbeitsklima und regelmäßigen Gesprächen mit den Kollegen zu verdanken, betont er. Insgesamt 20 Mitarbeiter umfasst sein Team, dazu kommen ungefähr noch einmal ebenso viele Ehrenamtliche, die sich jeweils mit einem Betroffenen im Tandem zu verschiedenen Aktivitäten verabreden.

Der Umgang mit Menschen mit psychischen Erkrankungen habe sich gewandelt in den vergangenen Jahren, berichtet Gudrun Schemel, die seit 1988 in diesem Bereich aktiv ist und den Sozialpsychiatrischen Dienst von Anfang an mit aufgebaut hat. Ambulante, niedrigschwellige Hilfen seien vielfach an die Stelle rein stationärer Versorgung getreten. In der Öffentlichkeit seien psychische Krankheitsbilder wie etwa Schizophrenie, Borderline, eine schwere Depression oder Persönlichkeitsstörungen heute viel weniger mit Scham behaftet als in der Vergangenheit, die Gesellschaft sei offener geworden und bringe psychisch Erkrankten mehr Verständnis entgegen, hat sie beobachtet.

Selbstbestimmung des Einzelnen im Mittelpunkt

Mit der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes im Jahr 2016 ist nun wieder ein neuer Weg eingeschlagen worden: Weg vom Fürsorgeprinzip und hin zu einem Rechtsanspruch, den die Betroffenen geltend machen können. Die Selbstbestimmung des Einzelnen steht im Mittelpunkt allen Handelns. Dies umzusetzen mit Menschen, die aufgrund ihrer Krankheit oft auf die Unterstützung anderer angewiesen sind, sei oft nicht einfach, so Schemel, die nichtsdestotrotz den Paradigmenwechsel gut findet. „Wenn es dem Klienten gelingt, mit seiner Krankheit umzugehen und sich Hilfe zu holen, wenn er sie braucht, ist das ein ganz wesentlicher Aspekt“, sagt Schemel.

Auch wenn die beiden mit vielem zufrieden sind, bleiben Wünsche offen. Etwa die Einrichtung eines interdisziplinären, sozialpsychiatrischen Krisendienstes, der auch am Wochenende rund um die Uhr einsatzbereit wäre, wenn Menschen aufgrund ihrer Krankheiten in Probleme gerieten, etwa nach einem Suizidversuch. „Wenn wir merken, da bahnt sich was an, können wir intervenieren“, betont Siemann. In solchen Situationen könne eine Fachperson ganz anders auf eine von einer psychischen Krise betroffene Person einwirken und sie so unter Umständen vor einem Klinikaufenthalt bewahren.

Immer wieder werden die Mitarbeiter des sozialpsychiatrischen Dienstes zudem mit materiellen Notlagen konfrontiert. „Oft merken wir, dass Klienten finanziell die Luft ausgeht“, berichtet Gudrun Schemel aus ihrer Erfahrung. Aufgrund von oft langjährigen, meist chronischen Erkrankungen, gehen viele Klienten seit Jahren keiner geregelten Arbeit mehr nach. Sie sind auf Sozialleistungen angewiesen und besitzen keinerlei Ersparnisse. Durch Spenden kann hier unbürokratisch Hilfe geleistet oder ein dringender Wunsch erfüllt werden, ohne großen Aufwand. Dies käme vor allem jenen Menschen zugute, die sonst nicht „Hier!“ schreien, wenn es um ein Angebot geht, versichert Schemel.

Der Sozialpsychiatrische Dienst, kurz SpDi, wird vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirchenbezirke im Landkreis Lörrach und dem Caritasverband für den Landkreis Lörrach getragen. Für chronisch und schwer psychisch erkrankte Menschen bietet der SpDi soziale Hilfestellungen an, um den betroffenen Menschen ein Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Der Dienst unterstützt bei der Alltags- und Krankheitsbewältigung. Darüber hinaus berät er Angehörige und weitere Bezugspersonen. Der SpDi im Landkreis Lörrach betreut zwischen vier- und sechshundert Personen, davon allein 130 im ambulant betreuten Wohnen. Während die Diakonie für die Städte Lörrach, Rheinfelden und Grenzach-Whylen zuständig ist, fällt die Region Weil am Rhein/Markgräflerland, Steinen, Maulburg, Schopfheim sowie das Große und Kleine Wiesental unter die Verantwortung des Caritasverbands.

Kontakt: Tel. 07621/ 92 63 20 (Diakonie) oder Tel. 07621/92 75 30 (Caritas).

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